Rezension über:

Carola Fey / Steffen Krieb / Werner Rösener (Hgg.): Mittelalterliche Fürstenhöfe und ihre Erinnerungskulturen (= Formen der Erinnerung; Bd. 27), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, 332 S., ISBN 978-3-89971-327-5, EUR 49,90
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Rezension von:
Gerrit Deutschlaender
Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Harald Winkel
Empfohlene Zitierweise:
Gerrit Deutschlaender: Rezension von: Carola Fey / Steffen Krieb / Werner Rösener (Hgg.): Mittelalterliche Fürstenhöfe und ihre Erinnerungskulturen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 3 [15.03.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/03/12557.html


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Carola Fey / Steffen Krieb / Werner Rösener (Hgg.): Mittelalterliche Fürstenhöfe und ihre Erinnerungskulturen

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Die Bemühungen von Gruppen, ein dauerhaftes kulturelles Gedächtnis zu bilden, sind ein wichtiger Gegenstand der Geschichtswissenschaft, die selbst ein Teil dieser Bemühungen ist. Seit 1997 werden im Rahmen des Gießener Sonderforschungsbereichs 434 die Inhalte, die Formen und der Wandel kultureller Erinnerung vom Altertum bis zur Gegenwart untersucht. Ein von Werner Rösener geleitetes Teilprojekt nahm zunächst adlige, bürgerliche und bäuerliche Erinnerungsformen des Mittelalters in den Blick [1], bevor es sich gezielt den Königs- und Fürstenhöfen des spätmittelalterlichen Reiches zuwandte. Der hier besprochene Sammelband geht auf ein Kolloquium zurück, das im Frühjahr 2005 im Gästehaus der Universität Gießen stattfand und bei dem vor allem nach der Entstehung gruppenspezifischer Identitäten und den Medien der Erinnerung an Fürstenhöfen gefragt wurde.

Die einzelnen Beiträge sind durch die Einführung von Werner Rösener (9-20) und den ausführlichen Schlussbeitrag von Christine Reinle (277-321) eingefasst. Der Band ist mit etlichen Schwarz-Weiß-Bildern in ausreichender Qualität versehen und enthält auch einige Farbtafeln. Damit es dem Leser nicht wie dem englischen Kleriker Walter Map geht, der nicht zu sagen wusste, was ein Hof ist, obwohl er sich selbst an einem aufhielt, stellt Rösener (Der mittelalterliche Fürstenhof. Vorbilder, Hofmodelle und Herrschaftspraxis, 21-41) zunächst dieses auf einen Fürsten ausgerichtete Sozialgebilde vor und weist auf die Bedeutung von Vergangenheitsbezügen in der fürstlichen Herrschaftspraxis hin. In den folgenden Beiträgen werden verschiedene Einzelaspekte untersucht: die Erinnerungskultur an einem geistlichen Hof (Volker Hirsch: Formen der Erinnerung am Basler Bischofshof im 15. Jahrhundert, 43-63), die Selbstthematisierung von Niederadligen (Steffen Krieb: Zwischen Dienst und Fest. Zur Wahrnehmung von Fürstenhöfen in Selbstzeugnissen reisender Adliger des Spätmittelalters, 65-88), die Rolle höfischer Dichtung und Geschichtsschreibung (Marcel Moning: Der Traum gelebter Ritterlichkeit. Zeitbezüge eines vergessenen Preisliedes auf Ludwig den Bayern, 89-106; Norbert Kersken: Auf dem Weg zum Hofhistoriographen. Historiker an spätmittelalterlichen Fürstenhöfen, 107-139), Wallfahrtserinnerungen und Begräbnisrituale (Carola Fey: Wallfahrtserinnerungen an spätmittelalterlichen Fürstenhöfen in Bild und Kult, 141-165; Brigitte Streich: Sepultus in Wymaria. Grablegen und Begräbnisrituale der Kurfürsten und Herzöge von Sachsen, 249-275) sowie Sachzeugen höfischer Erinnerungskultur (Karl-Heinz Spieß: Materielle Hofkultur und ihre Erinnerungsfunktion im Mittelalter, 167-184; Birgit Franke: Tapisserie als Medium für das fürstliche Bildgedächtnis. Herkules, die Amazonen und das ritterliche Turnier, 185-220; Matthias Müller: Der historische Ort und das mythologische Bild. Historienmalerei und Schlossbaukunst als visuelle Medien reichsfürstlicher Erinnerungskultur um 1500, 221-248).

Es ist ohne Zweifel aufschlussreich, sich damit auseinanderzusetzen, wie sich die höfische Gesellschaft erinnerte und welche Spuren sie hinterließ, um die Erinnerung wach zu halten. Die Bindung des Andenkens an Schrift und Gegenstände und die Herstellung einer Erinnerungsgemeinschaft schafften größere Dauerhaftigkeit, selbst wenn es trotz alledem immer wieder zu Brüchen und Verlust an Wissen kam. Fast bis zum Ende des Mittelalters lag der überwiegende Teil der Erinnerungsarbeit bei Geistlichen, den Spezialisten in Sachen Schriftlichkeit und Totengedenken, denn der Typus des Hofgeschichtsschreibers bildete sich im Reich erst um 1500 heraus. Klösterliche Gemeinschaften übten daher großen Einfluss auf die höfische Erinnerungskultur aus, obwohl das liturgische Totengedenken, das auf eine Gemeinschaft der Lebenden und der Toten abhob, der historischen Tiefendimension entbehrte (311). Die Klöster selbst erfuhren durch das höfische Erinnerungsbedürfnis eine Aufwertung, aber noch vor der Reformation wurden die Höfe selbst zu Orten der Erinnerung, fand das schrift- und bildgestützte Gedächtnis dort einen festen Platz. Dort wo der Faden der Erinnerung gerissen war, ließen sich fürstliche und gräfliche Familien gleichsam von Neuem in die Geschichte hineinschreiben.

Keimzelle einer spezifisch höfischen Erinnerungskultur war das Verschmelzen von geistlicher und weltlicher Tugend zum Ritterideal, das im 15. Jahrhundert übersteigert wurde von Fürsten, die in jeder Hinsicht die ersten ihres Landes sein und mit Schwert und Feder gleichermaßen umgehen wollten. Die Zunahme der Schriftlichkeit war in der Tat ein wesentlicher Faktor, doch strebte die höfische Erinnerungskultur weiterhin nach Bildlichkeit und Lebendigkeit. Was ist der schriftliche Bericht über eine fürstliche Wallfahrt gegen den lebendigen Bericht, den die Teilnehmer auf ihrem Rückweg abgaben, der sie bewusst über verschiedene Fürstenhöfe führte? Höfische Dichtung und höfisches Fest, die bereits Gegenstand intensiver Forschungen gewesen sind, kommen in dem Sammelband ein wenig zu kurz, obwohl gerade hier der Fürstenhof als der Ort erscheint, wo all das, was an ruhmvollen Taten in der Welt da draußen geschah, vermittelt und in Erinnerung gerufen wurde.

In ihrer Zusammenfassung greift Christine Reinle die Leitgedanken der einzelnen Beiträge auf und benennt einige noch nicht ausreichend beantwortete Fragen, etwa nach den Gründen für das immer wieder zu beobachtende Abreißen der Erinnerung. Abschließend richtet sie den Blick auf den niederen Adel, der sich erst im 15. Jahrhundert der Schriftkultur öffnete. Die Fragen, worin sich die Erinnerungskulturen der untersuchten Fürstenhöfe wirklich unterscheiden und wie sich Erinnerungskultur und Herrschaftsrepräsentation voneinander trennen lassen, müssen allerdings ebenso noch diskutiert werden. Bei aller Vielfalt, die nicht verwischt werden darf, ist es ein wichtiges Anliegen, die wesentlichen Merkmale herauszuarbeiten, nicht zuletzt um die Unterschiede zwischen der mittelalterlich-höfischen und der modernen Erinnerungskultur ausmachen zu können. Im Wetteifer um Deutungshoheit gab es jedenfalls keinen grundsätzlichen Unterschied, wiewohl es Grenzen gab, die durch die zur Verfügung stehenden Medien gesetzt waren.


Anmerkung:

[1] Werner Rösener (Hg.): Adelige und bürgerliche Erinnerungskulturen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (= Formen der Erinnerung; Bd. 8), Göttingen 2000. Ders. (Hg.): Tradition und Erinnerung in Adelsherrschaft und bäuerlicher Gesellschaft (= Formen der Erinnerung; Bd. 17), Göttingen 2003.

Gerrit Deutschlaender