Rezension über:

Heidrun Ludwig: Die Gemälde des 18. Jahrhunderts im Landesmuseum Mainz, Mainz: Philipp von Zabern 2008, 436 S., 163 Farb-, 180 s/w-Abb., ISBN 978-3-8053-3747-2, EUR 89,00
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Rezension von:
Gerhard Kölsch
Goethe-Museum, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Gerhard Kölsch: Rezension von: Heidrun Ludwig: Die Gemälde des 18. Jahrhunderts im Landesmuseum Mainz, Mainz: Philipp von Zabern 2008, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 5 [15.05.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/05/14490.html


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Heidrun Ludwig: Die Gemälde des 18. Jahrhunderts im Landesmuseum Mainz

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Ein lange Zeit stiefmütterlich behandeltes Feld der Kunstgeschichte, die deutsche Staffeleimalerei des 18. Jahrhunderts, wird nunmehr seit etwa zwei Jahrzehnten wieder entdeckt. Dieses neue Interesse an einer ganzen Epoche zeigte sich bislang nicht allein in Ausstellungen und monografischen oder thematisch enger eingegrenzten Studien, sondern auch in einer verstärkten Publikation entsprechender Museumsbestände: Zu nennen wären etwa die Bestandskataloge der Gemälde des 18. Jahrhunderts in Darmstadt, Kassel und Berlin, die als Schwerpunkt gerade auch Werke deutscher Maler beinhalten. [1] Dass nun auch die Sammlung des Mainzer Landesmuseums durch einen Bestandskatalog wissenschaftlich erschlossen wurde, ist nicht nur von der Warte einer traditionellen, auf die eigenen Bestände fokussierten Museumsarbeit zu begrüßen. Die 225 besprochenen Einzelwerke stellen vielmehr eine bislang nur sporadisch wahrgenommene und wahrnehmbare, jedoch durchaus eindrucksvolle Museumssammlung erstmals in ihrer ganzen Bandbreite vor. Der Katalog wurde als Projekt einer freiberuflichen Kunsthistorikerin realisiert und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft über 3 Jahre gefördert. Dass sich der Abschluss des Kataloges jedoch über eine deutlich längere Zeitspanne hinzog, verdeutlicht den erheblichen Aufwand entsprechender Grundlagenforschung, die im Übrigen von internen Mitarbeitern und neben den alltäglichen Notwendigkeiten der Museumsarbeit kaum mehr bewältigt werden kann.

Bereits beim Durchblättern des gewichtigen Bandes wird deutlich, in welchem Maße der heterogen anmutende, keineswegs planmäßig angelegte Mainzer Bestand durch verschiedene Legate, Stiftungen und quasi "akzidentielle" Erwerbungen geprägt wurde. Glücklicherweise wird die Geschichte der Mainzer Gemäldegalerie in einem einleitenden, auf zum Teil neuem Quellenstudium beruhenden Essay skizziert (11-24). Die Sammlung kann aufgrund der 1801 beschlossenen und bis 1805 umgesetzten Überweisung von 44 Gemälden aus den Depots des Pariser "Musée Central des Arts" an die damals französisch besetzte Stadt als früheste Gründung eines kommunal getragenen Museums im heutigen deutschen Staatsgebiet gelten. [2] Erst 1967 wurden die in städtischem Besitz verbliebenen Werke dem neu gegründeten Landesmuseum als Dauerleihgabe überstellt. Aus Paris hatte man, neben älteren, meist großformatigen Gemälden, mit Jean-Marc Nattiers "Bildnis einer Dame" von 1741 (183-186) ein herausragendes Beispiel französischer Porträtmalerei, aber auch klassische Akademiestücke wie Jacques François Amands "Samson und Dalia" (27-30) und Jean Bardins "Tullia" (32-36) erhalten.

Außer einzelnen Erwerbungen und späteren Ankäufen bildeten zwei weitere Konvolute die Grundlage des Mainzer Bestandes: Bedeutenden Zuwachs erhielt die Galerie bis 1844 mit einem Legat des Frankfurter Kunsthändlers Martin von Metzler. Dieses umfasste annähernd 150 Galeriestücke in bunter Folge und nach aktuellem Sammlergeschmack, meist unter durchaus zu hoch gegriffenen Zuschreibungen, aber auch einige wenige Spitzenwerke wie Giandomenico Tiepolos "Zeltwirtschaft" (287-292) oder Antoine Pesnes "Bildnis Johann Sigismund Ebert" (188-190). Auch die Mainzer Bürgerin Elise Stör vermachte dem Museum 1873 rund 60 niederländische Kabinettgemälde und Beispiele regionaler Malerei der "Goethezeit". Werke der Frankfurter Malerfamilie Schütz, von Johann Conrad Seekatz und Johann Georg Trautmann oder von Mainzer Künstlern wie Johann Caspar und Georg Schneider bilden seitdem einen wichtigen Akzent der Sammlung. Daneben wird der Leser des Kataloges etlichen Namen begegnen, die bislang allenfalls Spezialisten kannten, wie Franz Joseph Kauffmann, ein Halbbruder Angelika Kauffmanns und seit 1774 Hofmaler der Mainzer Kurfürsten, oder Gottlieb Welté, der um 1780 von Mainz nach Litauen auswanderte und allenfalls als Radierer Beachtung fand. Weitere Mainzer Maler wie Joseph Anton Heideloff, Rudolf Jagemann oder Johann Jakob Kaul stehen für die Entdeckung einer bislang quasi unbekannten, lokalen Kunstproduktion des 18. Jahrhunderts.

Den nach Künstlern geordneten Katalognummern sind jeweils konzise, durchweg auf dem neuesten Stand der Forschung gehaltene Biographien vorangestellt. Die Katalogeinträge selbst enthalten detaillierte, durch Restauratoren des Museums erstellte Angaben zum materiellen Bestand und Zustand sowie eine sehr genaue Wiedergabe der Bezeichnungen. Dass die Autorin weiterhin akribisch Provenienzen verfolgt und sowohl handschriftliche Quellen als auch Museumsverzeichnisse ausgiebig zitiert, zeugt von ihrem spezifischen Interesse an Sammlungs- und Forschungsgeschichte und imponiert allein schon durch den schieren Umfang der notwendigen Aufarbeitung. Die Katalogtexte selbst beginnen mit einer angemessenen Beschreibung, hierauf folgen meist Überlegungen zur Datierung, zur Einordnung in das Œuvre des Künstlers oder zur motivischen, ikonografischen oder stilgeschichtlichen Ableitung, in manchen Fällen auch erneute Angaben zur Überlieferungsgeschichte.

Gerade wenn Porträts Mainzer Persönlichkeiten und Ansichten aus dem Mainzer Gebiet aus lokalhistorischer Perspektive ausführlich kommentiert werden, beeindruckt wiederum die Fülle des in positivistischer Manier zusammengetragenen Detailwissens. Freilich sind einige der Katalogtexte recht lang geraten und umfassen, mit ebenso umgangreichen Anmerkungen versehen, leichthin zwei oder drei Druckseiten. Da Ludwig auf eine abschließende Beurteilung der Werke häufig verzichtet, dürfte mancher Leser dem wie aus einem Füllhorn ausgeschütteten Detailwissen bisweilen ein wenig ratlos gegenüberstehen. Hier mag der neue Mainzer Bestandskatalog in erster Linie das Ausgangsmaterial zu einer weiteren kunsthistorischen Diskussion und Bewertung liefern, es stellt sich jedoch auch die Frage nach dem Sinn und den Zielen entsprechender Publikationen. Eine systematische Untergliederung der Katalognummern - etwa in materiellen Bestand und Beschreibung, Provenienz, Forschungsgeschichte und abschließende Diskussion [3] - hätte die Verständlichkeit und Lesefreundlichkeit der Ausführungen möglicherweise erhöht.

Diese Überlegungen können die Meriten des Bestandskataloges jedoch keineswegs in den Hintergrund drängen. Hervorzuheben wären zunächst die stets sorgsam abwägenden und auf umfassenden Recherchen beruhenden Überlegungen zur Autorschaft bzw. Zuschreibung zahlreicher Gemälde, wobei die Autorin mit einigen erhellenden Neuzuschreibungen aufwarten kann. An dieser Stelle müssen wenige Beispiele genügen, wie die Zuschreibung des Porträts von Kurfürst F.C.J. von Erthal an Jacob Samuel Beck (36-38; aufgrund eines monogrammierten Vergleichstücks), die Identifizierung eines bislang unpublizierten Porträts des Wiltener Abtes Norbert II. von Spergs als 1780 entstandenes Frühwerk von Johann Baptist Lampi d.Ä. (158-161; aufgrund urkundlicher Nennung sowie der Erstfassung in Innsbruck) oder die Zuschreibung einer bislang vage "Canaletto" zugeschlagenen venezianischen Ansicht an den kaum bekannten, bereits Anfang des 18. Jahrhunderts in Venedig tätigen Schweden Johan Richter (194-197; aufgrund eines Nachstichs mit Künstlerangabe). Andere Ausführungen sind eine bedeutende Bereicherung unserer regionalen Kunstkenntnis, wie die umfassende Dokumentation einer aus Kiedrich stammenden, freskierten Badezimmer-Dekoration von Johann Baptist Enderle (74-83) oder die Überlegungen zur Provenienz von fünf Landschaften Christian Georg Schütz d.Ä., wobei Ludwig mit guten Argumenten an den 1750 durch J.F.K. von Ostein an Schütz erteilten Auftrag von circa 80 Supraporten für das Mainzer Kurfürstliche Schloss denkt (245-254 und 395f.; der Zyklus galt bislang als verschollen).

Während kleinere Versäumnisse bei der Redaktion des Bandes nachsehbar sind (stehen gelassener Arbeitsvermerk "Siehe Bildakte" bei zwei ausgelassenen Werken: 207, 286; einige wenige fehlende bzw. abweichend gebildete Siglen im Literaturverzeichnis), wurde an der Ausstattung des Bandes teils empfindlich gespart. Zahlreiche der - durchweg gut wiedergegebenen - Abbildungen sind gehörig klein geraten, ganzseitige Tafeln bleiben eine seltene Ausnahme. Reichlich unüberlegt erscheint auch der Seitenumbruch, wenn dieser einerseits Fotos von Objekten und Vergleichstücken auseinanderreißt und andererseits "blinde" Doppelseiten allein mit Text produziert. Noch ärgerlicher wiegt der Verzicht auf Detailwiedergaben zahlreicher vorhandener Signaturen, und die dankenswert ausführlichen, technischen Objektbeschreibungen hätten durch mehr Abbildungen von Rückseiten erheblich gewonnen. Warum ein nach Künstlern geordneter Katalog ein Verzeichnis der Gemälde nach Künstlern erhielt, ist schlichtweg ein Rätsel; sinnvoll wäre stattdessen eine Konkordanz früherer und aktueller Zuschreibungen gewesen. Diese handwerklichen Mängel in der Publikation eines Traditionsverlages stimmen insgesamt nachdenklich - den beschriebenen Verdiensten des neuen Bestandskataloges können sie indes wenig Abbruch bereiten.


Anmerkungen:

[1] Heidrun Ludwig: Die Gemälde des 18. Jahrhunderts im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, Eurasburg 1997; Stefanie Heraeus (Bearb.) / Michael Eissenhauer (Hrsg.): Spätbarock und Klassizismus. Bestandskatalog der Gemälde in den Staatlichen Museen Kassel, Wolfratshausen 2003; Rainer Michaelis: Die Deutschen Gemälde des 18. Jahrhunderts. Kritischer Bestandskatalog, Staatliche Museen zu Berlin 2002. Außerdem wurden die deutschen Gemälde des 18. Jahrhunderts im Städelschen Kunstinstitut in knapper Form erfasst in dem Gesamtverzeichnis von Bodo Brinkmann / Jochen Sander (Bearb.): Deutsche Gemälde vor 1800 im Städel, Frankfurt am Main 1999.

[2] Vgl. den materialreichen, alle Mainzer Überweisungen nach dem sogenannten "Décret Chaptal" ausführlich dokumentierenden Ausstellungskatalog Sigrun Paas / Sabine Mertens (Hg.): Beutekunst unter Napoleon. Die französische Schenkung an Mainz 1803, Landesmuseum Mainz 2003.

[3] In entsprechender Weise verwendet etwa bei den Katalogen der Gemälde im Städelschen Kunstinstitut seit dem 2. Band von Jochen Sander: Niederländische Gemälde im Städel 1400-1550, Mainz 1993.

Gerhard Kölsch