Rezension über:

Klaus Weber: Deutsche Kaufleute im Atlantikhandel 1680-1830. Unternehmen und Familien in Hamburg, Cádiz und Bordeaux (= Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte; Bd. 12), München: C.H.Beck 2004, 403 S., 5 Abb., 45 Tabellen, 3 Karten, ISBN 978-3-406-51860-7, EUR 59,00
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Rezension von:
Mark Häberlein
Otto-Friedrich-Universität, Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Mark Häberlein: Rezension von: Klaus Weber: Deutsche Kaufleute im Atlantikhandel 1680-1830. Unternehmen und Familien in Hamburg, Cádiz und Bordeaux, München: C.H.Beck 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 2 [15.02.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/02/5547.html


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Klaus Weber: Deutsche Kaufleute im Atlantikhandel 1680-1830

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Während Überblicksdarstellungen zur deutschen und internationalen Wirtschafts- und Sozialgeschichte noch immer das Bild einer selbstgenügsamen, von der europäischen Expansion und der Entwicklung des Welthandels abgekoppelten frühneuzeitlichen deutschen Kaufmannschaft zeichnen, gelangen Spezialstudien über die Kaufmannsgemeinden in westeuropäischen Hafenstädten zu ganz anderen Ergebnissen. Klaus Webers als Dissertation an der Universität Hamburg entstandene Untersuchung der deutschen Kaufmannskolonien in Cádiz und Bordeaux, die sich auf prosopografische Daten zu mehr als 460 Fernhändlern stützt, kann zeigen, dass diesen Gruppen "eine wichtige Scharnierfunktion zwischen dem deutschen Binnenland und dem atlantischen Raum zukam" (15). Die deutschen Kaufleute, die sich im späten 17. und 18. Jahrhundert in den Hafenstädten der westeuropäischen Kolonialmächte etablierten, stellten Verbindungen zwischen den mitteleuropäischen Gewerberegionen und den amerikanischen Kolonien her und sorgten für eine viel engere Einbindung der deutschen Wirtschaft in den atlantischen Raum als häufig angenommen.

Webers Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel. Das erste Kapitel bietet auf der Grundlage der Forschungsliteratur einen Überblick über die kommerziellen Beziehungen deutscher Regionen zum atlantischen Wirtschaftsraum zwischen 1650 und 1850. Der Autor hebt darin die enge "Verschränkung von proto-industriellem Gewerbe und Kolonialwarenhandel" (43) hervor. Während mitteleuropäische Gewerberegionen wie Westfalen, Böhmen und Sachsen die westeuropäischen Kolonialmächte mit preiswerten Textil-, Metall- und Glaswaren für den Überseehandel versorgten, nahmen sie gleichzeitig steigende Mengen an kolonialen Konsumgütern wie Kaffee, Zucker, Tabak und Kakao ab, die sich gerade in proto-industriellen Gebieten großer Beliebtheit erfreuten.

Die beiden folgenden Kapitel porträtieren die deutschen Kaufmannsgemeinden in Cádiz und Bordeaux. Neue Einsichten gelingen Weber vor allem für Cádiz, wo er die Notariatsprotokolle ausgewertet hat. Entgegen der landläufigen Meinung, dass es sich dabei im Wesentlichen um eine hanseatische Kaufmannskolonie gehandelt habe, kann Weber zeigen, dass Hamburger Kaufleute nur bis etwa 1730 dominierten. In den folgenden Jahrzehnten bis 1780, der eigentlichen Blütezeit des deutschen Handels mit der spanischen Hafenstadt, spielten hingegen Kaufleute aus den proto-industriellen Regionen Westfalens, Böhmens und Südwestdeutschlands eine große Rolle. Sogar Händler aus dem Südtiroler Grödnertal und dem bayerischen Ammergau wurden im späten 18. Jahrhundert hier sesshaft. Während sich einige prominente deutsche Kaufmannsfamilien durch Heiratsverbindungen mit Familien der Oberschicht von Cádiz und teilweise auch durch Konversionen weitgehend in die spanische Gesellschaft integrierten, kultivierten insbesondere die Böhmen sehr enge Beziehungen untereinander und hielten die Verbindungen in ihre Heimatregion aufrecht. Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Kaufleuten, die der Stadt während der wirtschaftlichen und politischen Umbrüche der Jahre 1780 bis 1820 den Rücken kehrten, blieben die Böhmen dort weiterhin präsent.

In Bordeaux, für das sich Weber auch auf die Arbeiten von Paul Butel, Wolfgang Henninger und Peter Voss stützen kann, war die Dominanz der Hanseaten stärker ausgeprägt und der Export von Wein und Kolonialwaren eindeutig wichtiger als der Import deutscher Gewerbeerzeugnisse. Die soziale Integration über Heiratsbeziehungen wurde den protestantischen deutschen Kaufleuten durch die Präsenz einer hugenottischen Minderheit erleichtert. Während die deutsche Zuwanderung in der Hochkonjunkturphase des französischen Atlantikhandels in den 1770er- und 1780er-Jahren ihren Höhepunkt erreichte, gerieten viele Häuser nach 1789 in finanzielle Schwierigkeiten. Einige der erfolgreichsten überstanden die Umbrüche der Französischen Revolution und der napoleonischen Ära, indem sie einen Teil ihres Kapitals in ländlichen Grundbesitz investierten und sich auf den lukrativen Weinhandel verlegten.

Das vierte Kapitel geht auf die wirtschaftliche und politische Rolle Hamburgs im 18. und frühen 19. Jahrhundert ein und betrachtet die Beziehungen nach Spanien und Frankreich aus der Perspektive der Hansestadt. Für das 18. Jahrhundert betont Weber die überragende Bedeutung des Handels mit Frankreich und die Rolle hugenottischer Kaufleute im Hamburger Kolonialwarenhandel. Die Zucker- und Tabakverarbeitung, die tausenden von Arbeitskräften Beschäftigung boten, waren weitgehend von französischen Importen und französischem Kapital abhängig. Im 19. Jahrhundert veränderten die intensiveren Beziehungen nach England und direkte Handelskontakte mit Lateinamerika die Struktur des Hamburger Handels nachhaltig.

Im fünften Kapitel stellt Weber nochmals zusammenfassend dar, wie Kontakte zwischen deutschen Gewerberegionen, atlantischen Hafenstädten und amerikanischen Plantagenkolonien über familiäre und geschäftliche Beziehungsnetze hergestellt und strukturiert wurden. Einige der von Weber untersuchten Unternehmer wie der aus Iserlohn stammende Friedrich Romberg integrierten die Baumwollverarbeitung und das innereuropäische Speditionsgeschäft mit dem atlantischen Sklavenhandel und dem Betrieb von Indigo- und Kaffeeplantagen in der Karibik.

Da mehrere Kapitel sich relativ stark auf die Forschungsliteratur stützen, können nicht alle Ergebnisse der Studie wirklich überraschen. Zudem hätte Weber seine zentrale These durch die Einbeziehung von Forschungen zum Amsterdamer Handel im 18. Jahrhundert zusätzlich untermauern können, zumal seine Fallbeispiele immer wieder auf Querverbindungen zur niederländischen Handelsmetropole hinweisen. Ungeachtet dessen ist dem Autor eine überzeugende Verbindung von makroökonomischen Befunden zur Entwicklung der atlantischen Wirtschaft mit mikrohistorischen Fallstudien zu Kaufmannsfamilien und kommerziellen Netzwerken gelungen, deren Resultate sowohl in künftigen Forschungen zum Atlantikhandel als auch in wirtschaftshistorischen Überblickswerken beachtet werden sollten.

Mark Häberlein