Rezension über:

Rupert Moser / Sara Margarita Zwahlen (Hgg.): Endzeiten - Wendezeiten (= Collegium Generale Universität Bern. Kulturhistorische Vorlesungen; 100), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2004, 241 S., ISBN 978-3-906767-27-7, EUR 45,50
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Rezension von:
Mischa Meier
Seminar für Alte Geschichte, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Mischa Meier: Rezension von: Rupert Moser / Sara Margarita Zwahlen (Hgg.): Endzeiten - Wendezeiten, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/8423.html


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Rupert Moser / Sara Margarita Zwahlen (Hgg.): Endzeiten - Wendezeiten

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Der kleine Sammelband geht zurück auf eine Ringvorlesung an der Universität Bern im Jahr 1999/2000, die im Zeichen der vermeintlichen Jahrtausendwende stand (die - ganz unabhängig von dem jeweils präferierten chronologischen Modell - sicherlich nicht 1999/2000 erfolgte) und den Blick insbesondere auf apokalyptische und eschatologische Aspekte dieses Ereignisses sowie - davon ausgehend - der jüdisch-christlichen Geschichte insgesamt richtete. Von der Fülle der damals im Zusammenhang des 'Millenniums' erschienenen Literatur hebt sich der Band angenehm dadurch ab, dass er zwar auf ein breiteres Publikum zugeschnitten ist, die Ebene der wissenschaftlichen Seriosität aber nicht verlässt.

Das Spektrum der Beiträge, die immerhin einen Bogen von der jüdischen Apokalyptik bis zum 'Jahr-2000-Problem' spannen, ist freilich nur auf den ersten Blick reichhaltig, da die Vorträge sich zumeist um 'klassische' Themen gruppieren, wie die frühchristlichen Endzeiterwartungen im Kontext jüdischer Eschatologie, die Antichrist-Figur, die Naherwartungen zur Zeit der Reformation sowie generelle Fragen christlicher Zeitrechnung. In diesem Zusammenhang verwundert es ein wenig, dass die - in der Forschung freilich heftig umstrittenen - Endzeiterwartungen um das Jahr 1000 nur ganz am Rande erwähnt werden und über den endzeitlichen Kontext der Jahre um 500 und um 800 kein Wort verloren wird. Auch der Bereich islamischer Eschatologie wird nicht thematisiert.

Innerhalb des so skizzierten Zuschnitts des Bandes bieten die einzelnen Beiträge willkommene Überblicksdarstellungen: Der Wirtschaftsinformatiker Gerhard Knolmayer erklärt den Hintergrund des Y2K-Problems, das heißt des vor dem Jahreswechsel 1999/2000 allseits befürchteten globalen Computer-Chaos, das dann jedoch überraschend ausgeblieben ist, in dessen Vorfeld aber durchaus Endzeitängste greifbar wurden, die unter anderen immerhin so weit reichten, dass renommierte EDV-Spezialisten sich vor dem 'Millennium' für eine nachfolgende anarchische Endzeit rüsteten. Das weitgehende Ausbleiben der befürchteten Szenarien sei, so Knolmayer, allerdings durchaus nicht auf übertriebene Ängste zurückzuführen, sondern vielmehr auf eine systematische und minuziös durchgeführte Modernisierung der bedrohten Informationssysteme. - Einen instruktiven Überblick über die Geschichte der Antichrist-Figur und die wichtigsten Strömungen ihrer argumentativen Vereinnahmung vom Neuen Testament bis ins 20. Jahrhundert gibt der Kirchenhistoriker Martin George, der sich dabei von Fragen der Endzeit-Chronologie löst und darauf hinweist, dass die Erstellung apokalyptischer Zeitpläne "keine sachgemässe und keine autorengemässe Auslegung der neutestamentlichen Texte" sei (30 f.). - Samuel Vollenweider plädiert mit großem Nachdruck dafür, den Sachverhalt, dass die frühchristliche Eschatologie nur vor dem Hintergrund der jüdischen Apokalyptik verständlich und daher in deren Kontext zu interpretieren ist, nicht zu vernachlässigen: "Die antike jüdische Apokalyptik lässt sich mit einigem Recht als die Matrix des frühen Christentums bezeichnen" (71). - Die "Auseinandersetzung von Kunst und Kultur mit der bildhaften Bewältigung des apokalyptischen Stoffes" (81), das heißt der Offenbarung des Johannes, ist das Thema der Untersuchung der Kunsthistorikerin Ellen J. Beer, deren Wert allerdings dadurch geschmälert wird, dass keine Bildbeispiele mit beigegeben worden sind. - Der Historiker Hans-Jürgen Goertz lässt einmal mehr die seit Langem geführte Diskussion über den Zeitpunkt des Beginns der Neuzeit Revue passieren und fügt den bekannten Argumenten die spannende These hinzu, dass die in der Frühen Neuzeit allenthalben greifbare Vorstellung vom baldigen Ende der Welt einen wichtigen Beitrag zum Entstehen eines Bewusstseins vom Beginn einer neuen Zeit geleistet habe. - Mit den Endzeiterwartungen um 1500 beschäftigt sich auch Heinrich Richard Schmidt, der die Reformation als einen wichtigen Angelpunkt deutet, der Zeitgenossen neuen Halt in einer zunehmend als chaotisch empfundenen Welt geboten habe; er diskutiert in diesem Zusammenhang vor allem die Konzepte Luthers und Zwinglis. - Der Kirchenhistoriker Gottfried Seebaß richtet den Blick auf apokalyptisch (beziehungsweise besser: eschatologisch) ausgerichtete Gruppierungen im neuzeitlichen Christentum, wie zum Beispiel Pietisten, Zeugen Jehovas, Mormonen. - Der Ethnologe Rupert Moser blickt vor dem Hintergrund der jüdisch-christlichen Apokalyptik auf vergleichbare Bewegungen in außereuropäischen Kulturen (Maji-Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika 1905-1907, Entstehung des Spiritismus in Nordamerika um 1800). - Die beiden letzten Beiträge bilden insofern eine Einheit, als sie sich mit Zeitmessung und Zeitrechnung aus naturwissenschaftlicher und historischer Perspektive befassen: Gerhard Beutler erläutert die Grundlagen astronomischer Zeitmessung, während der Germanist Hubert Herkommer die Geschichte der christlichen Zeitrechnung zusammenfasst.

Der Sammelband stellt eine lesenswerte, interdisziplinär angelegte Einführung in Probleme und Sachverhalte dar, die aufgrund des 'Millenniums' kurzfristig ein breiteres Interesse in der Öffentlichkeit geweckt haben.

Mischa Meier