Rezension über:

Diane Preston: "Wurden torpediert, schickt Hilfe". Der Untergang der Lusitania 1915. Aus dem Englischen von Udo Rennert und Peter Torberg, München: DVA 2004, 547 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-421-05408-1, EUR 24,90
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Rezension von:
Sven Oliver Müller
Universität Bielefeld
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Sven Oliver Müller: Rezension von: Diane Preston: "Wurden torpediert, schickt Hilfe". Der Untergang der Lusitania 1915. Aus dem Englischen von Udo Rennert und Peter Torberg, München: DVA 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 6 [15.06.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/06/6733.html


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Diane Preston: "Wurden torpediert, schickt Hilfe"

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Der Torpedo traf die Lusitania um 14.10 Uhr an Steuerbord auf der Höhe der Kommandobrücke. Nur Augenblicke vor dem Einschlag hatte Kapitän William T. Turner die Warnung des Ausgucks erhalten; zu spät, um auszuweichen. Der Treffer löste aus bis heute letztlich ungeklärten Ursachen eine interne Explosion aus, und das Schiff sank schnell. Viele Passagiere hatten sich beim Mittagessen befunden und stürzten in Panik auf das Bootsdeck. Doch zum geordneten Herablassen der Rettungsboote blieb kaum Zeit. Die Lusitania legte sich auf die Seite und sank nur 18 Minuten nach der Torpedierung durch das deutsche Tauchboot U 20. Vom wenige Meilen entfernten Queenstown an der südirischen Küste war die Katastrophe bemerkt worden, und eine Flottille aus Kuttern und Fischerbooten eilte zur Hilfe. Doch für 1195 Männer, Frauen und Kinder - 192 Amerikaner unter ihnen - kam diese zu spät. Es war Freitag, der 7. Mai 1915.

Vom nächsten Morgen an beherrschte die Nachricht von der Versenkung der Lusitania die Schlagzeilen der fassungslosen Presse in Großbritannien, den USA - und in zahllosen anderen Krieg führenden und neutralen Ländern. Zeitungen der unterschiedlichsten politischen Richtungen empörten sich nicht allein über das ungekannte menschliche Ausmaß der Katastrophe. Ebenso war klar, dass mit der Versenkung dieses großen Passagierschiffes ein neues Zeitalter der Kriegführung eröffnet worden war. Gerade die Kommentatoren der britischen Presse zeigten sich entsetzt über das Ende des von ihnen bisher praktizierten Unterschiedes zwischen Kombattanten und Zivilisten. Als unmittelbare Reaktion auf die Nachricht von der Torpedierung der Lusitania brachen im ganzen Land deutschfeindliche Unruhen aus. Da es den meisten Briten verwehrt blieb, ihre aufgestauten Emotionen an deutschen Soldaten auszulassen, mussten die etwa 60.000 in Großbritannien lebenden Deutschen die schlimmsten Pogrome in der britischen Geschichte des 20. Jahrhunderts über sich ergehen lassen.

Der Untergang der Lusitania hat die Zeitgenossen, hat die Öffentlichkeit wie die Wissenschaftler seit nunmehr 90 Jahren beschäftigt. Viele Fragen sind bis heute nicht befriedigend beantwortet: Wie konnte es überhaupt zu dieser Katastrophe in britischen Gewässern kommen? Warum ignorierte man im Vorfeld die Warnungen vor deutschen U-Booten und verzichtete auf Geleitschutz? Wie ist es zu erklären, dass das Schiff bei niedriger Geschwindigkeit seinen Zielhafen auf direktem Kurs ansteuerte? Vor allem: Was hatte die Lusitania tatsächlich geladen und warum sank sie nur wenige Minuten nach ihrer Torpedierung? Diesen Problemen sucht die englische Historikerin und Journalistin Diana Preston auf der Basis von - wie sie selber jedenfalls hervorhebt - teilweise neu entdecktem Archivmaterial und von Augenzeugenberichten auf den Grund zu gehen.

Prestons Buch liest sich ausgesprochen gut, gelegentlich geradezu fesselnd. Bewusst wendet es sich, auch durch den Verzicht auf einen ausführlichen Anmerkungsapparat, an ein breites Publikum. Plastisch und weit ausholend erzählt Preston die Geschichte vom Bau des Schiffes und dem luxuriösen Leben an Bord, das die Passagiere der 1. Klasse führten, um sich dann eingehend den Umständen der Torpedierung, dem menschlichen Leid, dem Chaos des Unterganges und schließlich den empörten, propagandistischen Reaktionen und Gegenreaktionen im Kontext des Ersten Weltkrieges zu widmen. Denn die Versenkung eines großen Passagierschiffes und der Tod von über 1000 Zivilisten stellte in der Anfangsphase des Ersten Weltkriegs ein international erschütterndes Novum dar und gab der alliierten Hasskampagne gegen die deutschen "Hunnen" erst den eigentlichen Auftrieb.

Besonderes Augenmerk richtet die Verfasserin auf die Umstände des Unterganges und diskutiert verschiedene Erklärungsansätze. Kein Zweifel kann nach heutigem Kenntnisstand darin bestehen, dass die Lusitania Munition und andere kriegswichtige Konterbande für die Alliierten beförderte. An Bord befanden sich mehrere tausend Kisten mit Gewehr- und Granatmunition. Doch ausschlaggebend für den Untergang waren nicht diese Güter, sondern die Stelle des Schiffes, an der es getroffen wurde. Das Torpedo von U 20 beschädigte die Lusitania an Steuerbord zwischen Kesselraum Eins und seinem anschließenden Querbunker und verursachte das Eindringen von Meerwasser in das Orlopdeck und die Kohlebunker. Durch diesen äußerst unglücklichen Treffer, der vermutlich durch eine Kohlenstaubexplosion zusätzliche Verwüstungen hervorrief, wurde die gesamte Konstruktion so schwer verformt, dass das Schicksal des Schiffes besiegelt war. Kurzum: Die Lusitania fiel keiner Verschwörung zum Opfer, nicht einmal ihrer gefährlichen und illegalen Ladung, sondern unglücklichen Umständen, der Nachlässigkeit der eigenen Offiziere und den Fehlern der britischen Admiralität.

Die unbestreitbaren Vorzüge des Buches, vor allem die überzeugenden Erklärungen der Katastrophe selber, gerade aber auch der flüssig lesbare Stil, das spannende Thema und die plastische Illustration, verweisen gleichzeitig auf die Grenzen der Darstellung. Es irritiert die sensationslüsterne journalistische Aufmache der Tragödie, die plakative Ankündigung von neuen Erkenntnissen - die dann doch eher Bekanntes bestätigt. Die biografische Form der Dokumentation, die Klatschperspektive auf die Vanderbilds und die elitären Passagiere der 1. Klasse oder die eingehende Schilderung der kulinarischen Präferenzen von Kapitän Turner, verraten wenig über die Geschichte des Schiffes und den historischen Kontext des Ersten Weltkrieges, aber einiges über die Erwartungshaltung des Lesepublikums in Folge der Titanicmode, die Preston viel zu willfährig bedient. Vielleicht am stärksten befremdet der Fokus der Verfasserin auf das menschliche Leid der Ertrinkenden. Minuziös schildert sie den Kampf der Passagiere und der Besatzung um das eigene Leben und produziert dabei dramatisierende Sätze von zeitloser Peinlichkeit: "Mit dem Wasser stieg auch die Angst" (211).

Insgesamt hat Preston eine oft fesselnde, aber leider wenig seriöse Darstellung vom Untergang der Lusitania vorgelegt.

Sven Oliver Müller