Rezension über:

Nathalie Dauvois: L'Humanisme à Toulouse (1480-1596). Actes du colloque international de Toulouse, mai 2004, réunis par Nathalie Dauvois (= Colloques, congres et conférences sur la Renaissance européenne; Vol. 54), Paris: Editions Honoré Champion 2006, 639 S., ISBN 978-2-7453-1396-6, EUR 76,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Roland Béhar
Casa Velazquez, Madrid
Redaktionelle Betreuung:
Susanne Lachenicht
Empfohlene Zitierweise:
Roland Béhar: Rezension von: Nathalie Dauvois: L'Humanisme à Toulouse (1480-1596). Actes du colloque international de Toulouse, mai 2004, réunis par Nathalie Dauvois, Paris: Editions Honoré Champion 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 9 [15.09.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/09/12180.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Nathalie Dauvois: L'Humanisme à Toulouse (1480-1596)

Textgröße: A A A

Die Forschung hat bislang den Humanismus als ideengeschichtliches, aber auch als soziales, politisches und ästhetisches Phänomen in seinen Auswirkungen auf die urbane Welt in Frankreich nur wenig thematisiert. Studien liegen hier lediglich für Lyon, Bordeaux, Nîmes und das Elsass vor.[1] Der zu besprechende Band versucht nicht nur, die Rolle der Stadt Toulouse ("studiosa Tholosa", so Joachim du Bellay) als humanistisches Zentrum zu eruieren, wie die Herausgeberin im Vorwort deutlich macht [2]; er strebt vor allem an, eine konsequente Analyse dessen zu bieten, was der Humanismus für eine französische Stadt bedeuten konnte.

Grund für den Mangel an Studien zu Stadt und Humanismus in Frankreich ist erstens die für Frankreich lange Zeit typische Tendenz, eine zentralisierte Geschichtsschreibung zu betreiben.[3] Zweitens stellt sich die Schwierigkeit, den bereits für Italien umstrittenen Begriff des Bürgerhumanismus ("civic Humanism")[4] auf den Kontext der französischen Städte zu übertragen. Das dritte Hindernis bildet die sich daraus ergebende Notwendigkeit, den Terminus "Humanismus" angesichts der Vielfalt an Erscheinungen, der Unterschiedlichkeit der historischen Figuren, die sich mit demselben in Verbindung bringen lassen, zu nuancieren sowie die chronologischen Veränderungen. Viertens besteht das Problem, ein humanistisches "Zentrum" zu definieren: Sind es die Leitfiguren, die Auffassung der geistigen Arbeit, des Geistlichen und der Öffentlichkeit oder die Ausstrahlung auf weitere Gebiete und die Anerkennung seitens anderer "Zentren"? "L'Humanisme à Toulouse" präsentiert sich als empirischer Band, der mittels einer Reihe von Fallstudien neue Aspekte des Toulouser Humanismus vorstellt.

Toulouse war in der juristischen Geschichtsschreibung für eine Denkschule bekannt, die die Rechte des Parlamentes innerhalb eines zur gleichen Zeit sich in seiner Einheit behaupteten zentralistischen Staates verteidigte. In den 1970er Jahren hinterfragt, wird die Existenz dieser Schule von Patrick Arabeyre (23-41) kritisch verteidigt, während Jacques Krynen (43-57) anschaulich zeigt, wie Jean Montaigne, Nicolas Bertrand, Guillaume Benoît, Charles de Grassaille, Pierre Rebuffe und Bernard de La Roche-Flavin eine argumentative Tradition aufbauten, die die Rechte des Toulouser Senats in Anlehnung an den Codex Justinianus und an die angeblich von Pippin dem Kurzen anerkannten Rechte bezüglich der juristischen Eigenständigkeit des Capitouls - seit 1510 in direktem Konflikt mit dem Pariser Parlament - behauptete. Ein gutes Beispiel jenes Konfliktes liefert die Geschichte der Nominierungen an der Universität (Henri Gilles, 59-68). Der "Fall Cujas" (1553-1556) um die Person des Toulouser Alciatusschüler und später berühmten Juristen Jacques Cujas (1520/22-1590) ist nur die bekannteste Episode. Die Universität war den Humanisten längst nicht so feindlich gesinnt, wie oft angenommen, größtenteils aufgrund der 1534er Diatribe des aus der Stadt vertriebenen Étienne Dolet (1509-1546). Cujas wurde ein Kandidat vorgezogen, Étienne Forcadel (1518-1573), der selbst Autor einiger stark humanistisch geprägter Einführungen in die Kunst der Jurisprudenz war: Er verband die "barbarische" Wissenschaft des Accursius mit der lateinischen Eleganz, dabei den literarischen Modellen des "Somnium Scipionis" des Cicero, der "Dialoge" Luzians und der "Hypnerotomachia Poliphili" treu folgend (Nathalie Dauvois, 91-105).

Die Person des Guillaume de la Perrière (1499-1554) erscheint in diesem Zusammenhang besonders interessant (Géraldine Cazals, 69-90). Fern von der Universität, im Dienste von Kirche und Stadt, avancierte er zum Schreiber des Stadtrates und wusste dessen politischen Bestrebungen eine humanistische Form zu verleihen. Außerdem verfasste er das erste Emblembuch auf Französisch, das "Théâtre des Bons Engins" (Toulouse 1540), den "Emblemata" des Andreas Alciatus (1492-1550) nachempfunden. Für sein zweites Emblemenbuch, die "Morosophie", erläutert Stephen Rawles (109-121) die Unterschiede zwischen der lateinischen und der französischen Fassung (beide Toulouse 1553).

Es folgen weitere Persönlichkeiten des Toulouser Humanismus, die den europäischen Humanismus intensiv rezipierten (Jocelyne Deschaux, 145-155): der frühe Kreis in Rodez um den Bischof François d'Estaing (Matthieu Desachy, 123-143), die Verbindungen von François Habert zu Toulouse (Richard Cooper, 157-183), Jean De Pins (Jan Pendergrass, 187-201), der Kardinal D'Armagnac, Bischof von Rodez und späterer Erzbischof von Toulouse, Mäzen mit Verbindungen zum Hofe von Marguerite de Navarre (Nicole Lemaître, 203-221), Jean de Boyssoné (Jean-Claude Margolin, 223-245), Pierre Brunel (Michel Magnien, 247-269), Jean de Coras (Stéphan Geonget, 271-287) und Auger Ferrier (Pierre C. Lile, 289-297).

Ein für die Toulouser intellektuelle Welt des 16. Jahrhunderts bezeichnendes Merkmal ist der Stellenwert der literarischen Lokaltraditionen, so die "Jeux floraux", die die Identitätskonflikte der Gemeinde spiegeln (Isabelle Luciani, 301-335). Wichtig sind hier vor allem Pierre du Cèdre (Philippe Gardy, 337-355) und die Publikation (1555) einiger Werke auf Okzitanisch, wie die "Nompareilhas Receptas" (Jean-François Courouau, 357-374). Im gleichen Abschnitt wird auch die Frage des Antifeminismus einiger Toulouser Humanisten wie Gratien du Pont diskutiert (Céline Marcy, 375-389).

Genau wie Könige und Prinzen berief sich auch die Stadt Toulouse auf italienische Werke wie Pontanos "De magnificentia" (1486), um den Stellenwert der Kunst im öffentlichen Leben zu bekräftigen. Diese spiegelt sich auch in der Theaterproduktion wider - am Anfang des 16. Jahrhunderts mit der von Paris, Lyon oder Rouen nicht vergleichbar (Jelle Koopmans, 393-407) -, in der von Kardinal D'Armagnac und vom Großbürgertum in Auftrag gegebenen Architektur (hier sind Einflüsse von Vitruv, Alberti und Serlio nachweisbar; Bruno Tollon, 410-421; Frédérique Lemerle, 423-437) und in der Musik, mit Antoine de Bertrand und Guillaume Boni, die Ronsards Dichtung vertonen und sich im Kreise von D'Armagnac bewegen (Philippe Canguilhem und Fabien Larroque, 439-458; Frank Dobbins, 459-482). Die Verbindung der Musik zum politischen Leben wird besonders im Beitrag von Kate van Orden beleuchtet (587-603): beispielsweise die Messe anlässlich der symbolischen Krönung von Heinrich IV. in Toulouse (1596), die musikalisch das Ende der Religionskriege und die erneute Behauptung der monarchischen Macht unterstrich.

Der letzte Abschnitt befasst sich mit Guy Du Faur de Pibrac (1529-1584). Serge Brunet stellt den Kontext der Religionskriege im französischen Südwesten dar (485-507). Mit Pibrac kommt man zur politisch sehr engagierten Generation derer, die in Toulouse mit Bodin oder L'Hospital studierten. Der juristische Humanismus öffnete sich jetzt dem platonischen Gedankengut, den Pibrac in Paris als Leiter der "Académie du Palais" von Heinrich III. mit propagierte, nachdem er vor dem Parlament die "Académie de Poésie et Musique" von Lazare de Baïf verteidigt hatte. Der humanistische Gehalt seiner "Quatrains" (zwei Ausgaben: 1574 und 1576) wird von Loris Petris (509-533) als Produkt sowohl des christlichen Stoizismus als auch der Tradition der "Miroirs du Prince" charakterisiert. Die "Quatrains" erfuhren sechs Vertonungen (Marie-Alexis Colin, 535-554), eine davon durch Boni. In seinen "Plaisirs de la vie rustique" (Lyon, 1574) stellt Pibrac dann auch, in der Tradition der "École de Toulouse", eine absolutistische Auffassung der Monarchie dar, die neoplatonisch den Herrscher zur alleinigen "Sonne des Staates" stilisierte. Pibrac erscheint samt Michel de l'Hospital als eine der Hauptstimmen des "parti politique", im offenen Widerspruch zu den reformierten Positionen eines François Hotman (Sylvie G. Davidson, 555-571). Dieser neostoizistisch geprägte Neoplatonismus von Pibrac dringt bis in die den Stichen von Bernard Salomon zu Ovids "Metamorphosen" (Lyon 1557) nachempfundenen Wandmalereien seines Humanistenkabinetts ein, dem von Montaigne vergleichbar (Laura Willett, 573-585).

Insgesamt präsentiert sich "L'Humanisme à Toulouse" damit als ein detail- und facettenreicher Sammelband, der als unumgängliche Referenz in der Forschung zum städtischen Humanismus in Frankreich gelten wird.


Anmerkungen:

[1] Vgl. jetzt auch - außer der im Band erwähnten Bibliographie - Elsa Kammerer: Schmelztiegel Lyon. Humanistische Literatur und religiöses Gedankengut im Spannungsfeld der Beziehungen zwischen Lyon und dem französischen Hof, Italien und Deutschland in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, (Diss. Univ.) Lille III/LMU München, 2005.

[2] In Anlehnung an die Lobgedichte zu Ehren der Stadt, die im Band zitiert werden: Auger Ferrier (7-9) und Bernard du Poey (11-14).

[3] Vgl. Olivier Christin: La Paix de religion. L'autonomisation de la raison politique au XVIe siècle, Paris 1997.

[4] Dieser von Hans Baron 1925 geprägte Begriff wird in dem Sammelband des öfteren bemüht (besonders von Géraldine Cazals, 69-90 und Isabelle Luciani, 301-335). Er bewegt sich im Spannungsfeld zwischen zwei Auffassungen des Humanismus, als "civic humanism" und als Studium der "litterae humaniores". Zur Debatte um diesen "civic humanism", vgl. James Hankins: The 'Baron Thesis' after Forty Years and some recent Studies of Leonardo Bruni, in: Journal of the History of Ideas 56 (1995), 309-338; Ronald G. Witt: AHR Forum. The 'Crisis' after Fourty Years, in: American Historical Review 101 (1996), 110-118, und ders.: In the Footsteps of the Ancients. The Origins of Humanism from Lovato to Bruni, Boston-Leyden 2000, 419-431. Wünschenswert wäre eine komparatistische Annäherung an das Problem der theoretischen Auffassung des Toulouser Humanismus, und wenn auch nur auf negative Weise, indem man die Unterschiede besser erkennen würde.

Roland Béhar