Rezension über:

Sabine Klapp / Sigrid Schmitt (Hgg.): Städtische Gesellschaft und Kirche im Spätmittelalter. Kolloquium Dhaun 2004 (= Geschichtliche Landeskunde; Bd. 62), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008, IX + 261 S., ISBN 978-3-515-08573-1, EUR 40,00
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Rezension von:
Michel Pauly
Université du Luxembourg
Redaktionelle Betreuung:
Christine Reinle
Empfohlene Zitierweise:
Michel Pauly: Rezension von: Sabine Klapp / Sigrid Schmitt (Hgg.): Städtische Gesellschaft und Kirche im Spätmittelalter. Kolloquium Dhaun 2004, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 9 [15.09.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/09/12201.html


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Sabine Klapp / Sigrid Schmitt (Hgg.): Städtische Gesellschaft und Kirche im Spätmittelalter

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Um es gleich vorweg zu sagen: Alle Beiträge des hier zu besprechenden Tagungsbandes sind interessant, doch ob sie alle zusammen in denselben Sammelband gehören, ist eine andere Sache. Ausgangspunkt der Tagung war die Vorbereitung eines Forschungsprojekts zum Thema "Kirche und Gesellschaft im Spätmittelalter. Soziale Mobilität und soziale Positionierung im landesgeschichtlichen Kontext". Die ersten drei Beiträge stammen eher aus einem methodologischen Workshop, da das Projekt u. a. vorsieht, eine Datensammlung von Francis Rapp zur elsässischen Kirche im Mittelalter in eine elektronische Datenbank zu überführen. Daher waren Peter Rückert (Hauptstaatsarchiv Stuttgart), Suse Baeriswyl-Andresen (Repertorium Academicum Germanicum, Bern) und Andreas Rehberg (Deutsches Historisches Institut, Rom) gebeten worden, ihre Erfahrungen mit von ihnen aufgebauten oder geplanten, personenbezogenen Datenbanken vorzustellen. Rehberg geht allerdings stärker auf das Informationspotenzial und die Interpretationsprobleme des Repertorium Germanicum sowie anderer römischer Quellenbestände ein. Diese Beiträge sind höchst lehrreich, doch mit dem Buchtitel haben sie wenig zu tun und gehören eher in eine archivarische oder methodologische Fachzeitschrift.

Die übrigen acht, insgesamt eher kurzen Beiträge sowie die Schlussfolgerungen von Rolf Kiessling beschäftigen sich durchaus mit den Beziehungen zwischen städtischer Gesellschaft und Kirche, aber aus zum Teil sehr unterschiedlichen Blickwinkeln, die nicht unbedingt die ursprünglichen Tagungssektionen: Adel, Zünfte, Unterschichten, widerspiegeln. Den meisten gemeinsam ist aber der prosopographische Zugang, der auch die eingangs vorgestellten Datenbanken kennzeichnet.

Sozialgeschichtlich orientiert sind die Beiträge von Karl Borchardt über die soziale Herkunft der Mitglieder der deutschen Johanniterkommenden, von Martina Knichel über die Beziehungen des Koblenzer Patriziats zu den beiden Stiften St. Kastor und St. Florin und von Letha Böhringer über die soziale Einordnung von Kölner Beginen. Vor allem der letztgenannte Beitrag besticht durch seine differenzierte Quellenkritik der Kölner Schreinsbücher und den von Irsigler übernommenen, nuancierten Schichtbegriff, der die Autorin zum Schluss führt, dass die traditionelle These von einem allmählichen Absinken der ständischen Qualität in den Beginenkonventen verneint werden muss, da grundsätzlich Frauen aller Schichten Beginen werden konnten, auch wenn diese Möglichkeit "zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen Schichten unterschiedlich intensiv genutzt" wurde (186).

Stärker an institutionellen Beziehungen interessiert sind die Beiträge von Arnd Reitemeier und Robert Gramsch. Reitemeier untersucht die Rolle der Ratsfamilien in den Kirchenfabriken, insbesondere am Beispiel der Stadt Wesel, in der es allerdings offenbar nur eine Pfarrgemeinde gab. Reitemeiers Behauptung, bis ins 12.-13. Jahrhundert hätten viele Bürger den Hospitälern einen Vorrang bei ihren Stiftungen eingeräumt (83), kann der Rezensent angesichts des zwischen Rhein und Maas zusammengetragenen Materials allerdings nicht bestätigen, da die Hospitälerstiftungswelle dort erst im 13. Jahrhundert richtig einsetzt und bis ins 15. kaum abebbt. Gramsch präsentiert die Strategie der städtischen Führungsschicht gegen den salinenbesitzenden (Ordens)klerus im so genannten Lüneburger Prälatenkrieg (1446-62) auf dem Hintergrund der Tatsache, dass beide Gruppen sich z. T. aus denselben Schichten rekrutierten. Gerade unter diesem Aspekt wird deutlich, dass es falsch wäre, von einer strukturellen Polarisierung zwischen städtischer Führungsschicht und stadtsässigem Klerus auszugehen, auch wenn erstere aus steuerpolitischen Gründen die Unabhängigkeit des letzteren in Frage stellte. Der Beitrag von Andreas Rütherüber "Orte der politischen Kommunikation in Breslau", der vornehmlich auf der Chronik des Peter Eschenloer beruht, gehört wohl auch in diese Rubrik, nur kommt die Kirche darin kaum vor.

Sabine von Heusinger behandelt drei Aspekte von Handwerksbruderschaften in Straßburg: ihre Organisation und Aufgaben, ihre Stellung in Prozessionen und die Entstehung von Gesellenbruderschaften, und kann so die Bruderschaften als geeigneten Einstieg erweisen, um das Verhältnis von Stadt und Klerus, Zünften und Gesellen, Laienfrömmigkeit und Sozialabsicherung im Spätmittelalter oder auch die Sakraltopographie zu beleuchten. Einen dezidiert nicht sozialgeschichtlichen Zugriff wählt Rita Voltmer, die sich dem Verhältnis der Kirche zu den städtischen Unterschichten in Straßburg theologisch nähert, indem sie nach dem Stellenwert dieser Schichten im Gesellschaftssystem bzw. in der polit-theologischen Konstruktion des sozialkritischen, aber theologisch eher fundamentalistischen Predigers Johannes Geiler von Kaysersberg untersucht: Geiler verurteilte zwar die Exklusion der Armen und Randständigen, lehnte aber genauso ihren sozialen Aufstieg ab, der eine Infragestellung der gottgewollten sozialen und kirchlichen Hierarchie bedeutet hätte.

In seiner Zusammenfassung, die sich eher auf die Tagung als auf den Band bezieht und auch die nicht abgedruckten Vorträge berücksichtigt, hebt Kießling zu Recht eine Leistung der hier veröffentlichten Tagung hervor (236f.). So mancher Beitrag hat nämlich die Spannung zwischen einem kommunalen, institutionsgeschichtlichen Stadtbegriff und einem funktionalen Stadtbegriff als zentralem Ort bewusst ausgehalten und fruchtbar genutzt. Gerade im Hinblick auf das mit vielen Kleinstädten dicht besetzte Elsass verspricht dieser Ansatz, wenn denn das angedachte Forschungsprojekt durchgeführt wird, zukunftsweisend zu werden.

Michel Pauly