Rezension über:

Istvan Hont: Jealousy of Trade. International Competition and the Nation-State in Historical Perspective, Cambridge, MA / London: The Belknap Press of Harvard University Press 2005, xviii + 541 S., ISBN 978-0-674-01038-3, GBP 32,95
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Rezension von:
Alexander Schmidt
SFB 482 "Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800", Friedrich-Schiller-Universität, Jena
Redaktionelle Betreuung:
Ute Lotz-Heumann
Empfohlene Zitierweise:
Alexander Schmidt: Rezension von: Istvan Hont: Jealousy of Trade. International Competition and the Nation-State in Historical Perspective, Cambridge, MA / London: The Belknap Press of Harvard University Press 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 3 [15.03.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/03/10907.html


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Istvan Hont: Jealousy of Trade

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Der Name "Cambridge" hat sich mittlerweile als eine Art Markenzeichen der politischen Ideengeschichte etabliert. Doch neben der erfolgreichen (Selbst-)Etikettierung als so genannte "Cambridge School" der Skinners und Pococks gibt es eine Reihe anderer profilierter Autoren zu entdecken. Ihre Forschungen bilden häufig Kontrapunkte zu den Arbeiten und Positionen der auch in Deutschland bekannteren Vertreter eines civic humanism. Der 1975 nach Großbritannien emigrierte ungarische Intellektuelle Istvan Hont zählt sicherlich neben John G. A. Pocock und dem im Sommer 2006 verstorbenen Robert Wokler zu einem der profiliertesten Kenner der Ideengeschichte des 18. Jahrhunderts. Das hier anzuzeigende Werk ist eine Sammlung von Aufsätzen, die beinahe das gesamte bisherige Lebenswerk Honts abbilden. Dieses dreht sich insbesondere um Fragen der politischen Ökonomie des 18. Jahrhunderts und der mit ihnen verbundenen moralphilosophischen Implikationen. Deren Erforschung ist vor allem mit Honts akademischer Heimat, dem King's College, Cambridge und Namen wie Donald Winch, Michael Sonenscher, Andrew Skinner und Nicholas Phillipson eng verbunden. Honts Aufsätze waren bisher oft nur wenigen Kennern bekannt und werden hier durch einen prominenten Verlag einer größeren akademischen Öffentlichkeit präsentiert. Übliche akademische Qualitätskriterien, zahlreiche Monografien und eine lange Publikationsliste, erfüllt Istvan Hont nicht. Dafür zählen seine dicht geschriebenen, abgewogenen und sorgfältig durchdachten Aufsätze neben den Arbeiten Pococks und der gerade erschienenen Cambridge History of 18th Century Political Thought zu dem interessantesten und besten, was zur politischen Ideengeschichte des 18. Jahrhunderts greifbar ist.

Die Texte Honts kreisen um die Grundlagen der Theorien Adam Smiths in Samuel Pufendorfs naturrechtlicher Geselligkeitstheorie (Kap. 1), um die englisch-irisch-schottischen Freihandelsdebatten vor dem Hintergrund neomachiavellistischer Politikkonzepte um 1700 (Kap. 2), um Fragen der nationalen Wohlfahrt, des Staatsdefizits und der ökonomischen Gerechtigkeit bei David Hume, Adam Smith und ihren schottischen und französischen Zeitgenossen (Kap. 3, 4 und 6). Thematisch etwas quer steht ein äußerst dichter Aufsatz zur Krise und der theoretischen Grundlegung des Kompositums Nationalstaat um 1800 vor allem in der Lehre repräsentativer Souveränität bei Emmanuel J. Sieyès (Kap. 7).

Für die Publikation hat Hont diese Aufsätze noch einmal überarbeitet und mit einer eine einheitliche Perspektive herstellenden Einleitung versehen, die eigentlich eine eigene Monografie darstellt (1-156!). Diese synthetisiert durch einen teilweisen Ebenenwechsel. Ähnlich wie der ebenfalls in Cambridge sozialisierte Richard Tuck stellt auch Hont die eigenen Forschungen zu den theoretischen Grundlagen westlich-liberaler Gesellschaften, d.h. Fragen nach Recht, Vergesellschaftung und Gerechtigkeit, nun stärker in den Kontext internationaler Staatenkonkurrenz und militärischen Konflikts. Nach Tuck war eine stark subjektive liberale Rechts- und Eigentumstheorie bereits bei Grotius mit Vorstellungen von aggressiver Landnahme, (humanitärer) Intervention und Bestrafung verbunden, die dem Staatsräsondenken der Späthumanisten im Prinzip des Selbsterhalts eine rechtliche Form gaben. [1]

Honts Einleitung thematisiert die sich herausbildende Verklammerung zwischen Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik einerseits und dem kompetitiven Staatensystem des späten 17. und 18. Jahrhunderts andererseits. Der einem Essay von David Hume entlehnte Titel macht damit auf eine neuartige, bis in heutige Globalisierungsdebatten nachwirkende Entwicklung aufmerksam. Mit Blick auf die früh entwickelten Gesellschaften Großbritanniens, Frankreichs und der Niederlande geht es um die systematische Instrumentalisierung von Handel und Wirtschaft durch Machtpolitik. Zahlreiche Aufklärer sahen darin bereits früh eine Korruption des eigentlich vergesellschaftenden und friedensstiftenden kommerziellen Austausches durch die Staatenkonkurrenz. Sie suchten gegenzusteuern. Die Vorstellungen von Hume, Smith und Kant von einem freien globalen Markt und gegenseitigem Wohlstandsgewinn werden damit als Gegenprogramm zu eifersüchtiger, bellizistischer Macht- und Handelspolitik erkennbar. Istvan Honts Sicht erscheint hier freilich stark durch die englische Perspektive geprägt. So ist es angesichts der rein sicherheitspolitischen Überlegungen der beteiligten Kabinette und auch mit Blick auf die Politischen Testamente Friedrich II. von Preußen nicht überzeugend, wenn er den Siebenjährigen Krieg als "combination of two commercial wars" bezeichnet (34). Dies ändert freilich wenig daran, dass Honts geschliffene Thesen gerade mit Blick auf die kriegerische Rivalität Frankreichs und Englands während der revolutionären und napoleonischen Ära (Kontinentalblockade) von höchstem historischen Interesse sind und auf eine geistesgeschichtlich vernachlässigte Dimension der Staatenkonkurrenz hinweisen. Seine Ausführungen werfen zugleich neues Licht auf den modernen Nationalismus. Dessen Entstehung erscheint damit nicht nur mit einem symbolischen Wettkampf von Intellektuellen verbunden. Mit der nationalen Handels- und Ressourcenkonkurrenz trat im 18. Jahrhundert eine neue Dimension hinzu, die die Interessen breiterer Bevölkerungsschichten unmittelbar erfasste.

Die meisten Aufsätze widmen sich neben David Hume seinem schottischen Landsmann und Zeitgenossen Adam Smith. Bei den Vertretern der so genannten schottischen Aufklärung untersucht Hont die Debatten um und die ersten Reflexionen auf die entstehende industrialisierte Kommerzgesellschaft, die immer wieder Bezüge zu den Problemen unserer Zeit aufweisen. Hont steht dabei neben einer Reihe anderer Forscher, die Smith nicht einfach - wie etwa Friedrich von Hayek - als Propheten des freien Marktes interpretieren. Stattdessen haben Hont und andere den schottischen Theoretiker in den Traditionen einer "natural jurisprudence" seit Grotius, Hobbes und Pufendorf verortet. [2] Dabei wurde Smiths Hauptwerk Wealth of Nations gerade auch mit Blick auf seine Theory of Moral Sentiments und Lectures of Jurisprudence gelesen. In einem bemerkenswerten Text zeigt Hont etwa, wie Smith Pufendorfs naturrechtliche Überlegungen zur Geselligkeit des Menschen und die damit verbundenen Gerechtigkeitsfragen aufnimmt (Kap. 1, 159-184). Die Frage nach der gerechten Verteilung von Gütern und nach der zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit bildet ein Leitmotiv von Smiths Stellungnahme in der "Rich Country-Poor Country"-Debatte (Kap. 3, 267-322). Dieses Leitmotiv kehrt wieder in den Auseinandersetzungen um die Freigabe der Getreidepreise, die die Crème der ökonomischen Theoretiker von Mirabeau, Quesnay, dem Abbé Galiani bis zu Adam Smith im von Hungerkrisen geschüttelten 18. Jahrhundert beschäftigte (Kap. 6, v.a. 403ff.). Hume und Smith setzten im Gegensatz zu christlichen Moralisten und neomachiavellistischen Bürgerhumanisten ("civic humanists") nicht auf eine rigide Luxusgesetzgebung, sondern die Fortschritts- und Wohlstandsdynamik des Marktes. Honts Schotten bieten damit zugleich eine klare Alternative zur neoklassisch-republikanischen Freiheitskonzeption aktiver Beteiligung durch den Bürgersoldaten, wie sie Pocock und Quentin Skinner prominent erforschten. An Stelle der "alten" Freiheit setzten Smith und Hume auf den Freiheitsgewinn durch den zivilisatorischen Fortschritt, Arbeitsteilung, Repräsentation und die urbane Wirklichkeit Europas. Anders als Skinner [3] möchte Hont jedoch keine historischen Alternativen zu gegenwärtigen Problemen und Paradigmen ausgraben.

Istvan Honts Buch liest sich damit vielmehr als historisches und skeptisches Korrektiv zu aktuellen Globalisierungsdebatten. Die Analyse historischer Konstellationen soll helfen, Fragen präziser zu stellen, Redundanzen und zirkuläres Denken politischer Theorie zu verhindern. Nichts könnte ein besserer historischer Beitrag zur Aktualität des 18. Jahrhunderts sein.


Anmerkungen:

[1] Richard Tuck: The Rights of War and Peace. Political Thought and the International Order from Grotius to Kant, Oxford 1999.

[2] Istvan Hont/Michael Ignatieff (Hrsg.): Wealth and Virtue. The Shaping of Political Economy in the Scottish Enlightenment, Cambridge 1983.

[3] Vgl. FAZ Nr. 292, 15.12.2006, 48.

Alexander Schmidt