Rezension über:

Konrad Vössing (Hg.): Biographie und Prosopographie. Internationales Kolloquium zum 65. Geburtstag von Anthony R. Birley (= Historia. Einzelschriften; Heft 178), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, 146 S., ISBN 978-3-515-08538-0, EUR 34,00
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Rezension von:
Johannes Engels
Institut für Altertumskunde, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Engels: Rezension von: Konrad Vössing (Hg.): Biographie und Prosopographie. Internationales Kolloquium zum 65. Geburtstag von Anthony R. Birley, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4 [15.04.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/04/6803.html


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Konrad Vössing (Hg.): Biographie und Prosopographie

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Nachdem die Geschichte sich vor einiger Zeit methodisch und inhaltlich als Disziplin in schnellen Schritten zur historischen Sozialwissenschaft zu entwickeln schien, kann man in der jüngeren Vergangenheit eine Renaissance der großen Erzählungen und eine Blüte biografischer Darstellungen beobachten. Anthony R. Birley, der mit diesem zu besprechenden Kolloquiumsband geehrt wird, hat in seinem reichen wissenschaftlichen Werk in großen Monografien (über Hadrian, Mark Aurel, Septimius Severus) und inhaltsreichen Abhandlungen vorgeführt, wie man auf höchstem Niveau eine leserfreundliche, narrative und biografisch orientierte Darstellung mit der Strenge der prosopografischen Methode verbinden kann (vergleiche das Schriftenverzeichnis Birleys für die Jahre 1961-2003, 119-137).

Der Herausgeber des Kolloquiumsbandes, Konrad Vössing, erinnert in seiner konzisen Einleitung (7-11) an die schwierigen gattungsgeschichtlichen Probleme, die sich aus den offenen Fragen nach der Entstehung und dem Wesen der antiken (Auto-)Biografie ergeben. Die Definition der antiken Biografie als Prosagattung blieb von ihrer Entstehung im 4. Jahrhundert vor Christus bis in die Spätantike auffällig unscharf. Sogar der Terminus bíos (beziehungsweise vita) als Bezeichnung einer literarischen Schrift stammt bekanntlich erst aus nachantiker Zeit. Insbesondere die Abgrenzung der Biografie zu verwandten historischen und rhetorischen Schriften mit biografischen Inhalten fällt schwer. Bekanntlich neigen ja antike Historiker stark zur Personalisierung der Geschichte. Auffällige biografische Elemente findet man ferner in vielen weiteren antiken Prosaschriften (zum Beispiel auch in der Oikumenegeografie Strabons) und natürlich ebenfalls bereits seit Homers Epen in poetischen Werken. Weil griechisch-römischen Autoren seit frühester Zeit die Option freistand, ihren Lesern umfangreiche biografische Informationen in verschiedenen Literaturgattungen vorzulegen, dienten ihnen zum Beispiel Exkurse in Geschichtswerken oder Reden gerne als vollwertiger Ersatz für formal eigenständige Biografien. Antiken Autoren und ihrem Publikum müssen aber trotz des fließenden Charakters der Gattungsgrenzen signifikante Unterschiede zwischen biografischen und historiografischen Werken bewusst gewesen sein. Sonst wäre schwer erklärbar, warum einzelne Autoren mit voller Absicht in beiden Gattungen publiziert haben (zum Beispiel Nikolaus von Damaskos eine Universalhistorie und die Biografie des Augustus oder Tacitus die Historien und den Agricola).

Auch zahlreiche Inschriften der griechisch-römischen Antike (und manche Briefcorpora wie das ciceronische) zeigen epochentypische biografische Akzente. In griechischen Ehreninschriften wird die Darstellung der Leistungen der geehrten Personen seit dem späten 4. Jahrhundert vor Christus und dann in der hellenistischen Epoche erheblich ausführlicher als zuvor. R. Malcom Errington (13-28) erwähnt als eines der frühesten Beispiele die Ehrung für Herakleides aus Salamis im Athen der 320er-Jahre vor Christus (IG II2 360 = Schwenk Nr. 68). Die frühen Beispiele, die Errington für diesen neuartigen Typ der hellenistischen Ehreninschrift vorführt, stammen fast alle aus Athen. Vielleicht spielt hier der Überlieferungszufall eine Rolle. Möglicherweise entwickelte sich aber auch in Athen früher als andernorts diese neue Sitte der Ehrung und strahlte dann von dort aus in andere Regionen der griechischen Polisstaatenwelt aus. Aus dem 2. und 1. Jahrhundert kennen wir jedenfalls eine erheblich größere Anzahl an städtischen Ehreninschriften mit langen biografischen Passagen für Euergeten und verdiente Mitbürger aus verschiedenen Regionen. Ein nicht nur wegen des Reichtums an biografischen Informationen besonders eindrucksvolles Beispiel aus dem späten 2. Jahrhundert sind die Ehrendekrete für Polemaios und Menippos aus Kolophon (vergleiche SEG 39, 1243 und 1244 sowie die ausführlichen Kommentare von G.A. Lehmann, "Römischer Tod" in Kolophon / Klaros. Neue Quellen zum Status der "freien" Polisstaaten an der Westküste Kleinasiens im späten zweiten Jahrhundert v. Chr., Göttingen 1998). Wir finden in diesen Ehreninschriften auch eine typische Hortativ-Formel, mit der die Bürger einer Polis und alle künftigen Leser der Inschrift aufgefordert werden, dem Geehrten nachzueifern in dem Bewusstsein, dass Rat und Volk der Polis vorbildliche Bürger im Gegenzug in dieser dauerhaften, öffentlichkeitswirksamen Weise ehren werden. In hellenistischen Ehreninschriften fehlt üblicherweise das private und anekdotische Element, das man zum Beispiel in den Fragmenten hellenistischer Biografien des Hermippos von Smyrna und später in den Parallelbiografien Plutarchs häufig findet. Wahrscheinlich stellten meist die Geehrten selbst oder ihre Verwandten bereits die wichtigen Daten und Fakten zur Verfügung, die dann in ein Ehrendekret einflossen und schließlich auf der Inschrift verzeichnet wurden. Treffend bezeichnet Errington die biografischen Passagen in hellenistischen Ehreninschriften als ein 'missing link' in der antiken Geschichte der politischen Biografie zwischen Isokrates und Xenophon einerseits und Plutarch andererseits (28). Die gleiche Funktion konnten allerdings auch (auto-)biografische Reden einnehmen, für die bereits Isokrates (Antidosis-Rede), Lykurg (Apologismos) und Demades (Über die Zwölf Jahre) frühe Vorbilder des 4. Jahrhunderts boten.

Geza Alföldy (29-52) betont, dass Grabinschriften als biografische Erinnerungsträger besonders geeignet waren, da sie immer das Ende der Vita des Verstorbenen ins Auge fassen konnten. Römische Grabinschriften wollen aber weniger eine Kurzbiografie bieten als primär an den sozialen Status des Verstorbenen erinnern. Erst im Laufe der hohen und späten Kaiserzeit finden vereinzelt persönliche Eigenarten des Verstorbenen Erwähnung. Status und vorbildliches Ethos werden bei den Mitgliedern des Senatoren- und Ritterstandes hervorgekehrt. Inschriften nennen fast immer nur virtutes, während literarische Biografien grundsätzlich frei darin waren, neben virtutes auch vitia aufzuführen. Der in der Oberschicht im 2. und 3. Jahrhundert nach Christus teilweise sehr ausführliche Name erhält in Inschriften eine viel größere Prominenz als in literarischen Texten. Wenn außer Amtstiteln einzelne Hinweise auf Persönliches in den Grabinschriften gegeben werden, so fügen sich diese nicht zu einer Biografie zusammen. Die inschriftlich überlieferten Fassungen von laudationes funebres, zum Beispiel die bekannte Laudatio Turiae, müssen als Ausnahmen gerechnet werden.

Werner Eck (53-72) stellt zunächst klar, dass es die Cursus-Inschrift als einen epigrafischen Funktionstyp im strengen Sinne gar nicht gibt, sondern ein cursus in verschiedenartige Inschriftentypen eingebunden wird, vor allem in Grab-, Bau-, Ehreninschriften und Dedikationen. Wie schon für die hellenistischen Ehreninschriften darf man auch für römische Inschriften voraussetzen, dass die wesentlichen Informationen zur Verfügung gestellt wurden. Eine Cursus-Inschrift im Verbund mit einer Statuenehrung wird im Kaiserreich zum Standardrepertoire öffentlicher Ehrung (56) und ist daher in der epigrafischen Überlieferung eine Massenerscheinung. Die langen Ketten steigender oder fallender Ämter und Stellungen der Inschriften lassen nur wenig Raum für individuelle Informationen. In dieser Hinsicht vergleicht Eck heutige tabellarische Übersichten, zum Beispiel gleichförmig formulierte Lebensläufe (63). Eine der längsten und detailliertesten Cursus-Inschriften der Kaiserzeit (AE 1956, 124, Eck 67-69) bezieht sich signifikanterweise auf einen homo novus, M. Valerius Maximianus. Ausnahmsweise sind in diesem Text sogar Ansätze seiner Persönlichkeit zu greifen.

Michael P. Speidel (73-89) hebt hervor, dass sich in einigen Lebensbeschreibungen von equites singulares Augusti besondere, persönliche Erlebnisse und Leistungen aus dem Leben der Betreffenden finden. Einige Beispiele hierfür werden vorgeführt, zuerst das Gedicht des Soranus, eines Batavers aus der Leibgarde Hadrians (CIL III 3676, 73-80). Der poetische Text wurde eventuell vom Kaiser Hadrian selbst verfasst. Es folgt das Gedicht des Priscus (AE 1993, 1547), eines Szepterträgers des Kaisers Traian. Als drittes Beispiel nennt Speidel die Grabschrift auf Zenodotos (Speidel, Denkmäler 412). Die vorgestellten Grabgedichte und Inschriften erweisen sich als interessante Zeugnisse des geistigen Lebens der Gardereiter und ihrer engen Bindung an die Kaiser Traian und Hadrian. Ob es bei diesen Texten allerdings noch sinnvoll ist, von Lebensbeschreibungen zu sprechen, bleibt fraglich, und der Bezug zum Oberthema der antiken Biografie wird zu knapp ausgeführt.

Lukas de Blois (91-102) erörtert platonische Reminiszenzen in Plutarchs Vita des spartanischen Gesetzgebers Lykurg. Der Beitrag fällt leicht aus dem Rahmen der übrigen Studien, weil er einen schon oft untersuchten literarischen biografischen Text behandelt, der einer vermutlich legendären Gestalt gewidmet ist. Plutarch schätzte offenbar Lykurg als Nomotheten Spartas, eines tatsächlich existierenden Staatswesens, sogar noch höher als Platon und seine Staatsutopien (101-102). Tugend, Weisheit und die richtige geistige Einstellung stellen Voraussetzungen für erfolgreiche politische Reformen und ein blühendes politisches Leben dar.

François Paschoud (103-118) erinnert daran, dass gerade in der Spätantike große Ähnlichkeiten bestehen zwischen den Themen und Topoi der Biografie und des Panegyrikos Logos. Die Grenzen zwischen den Stilebenen des genus elocutionis sublime für die Lobrede und des genus elocutionis mediocre für Biografen und Historiker blieben immer fließend. Bedenkt man den Charakter des spätantiken Kaisertums, versteht es sich von selbst, dass es in der Darstellung des noch lebenden Kaisers für Redner, Biografen und Historiker besondere Probleme und Gefahren gab, die einen vorsichtigen Einsatz der vollen Palette der rhetorischen Mittel verlangten.

Der sorgfältig redigierte Band ist durch einen Quellenindex erschlossen. Die wertvollen Einzelbeiträge tragen auf unterschiedliche Weise zum Oberthema des Kolloquiums "Biographie und Prosopographie" bei, wobei die römische Welt intensiver ins Auge gefasst wird als die griechische. Vermutlich erweist sich aber die hellenistische Epoche als besonders bedeutend in der Ausformung der antiken (Auto-)Biografie als Gattung. In näherer Zukunft wird hoffentlich hierzu in den Faszikeln der FGrHist IV A Reihe neues interessantes Material vorgelegt werden können. Wie spannend das Thema der antiken (Auto-)Biografie weiterhin bleibt, zeigt sich auch in der aktuellen Monografie von Michael Reichel (Antike Autobiographien. Werke - Epochen - Gattungen, Köln u.a. 2005).

Johannes Engels