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Stephan Conermann: Islamische Welten. Einführung, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 7/8 [15.07.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/07/forum/islamische-welten-123/

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Islamische Welten

Einführung

Von Stephan Conermann

In diesem Forum "Islamische Welten" haben wir es mit Besprechungen von 12 Büchern zu tun, die wieder einmal eine Reihe wichtiger Fragen unseres Faches tangieren. Wenige Islamwissenschaftler gehen noch von einem einseitigen, linearen Einfluss des jüdischen Schrifttums auf den Islam aus; die Mehrzahl akzeptiert mittlerweile die Intertextualität und gegenseitige Abhängigkeit des jüdischen und islamischen Gedankengutes. (Teipen über Lowin) In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass sich die Situation der jüdischen Bevölkerung unter islamischer Dominanz in klassischer Zeit (7.-13. Jahrhundert) und unter (früh-)osmanischer Herrschaft durchaus als jüdisch-islamische Symbiose bezeichnen lässt. Juden konnten lange Zeit, dies wird immer wieder durch historische Befunde bestätigt, unter arabischer Oberhoheit ein deutlich gesicherteres und freieres Leben führen als im christlichen Europa. (Scheiner über Lewis) Will man sich heute über die Geschichte des schwierigen Konflikts zwischen Israel und den arabischen Staaten informieren, so ist der an vielen Universitäten gebräuchliche Reader, den Walter Laqueur vor 40 Jahren zum ersten Mal zusammengestellt hat, sehr nützlich. Er ist nun zum Anlass des 60-jährigen Bestehens des Staates Israels von Laqueur und Barry Rubin überarbeitet und auf den neusten Stand gebracht worden. (Schwanitz über Laqueur/Rubin) Neben den Juden spielten aber auch die Christen in der Geschichte des Islams eine große Rolle. Weder die muslimische Welt noch die Welt des westlichen Christentums lassen sich ohne die orientalischen Christen verstehen oder erforschen. Insofern ist es wirklich zu bedauern, dass man in der BRD beinahe alle entsprechenden Lehrstühle abgeschafft hat! Eines der hier zu besprechenden Werke präsentiert in Form eines Sammelbandes, der aus einer Konferenz aus dem Jahre 2005 hervorgeht, die in Spanien leider ebenso sträflich vernachlässigte christliche Orientalistik. (Weltecke über Monterrer-Sala)

Übersichtswerke haben eigentlich immer Konjunktur. Die in Westport, Connecticut, beheimatete Greenwood Publishing Group (GPG) veröffentlicht im Rahmen ihres Greenwood-Press-Verlages Darstellungen, die sich an Studenten und ein breiteres Publikum richten. Dazu zählt auch die im Rahmen der Reihe "Culture and Customs of Asia" publizierte Abhandlung "Culture and Customs of the Central Asian Republics". Insgesamt kann aber das Konzept aufgrund theoretischer Schwächen, uneinheitlicher Gewichtungen und großer Längen im allgemeinen Teil nicht überzeugen. (Eschment über Abazov) Viel besser ist dagegen eine erfrischend neue Interpretation der Geschichte der islamischen Welt von 1000 bis 1517. Peter Feldbauer und Gottfried Liedl, zwei Wiener Historiker, können überzeugend aufzeigen, dass die selbst in Orientalistenkreisen weit verbreiteten Dekadenz- und Niedergangsmodelle, die auf den Verlauf der Geschichte der muslimischen Welt vom 11. bis zum 19. Jahrhundert angewandt werden, in hohem Maß als Gegenbild zu der im neuzeitlichen Europa zunehmend als natürlich begriffenen oder behaupteten bürgerlich-kapitalistischen Ordnung konstruiert wurden. Vielmehr, so die beiden Autoren, hätte es bis zur Krise des 14. Jahrhunderts eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Blütephase gegeben. (Conermann über Feldbauer/Liedl)

Der Aufarbeitung der zahlreichen arabischen Papyri widmen sich seit einem guten Jahrhundert zahlreiche Gelehrte. In den letzten Jahren hat sich die arabische Papyrologie stärker vernetzt, was mit zu einer höheren Zahl von Publikationen in diesem Bereich beigetragen hat. Darunter fallen auch Auswertungen juristischer und kaufmännischer Dokumente, die mit ihren Informationen die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte fortschreiben. Zu diesen zählt Werner Diems "Arabischer Terminkauf", in dem 83 Papyri aus dem Ägypten des 8.-14. Jahrhunderts und vier Papyri aus dem christlichen Toledo des 13. Jahrhunderts in al-Andalus vorbildlich behandelt werden. (Bentlage über Diem) Eine ebenso gelungene Einführung in eine wichtige Quelle bietet auch Jane Hathaways ausgewählten Übersetzungen von Abd ar-Rahman al-Jabartis (1753-1825) bekannter Chronik zur Geschichte Ägyptens. In 64, jeweils mit einer Einleitung versehenen Kapiteln präsentiert sie dem Leser eindrucksvoll die Highlights des Werkes. (Schwanitz über Hathaway)

Neben der arabischen Hochsprache existieren bekanntlich die zahlreichen gesprochenen arabischen Dialekte. Aus diesem Grund verwundert es nicht, dass sich im deutschsprachigen Raum eine zum Teil sehr differenzierte und international anerkannte Dialektologie etabliert hat. Mit seiner jüngsten Studie zum "Kairenisch-Arabischen" legt der an der Universität Amsterdam lehrende Manfred Woidich, der sich seit nunmehr beinahe 40 Jahren mit der Materie beschäftigt, die erste umfassende Grammatik des ägyptischen Standarddialekts vor. Damit schließt Woidich dankenswerterweise eine Lücke, die bisherige Lehrbücher und Einzelstudien offen gelassen hatten. (Bentlage über Woidich)

Übrig bleiben noch drei Bücher ganz unterschiedlichen Inhalts. Über Dorothea Krawulskys Einführung in die Koranwissenschaften sollte man offenbar eher den Mantel des Schweigens decken (Brunner über Krawulsky). Sehr lesenswert sind hingegen die 25 Aufsätze aus der Feder des noch immer am Corpus Medicorum Graecorum der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften tätigen Islamwissenschaftlers Gotthard Strohmaier. Strohmaier ist unzweifelhaft einer der besten Kenner des antiken Erbes in der islamischen Kultur und Religion. Die Beiträge bieten einen fundierten Querschnitt des Themas und führen auch den Nicht-Spezialisten gekonnt in die Facetten dieser fruchtbaren Auseinandersetzung des Orients mit dem Abendland ein. (Conermann über Strohmaier). Besprochen wird dann noch ein nicht-wissenschaftliches Werk, nämlich die gerade erschienene deutsche Übersetzung des 1974 von dem Literaturnobelpreisträger Nagib Machfus (1911-2006) verfassten Romans "Karnak-Café". Wie schon am Beispiel der Besprechung von Veruschka Wagner über Orhan Pamuks "Schnee" [in der Ausgabe 7 (2007) 7/8 (http://www.sehepunkte.de/2007/07/13493.html)] deutlich geworden ist, bieten Romane bisweilen einen sehr direkten Zugang zu historischen Epochen. So erhellt dieses Buch die Zeit des Arabischen Sozialismus mit ihren Problemen, die weit über die moderne Geschichte Ägyptens hinaus gehen. (Schwanitz über Machfus)

Ich wünsche allen viel Spaß bei der Lektüre!

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