Rezension über:

Alice Jarrard: Architecture as Performance in Seventeenth-Century Europe. Court Ritual in Modena, Rome, and Paris, Cambridge: Cambridge University Press 2003, XVI + 298 S., 52 line diagrams, 73 half-tones, 8 colour plates, ISBN 978-0-521-81509-3, GBP 60,00
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Rezension von:
Eva-Bettina Krems
Kunstgeschichtliches Institut, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Eva-Bettina Krems: Rezension von: Alice Jarrard: Architecture as Performance in Seventeenth-Century Europe. Court Ritual in Modena, Rome, and Paris, Cambridge: Cambridge University Press 2003, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/8280.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Alice Jarrard: Architecture as Performance in Seventeenth-Century Europe

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Man könnte meinen, dass sich Alice Jarrard gemäß dem Titel ihrer Studie auf diejenigen Bauten konzentriert, die, vornehmlich ephemer, im Zusammenhang von Festen und Turnieren oder für Theater- und Opernaufführungen während der Regierungszeit des Herzogs Francesco d'Este in Modena (1629-59) entstanden sind. Der Titel - "Architecture as performance" - ist jedoch durchaus programmatisch zu verstehen: Jarrards Studie ist kein Buch allein über Feste und Festarchitektur, sondern der ehrgeizige Versuch, zu weiterführenden Erkenntnissen über die Art der Indienstnahme von Kunst und Architektur für politische Zwecke - "in order to construct an image of transcendent power" - zu gelangen.

Dieser Versuch gelingt Jarrard auf überzeugende Weise und zwar aus mehreren Gründen: Sie vermeidet einen engen Gattungsbegriff und nimmt die hohen Hürden zwischen den Gattungen und Medien nahezu spielerisch. Damit ist eine Grundqualität höfischer Kunst und Architektur, ihr synästhetischer Charakter, als konstitutiv für die Untersuchung von Hofkultur etabliert. Jarrards Augenmerk gilt daher nicht allein den sehr aufmerksam untersuchten Festlichkeiten und ephemeren Bauten (vgl. besonders die Amphitheater), sondern auch der "dauerhaften" höfischen Architektur, vor allem dem Palazzo Ducale und großen Teilen seiner Ausstattung, sowie den höfischen Porträts, die sie in ein mäzenatisches System, in "types of commissions", einzubetten versucht. Die lebendige, enorm kenntnis- und materialreiche Darstellung, die über weite Strecken ohne das in amerikanischen Publikationen oft störende Schlagwort-Stakkato auskommt, resultiert dabei aus der fundierten und breiten Quellenlage, die viele Thesen historisch zu verankern hilft. Das zeitgenössische Publikum, die "audience", ist Jarrards ständiger Bezugspunkt, und sie ist bestrebt, der Rezeptionshaltung dieser "audience" mithilfe von Berichten von Reisenden und Gesandten, mit Festbeschreibungen oder auch anhand von Zeremonialprotokollen auf die Spur zu kommen. Hier liegen wichtige Grundlagen für ihren sensiblen Umgang mit zeitgenössischen Stichen und weiteren Bilddokumenten.

Jarrard kann nicht zuletzt deswegen neue Einsichten präsentieren, weil sie eine im Ansatz vergleichende Studie vorlegt: Modena, Paris und Rom sind die Koordinaten. Während Paris und Rom zu den durchaus gängigen Bezugspunkten gehören, ist Modena bisher innerhalb dieser transterritorialen Dynamik kaum in Erscheinung getreten. Sehr zu Unrecht, wie nun Jarrard belegt, die nicht allein deutlich machen kann, wie groß und auch teilweise erfolgreich die Anstrengungen des Souveräns eines oberitalienischen Kleinstaates waren, mittels künstlerisch-architektonischer Repräsentation die politische Autonomie gegenüber den europäischen Großmächten Frankreich und Spanien zu wahren (oder zumindest die Illusion davon zu geben); vielmehr kann Jarrard dank ihres Blickwinkels ebenso neue Einsichten zur höfischen Kultur in Paris und Rom in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts präsentieren.

Die Begründung für die am Hof der Este in Modena seit den 1630er und besonders in den 1650er-Jahren in höchst aufwändiger Weise gepflegte Festkultur findet sich, so Jarrard, in den spezifischen historischen Bedingungen: Nach der nicht lange zurück liegenden gewaltsamen Vertreibung der Este von ihrem angestammten Sitz in Ferrara - Ferrara wurde 1598 Teil des Kirchenstaates - versuchte Francesco d'Este nach der Verleihung des Herzogtitels (1629) mithilfe zahlreicher Turniere, Theater- und Opernaufführungen in der mittelalterlich geprägten Stadt Modena (deren architektonische Strukturen kaum dem verlorenen Stammsitz Ferrara entsprachen) eine neue dynastische, vor allem auf militärische Repräsentation gründende Identität zu etablieren, "a new and enduring dynastic image". Hier bot sich die Möglichkeit, die "Magnifizenz" als oberste Fürstentugend zu inszenieren, was eine dauerhafte Form zunächst, rein aus pragmatischen Gründen, nicht ermöglicht hätte. Es galt, mittels dieser aufwändigen temporären Projekte der Stadt des Exils (Modena) das Gepräge einer "capitale" zu verleihen sowie die Illusion einer engen Bindung zwischen Stadt und Hof zu geben und damit die anvisierte architektonische Transformation der gesamten Stadt zu fundieren.

Die aus dieser ephemeren Festarchitektur und -kultur entwickelten Konzepte wurden schließlich in dauerhafte höfische Architektur, vor allem auf die Umbauten des Palazzo Ducale, übertragen - eine interessante, aber nicht unproblematische These, die wohl mehr der Absicht entspringt, ein "mäzenatisches System" bis in die kleinsten Verästelungen verfolgen zu wollen, anstatt die Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit zum Thema zu machen. Im Palazzo Ducale sei jedoch nicht allein eine den Festen verwandte militärische Repräsentation zum Tragen gekommen, sondern es wurde auch mittels monumentaler Treppen und langer Enfiladen auf eine zeremonielle Praxis bezug genommen, die, so Jarrard, eher königlichen Höfen vorbehalten war und Francescos Ehrgeiz im "internationalen" Gefüge illustrierte. Der Anspruch werde dabei durchaus schon in der schieren Größe des den Umfang des alten Castello verdoppelnden neuen Palazzo Ducale deutlich (bestechend ist der maßstabsgerechte Vergleich mit Grundrissen anderer Residenzen). Die für die bisherige Forschung seltsam anmutende Verbindung der Fassade mit den Turmaufbauten erklärt Jarrard als bewusst sichtbar gemachte, auch auf politische Ereignisse Bezug nehmende Transformation vom Castello zum Palazzo: Es sei eine sich wandelnde Semantik erkennbar vom "castle which implied a feudal arrangement, to palace, which signified a governmental center". Große Aufmerksamkeit widmet Jarrard ebenso den Innenräumen, deren Bedeutung, etwa die der Scala Ducale, wiederum nicht ohne die spezifische zeremonielle Praxis zu verstehen ist. Zu Recht betont sie hier die kluge (aber vielleicht auch sehr durchschaubare) Taktik Francesco d'Estes, sich mittels des Zeremoniells und dementsprechender architektonischer und ausstattungsspezifischer Zeichen seines Rangs und seiner Ambitionen zu versichern.

Innerhalb dieser von zeremoniellen Modalitäten und politischen Aktivitäten geprägten herzoglichen Repräsentationsbemühungen werden schließlich auch die höfischen Porträts untersucht und damit ein hochbedeutender Teil der mobilen Ausstattung von Schlössern und Palästen. Jarrard widmet sich dabei nicht allein einzelnen berühmten Beispielen wie Berninis Bildnisbüste des Herzogs; vielmehr ist es gerade die mühsame Rekonstruktion der Verteilung dieser Porträts an den für die Este so wichtigen Orten wie Ferrara, dem alten Stammsitz, und Modena, aber ebenso auf dem Landschloss Sassuolo, die für ein Verständnis der herrschaftlichen und dynastischen Legitimierung so aufschlussreich ist, freilich auch hinsichtlich des Publikums, das sich von dem der Feste wiederum unterschied. Der Wandel, der während der knapp dreißigjährigen Regierung Francesco d'Estes hinsichtlich der Porträtverteilung und -inszenierung zu beobachten ist, ist jedoch nicht allein den Fassetten dynastischer Repräsentation geschuldet, sondern auch veränderten ästhetischen Kriterien, die gerade in den inneren Gemächern der Appartements in den 1650er-Jahren zu beobachten sind und die bei dem ikonologisch-ikonografischen Übergewicht in Jarrards Studie nur ein Schattendasein führen.

Im letzten Kapitel weitet sich der Blick auf den "dialogue between Modena, Rome, and Paris", und hier begibt sich Jarrard auf ein schwieriges Terrain, in das komparatistische Studien immer geraten - vermutlich ein Grund dafür, weshalb es in der Kunstgeschichte nur wenige konsequent vergleichende Untersuchungen gibt: Man findet zumeist eine unterschiedliche Forschungsdichte vor, und man wird (eigentlich) gezwungen, über seine Perspektive Rechenschaft abzulegen. Es gibt vor allem in den Literatur-, Kultur- und Geschichtswissenschaften eine lange und in den letzten Jahren wieder intensiver gewordene Debatte über den "Vergleich als Methode", auch aus Anlass der unter dem Label "Kulturtransfer" immens wachsenden Forschungsliteratur. Dieses methodische "Brodeln", welches die Kunstgeschichte ohnehin nur partiell zu erfassen scheint, registriert und kommentiert Jarrard nicht; sie reflektiert ihr methodisches Vorgehen nicht, und vermutlich geht es ihr letztlich auch nicht wirklich um eine komparatistische Studie, mag der Untertitel dies auch ankündigen. Der von ihr zu Recht beobachtete und überzeugend dargestellte "dialogue" zwischen den Höfen - "the Este court influenced patronage in capitals such as Turin, Rome, and Paris" - bleibt so lange transparent, so lange dieser Dialog von individuellen Akteuren (ungeachtet administrativer Strukturen) gestaltet wird. Die Bedeutung etwa Enzo Bentivoglios, der neben Modena für Rom, Parma und auch für Frankreich tätig war, arbeitet Jarrard überzeugend heraus und gibt damit indirekt wichtige Hinweise auf die im fortschreitenden 17. Jahrhundert zwischen Neapel und Stockholm sich bewegenden Agenten und Fachleute, deren Indienstnahme für verschiedenste Projekte zumeist unabhängig von ihrer nationalen Herkunft betrieben wurde. Jarrards Studie ist anregend vor allem in ihrer Forderung, die kleineren Höfe aus dieser bisher oft rein bilateral besetzten Impulsdynamik (Rom - Paris) als gestaltende Faktoren keinesfalls auszuschließen, ganz im Gegenteil: an diesen kleineren Höfen mit überschaubaren Strukturen und einem oftmals dringlicheren Repräsentationsbedürfnis war häufig eher der Nährboden für Neuerungen bereitet. Jetzt gilt es über diese (letztlich doch wieder eingleisige) Impulsgebung hinaus unter dem Paradigma des konsequenten Vergleichs noch dezidierter das Mit- und Gegeneinander, die Wechselwirkung und Konkurrenz verschiedener Repräsentationsformen im europäischen Spannungsfeld - und damit sind auch die nordalpinen Höfe gemeint - transparent werden zu lassen.

Eva-Bettina Krems