Rezension über:

Susanne Ramm-Weber: Mit der Sichel in der Hand. Mythos und Weiblichkeit in der sowjetischen Kunst der dreißiger Jahre, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, VII + 233 S., 18 Farbtafeln, 90 Abb., ISBN 978-3-412-36305-5, EUR 34,90
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Rezension von:
Nicola Hille
Kunsthistorisches Institut, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Olaf Peters
Empfohlene Zitierweise:
Nicola Hille: Rezension von: Susanne Ramm-Weber: Mit der Sichel in der Hand. Mythos und Weiblichkeit in der sowjetischen Kunst der dreißiger Jahre, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 5 [15.05.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/05/10022.html


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Susanne Ramm-Weber: Mit der Sichel in der Hand

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In der bildenden Kunst der Stalinzeit spiegeln sich sowohl die Lebenswelten der Sowjetkultur als auch mythologische Vorstellungen wider. Welche Rolle und welche Funktion in diesem Kontext die Darstellung der Frau einnimmt, untersucht Ramm-Weber anhand der Präsentation von Weiblichkeit in der Kunst der 1930er-Jahre.

Die grundlegenden Fragen, die in der vorliegenden Studie gestellt werden, befassen sich mit den Funktionen, die den Weiblichkeitsentwürfen in dem neuen gesellschaftlichen System der Sowjetunion zukommen. Nach einem knappen und allgemein gehaltenen Überblick über die Entwicklung in der bildenden Kunst von der Avantgarde bis zum sozialistischen Realismus widmet sich die Autorin einzelnen Bildanalysen. In einer kontrastiven Gegenüberstellung zeigt sie die Entwicklungen und Veränderungen in der Darstellung der Frau von den 1920er zu den 1930er-Jahren auf.

Während die Kunst der 1920er-Jahre die Vorstellungen von Gleichberechtigung, die Befreiung der Frau aus sklavischer Hausarbeit und den Einsatz ihrer Arbeitskraft in der Industrie bildlich breit thematisiert, ändert sich mit Beginn der dreißiger Jahre die bildmotivische Ausrichtung auf die Mutterrolle sowie das private Familienleben.

Parallel zu dieser Entwicklung verändert sich auch das Erscheinungsbild der Frau. Ihre androgyne Gestalt der 1920er-Jahre erhält im Verlauf der 1930er-Jahre zunehmend weibliche Formen. Aus einer männlich-starken Arbeiterin wird die betont feminine Frau. Während die Frau auf den Bildern der zwanziger Jahre lachend von der Feldarbeit kommt und als Kolchosbrigadierin und Traktoristin dargestellt ist, wird sie auf den Bildern der dreißiger Jahre mit Blumen geschmückt. Ramm-Weber zeigt auf, dass auch die Attribute zum Thema Feldarbeit einem Wandel unterworfen sind. Der Traktor wird als Symbol eines technischen Fortschritts nur bis in das Jahr 1930 dargestellt, danach lösen ihn Korb und Rechen ab, die für die traditionelle Feldarbeit stehen. Die Darstellung von Garbe, Ähre, Brot und Früchten weisen zudem auf das Thema der Fruchtbarkeit hin.

In ihren Analysen der Gemälde und Plakate verdeutlicht die Autorin, dass sogar die rote Farbe ihre Konnotation wechselt. Die Farbe des Revolutionären wird zur Farbe der Schönheit. Schon der Sprachgebrauch stützt diese Funktion, denn "krasnyj" bedeutet "rot" und "schön" zugleich. Die Frau darf nun auch schöne, schmückende Kleider tragen und zunehmend rundliche Gesichtsformen zeugen von ihrem leiblichen und gesellschaftlichen Wohlergehen.

Begleitet wird dieser bildliche Wandel durch eine Diskussion um den Begriff und die Rolle von Schönheit in der proletarischen Kunst. Seit den dreißiger Jahren musste das Bild der sowjetischen Frau nicht mehr kämpferisch sein. Hierin liegt ein Hauptunterschied zur Darstellung der Frau in den 1920er-Jahren.

Nachdem Stalin auf dem 17. Parteitag im Januar 1934 verkündet hatte, dass die Frau dazu berufen sei, Kinder zu erziehen, rückte die Darstellung der Arbeiterin bildmotivisch in den Hintergrund. Diese neue Rollenzuweisung hatte einen nachhaltigen Einfluss auf die weitere Kunst- und Kulturpolitik. In der bildenden Kunst und im Propagandaplakat wurde nun vor allem das Thema der Mutterschaft betont. Dies geschah unter dem Blickwinkel einer erzieherischen Perspektive, denn es ging um die ideologische Aufzucht einer neuen Generation.

Dieser Paradigmenwechsel lässt sich anhand der veränderten Motivwahl und in der formalen und gestalterischen Entwicklung der sowjetischen Kunst der dreißiger Jahre aufzeigen. Als Beispiel sei hier auf den Künstler Alexander Deineka verwiesen, der in den 1920er-Jahren in zahlreichen Bildern die weibliche Arbeitskraft in der Industrie glorifiziert und mit Beginn der dreißiger Jahre das Thema Mutterschaft fokussiert. Während die Frauen in seinen Bildern "Auf dem Bau neuer Werkshallen" (1926) und "Textilarbeiterinnen" (1927) noch vehement in den Industrialisierungsprozess eingebunden sind und sich durch ihre Arbeit in der Fabrik mit dem sozialistischen Aufbau der Sowjetunion identifizieren, verdeutlicht das Bild "Die Mutter" (1932) die Hinwendung Deinekas zum Mythos einer neuen Weiblichkeit der 1930er-Jahre. In diesen Jahren porträtiert der Künstler die Frau nun vor allem in ihrem familiären Kontext und mit starker Betonung ihrer Mutterrolle.

Während die Darstellung der Familie in den Bildwelten der zwanziger Jahre keine Rolle spielt, wird sie in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre, einhergehend mit der Änderung der Familiengesetzgebung, geradezu dominant. Mutterschaft im "entfalteten Sozialismus" bedeutet nun, die "blühende Seite" des Lebens anzunehmen. Und so mag es nicht verwundern, dass die Blume als ein zentrales Attribut für die Darstellung der Frau ausgewählt wird. In nur wenigen Jahren kommt es zu einem weitgehenden Austausch der Bildattribute: Hammer und Sichel werden durch den Blumenstrauß ersetzt.

Die attributivische Beigabe von Blumen sollte die Freude am erreichten Wohlstand und den Erfolg des sozialistischen Aufbaus zum Ausdruck bringen und zugleich von einer positiv besetzten Emotionalität zeugen. Die Inszenierung des Frohsinns ging Hand in Hand mit der Darstellung von sozialistischen Feierlichkeiten und Festtagen. Neben den Attributen änderten sich auch die räumlichen Zusammenhänge, in denen die Frauen im Bild gezeigt wurden.

Die Darstellung des Frauentypus der dreißiger Jahre war eingebettet in eine breite Suche nach dem Bild des "neuen Menschen" in der Sowjetunion und sollte die Identifizierung mit dem System nachhaltig zum Ausdruck bringen. Die bildende Kunst diente hierbei als Identifikation stiftendes Instrument.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die sowjetische Kunst der dreißiger Jahre den Tatbestand bestätigt, dass mit der zunehmenden Abnahme der Teilhabe von Frauen an der Gestaltung politischer Wirklichkeit ihre Präsenz im Bild zunimmt. Dieses Phänomen wird von der Autorin anhand von zahlreichen Bildanalysen detail- und kenntnisreich untersucht.

Nicola Hille