Rezension über:

Natalie Scholz: Die imaginierte Restauration. Repräsentation der Monarchie im Frankreich Ludwigs XVIII.., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006, VIII + 306 S., 29 Abb., ISBN 978-3-53419-127-7, EUR 74,90
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Rezension von:
Jens Ivo Engels
Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Jens Ivo Engels: Rezension von: Natalie Scholz: Die imaginierte Restauration. Repräsentation der Monarchie im Frankreich Ludwigs XVIII.., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/10225.html


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Natalie Scholz: Die imaginierte Restauration

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Die zu besprechende Studie widmet sich einem spannenden und viel versprechenden Thema, das in der Monarchieforschung bisher erstaunlicherweise recht wenig Beachtung gefunden hat: Wie (re)konstitutierte sich die Imagination der Monarchie in Frankreich nach dem jähen und blutigen Ende des Ancien Régime in der Revolution? Natalie Scholz untersucht in ihrer Dissertation, die im Kontext des Münsteraner Sonderforschungsbereichs "Symbolische Kommunikation" entstanden ist, wie Diskurse und Bildproduktionen die Monarchie ab 1814/15 "neu herstellten" (2). Sie konzentriert sich dabei auf die mediale Begleitung der Rückkehr der Bourbonen sowie auf einen zweiten Ereigniskomplex, nämlich die Ermordung des Herzogs von Berry 1820. Scholz stellt insbesondere die Schwierigkeiten und Aporien in den Mittelpunkt, welche sich nach dem Ende von Revolution und napoleonischem Empire bei der symbolischen Restauration der Bourbonendynastie ergaben. Zugleich weist sie aber auch auf die Erfolge neuer Inszenierungen des Königtums hin. So entsteht eine facettenreiche Darstellung der Chancen und Probleme einer Repräsentation der Monarchie unter den Bedingungen der Moderne - hier insbesondere charakterisiert durch das Auseinandertreten der privaten und der öffentlichen Sphäre sowie des Gegensatzes von Nation und Monarch.

Scholz greift weit in die Geschichte aus; sie erläutert die Probleme monarchischer Repräsentation seit dem frühen 18. Jahrhundert und geht insbesondere auf die Herausforderung durch die Revolution ein, die die Strukturen und Symbole der Monarchie weit gehend verschwinden ließ, indem die Nation an die Stelle der Monarchie als politisches Organisationsprinzip trat. Die napoleonische Selbstinszenierung stellte insbesondere die militärischen und verwaltungstechnischen Leistungen des Korsen in den Mittelpunkt. Scholz stellt überzeugend dar, wie die restaurierte Bourbonendynastie gemäß ihrem legitimistischen Selbstverständnis vorsichtig an vorrevolutionäre Repräsentationsformen anknüpfte, zugleich aber auch neue symbolische Ressourcen erschloss. Das symbolische Übergewicht Napoleons schloss auch noch für mindestens fünf Jahre nach seiner Abdankung einen Rekurs auf meritokratische und militärische Inszenierungen aus - Elemente, die das Wesen moderner politischer Legitimation eigentlich bestimmten, so Scholz. Stattdessen besannen sich die Bourbonen auf ein anderes Element modernen Denkens, nämlich die Entstehung der individualisierten Privatsphäre, die von Empfindsamkeit geprägt wurde. So ließ sich Ludwig XVIII. nicht nur in der Pose des Privatmannes darstellen, sondern ließ seine Rückkehr nach Frankreich in emotional gefärbten Kategorien unter Verwendung des Vater-Motivs interpretieren. Die Ermordung des Herzogs von Berry 1820 bot einen weiteren Anlass für die Beschwörung emotionaler Bindungen zwischen Königshaus und Bevölkerung. Auch die Versöhnung von Monarchie und Nation wurde in Angriff genommen, wobei neben der "Sühne" des Königsmordes von 1793 vor allem der Rekurs auf die nationale Geschichte im Mittelpunkt stand. Großes Gewicht erhielt vor allem die Gestalt Heinrichs IV., der je nach Kontext die Rolle des volkstümlichen Königs oder entrückten Helden zugewiesen bekam.

Scholz schildert außerdem wie es möglich wurde, politische Niederlagen der Bourbonen für die Selbstinszenierung zu nutzen, so etwa das kurzfristige Exil während der "100 Tage" Napoleons. Die Option einer heroisch-militärischen Inszenierung lebender Mitglieder der Bourbonenfamilie bot sich erst ab dem erfolgreichen Krieg gegen Spanien 1823. Auch die religiösen Inszenierungen der Monarchie erlebten erst nach einiger Zeit, nämlich in den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts, eine gewisse Renaissance - und zwar in einem Maße, das es den säkularisierten und liberal eingestellten Zeitgenossen zunehmend schwerer machte, die bourbonische Politik mit zu tragen.

Scholz zeigt eindrücklich, dass die symbolpolitische Lage der Monarchie nach dem Ende des Empire schwierig, wenn nicht gar prekär war. Allerdings will nicht ganz einleuchten, warum zur Erklärung einmal mehr auf die Sakralitäts-These zurückgegriffen werden muss, die stillschweigend davon ausgeht, in grauer Vorzeit sei die Repräsentation der Monarchie unproblematisch gewesen. Doch mit fundamentalen Repräsentationsproblemen hatte die Monarchie immer zu kämpfen, man denke nur an die konfessionelle Vergangenheit Heinrichs IV. Entscheidender ist doch wohl ein anderer Umstand, nämlich der, dass im frühen 19. Jahrhundert erstmals reale politische Alternativen existierten. Die Fixierung auf die Desakralisierungsthese bringt es nämlich mit sich, dass ein (wirklich neuer) kritischer Aspekt der Herrscherrepräsentation nach 1789 zwar immer wieder implizit anklingt, aber nicht systematisch erschlossen wird: die Tatsache nämlich, dass die Monarchie nun faktisch eine politische Partei unter anderen war - und diese Tatsache um jeden Preis kaschieren musste. Das führte zu der paradoxen Situation, dass die Krone sich zumindest bis Anfang der Zwanzigerjahre gegen Darstellungen ihrer ultraroyalistischen Parteigänger zur Wehr setzen musste (etwa Kap. VII).

Ein zweites Monitum betrifft die Analyse der Repräsentationen, die häufig nicht zwischen Produktion und Rezeption, zwischen "Darstellung" und "Vorstellungsbild" (2) der Monarchie unterscheidet. Selbstverständlich sind beide Aspekte zwei Seiten einer Medaille, doch sollte stärker auf mögliche Diskrepanzen zwischen den Intentionen (der Künstler, Autoren) und der Aneignung durch die Rezipienten geachtet werden. In vielen Fällen wird man mangels Quellen über Letzteres nicht viel sagen können - dies sollte aber klar thematisiert werden. Hieran schließt ein letzter Kritikpunkt an: die Autorin schöpft aus einem reichen Quellenreservoir. Insbesondere die systematische Berücksichtung von Bildquellen mit dichten Verweisen auf ästhetisch-stilistische Kontexte ist ein großer Vorzug dieser Arbeit. Gern hätte man aber mehr über die Produktionsbedingungen der Quellen erfahren. Schließlich sind alle Dokumente Ergebnisse nicht nur politischer, sondern auch wirtschaftlicher Strategien.

Insgesamt ergibt sich das Bild einer materialreichen, in sich schlüssig argumentierenden und in weiten Teilen überzeugenden Arbeit, die einen bemerkenswerten Beitrag zur Geschichte der Monarchie im 19. Jahrhundert leistet.

Jens Ivo Engels