Rezension über:

Gerd Althoff: Inszenierte Herrschaft. Geschichtsschreibung und politisches Handeln im Mittelalter, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003, XIV + 306 S., ISBN 978-3-534-17247-4, EUR 39,90
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Rezension von:
Steffen Patzold
Historisches Seminar, Universität Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Steffen Patzold: Rezension von: Gerd Althoff: Inszenierte Herrschaft. Geschichtsschreibung und politisches Handeln im Mittelalter, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 7/8 [15.07.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/07/4573.html


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Gerd Althoff: Inszenierte Herrschaft

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Der Band vereint zwölf Beiträge Gerd Althoffs zur Geschichte des Früh- und Hochmittelalters, die zwischen 1982 und 2002 erschienen sind. Die Herausgeber, Claudia Garnier und Hermann Kamp, haben in einem instruktiven Vorwort die Auswahl begründet und Althoffs Forschungsinteressen skizziert. Die Beiträge widmen sich zwei Problemkreisen - der Funktion und dem Quellenwert mittelalterlicher Historiographie sowie der Bedeutung symbolischer Kommunikation in der politischen Kultur. Beide Problemkreise stehen in engem Zusammenhang: Für die Geschichte der politischen Kultur in der Ottonen-, Salier- und Stauferzeit sind historiographische Texte zentrale Quellen; man wird sie jedoch erst dann auf derartige Fragen hin auswerten können, wenn man ihr Zustandekommen und ihre Funktion kennt.

So behandeln fünf Aufsätze die grundlegenden Fragen nach der Darstellungsabsicht und den "causae scribendi" mittelalterlicher Historiographie. In seinem Beitrag über "Genealogische und andere Fiktionen" zeigt Althoff, dass die von scheinbar willkürlichen Fiktionen durchsetzten Genealogien des Hochmittelalters versuchten, auf zeitgemäße Argumente gestützt, "Erklärungen für auffällige Sachverhalte nach den Vorstellungshorizonten und Denkweisen der Zeit zu liefern". An ausgewählten Beispielen (Welfen, Staufer, Wittelsbacher, Immedinger) kann Althoff nachweisen, dass die wohl überlegten Konstruktionen dazu dienten, eine vornehme Ankunft zu begründen, umstrittene Herrschaftsansprüche zu legitimieren und Sachverhalte, die als Makel empfunden wurden, historiographisch zu bewältigen.

Anlass für das Schreiben von Geschichte war - wie der Beitrag über "Causa scribendi und Darstellungsabsicht" zeigt - oft eine Krise: Der Rückgriff auf die Vergangenheit sollte dann als gladius spiritualis dienen, aktuelle Not mithilfe von exempla bewältigt werden. Althoff weist das zunächst am Beispiel der beiden Mathildenviten, des "Chronicon Eberspergense", Adams von Bremen "Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum" und der "Vita Meinwerci" nach. Auf drei andere historiographische Texte hat er den Ansatz dann noch in eigenen Beiträgen angewendet: Demnach versuchte Arnold von Lübeck mit seiner "Chronica Slaworum" einen Makel aus der welfischen Geschichte zu tilgen. In seiner Darstellung war Heinrich der Löwe das unschuldige Opfer Friedrichs Barbarossa, der die Gepflogenheiten gütlicher Konfliktbeilegung grob missachtet habe. Analoges gilt für den "Annalista Saxo": Als der Abt Arnold Material für sein sächsisches Geschichtswerk zusammenstellte, könnte er mit dieser Sammeltätigkeit nicht zuletzt den "Nebenzweck" (186) verfolgt haben, anti-welfische Argumente zu sammeln im Streit zwischen Heinrich dem Löwen und dem Bremer Dompropst Hartwich um das Erbe des 1144 erschlagenen Stader Grafen Rudolf. Und ebenso weiterführend ist Althoffs Analyse der "Sachsengeschichte" des Widukind von Corvey. Er macht wahrscheinlich, dass diejenige Fassung, die Widukind der Äbtissin Mathilde widmete, eine spezifische causa dedicandi hatte: Nach dem Tod des Erzbischofs Wilhelm von Mainz 968 war allein Mathilde als Angehörige des Ottonenhauses nördlich der Alpen verblieben. In dieser Situation sei Widukinds Werk geeignet gewesen, "die junge Kaisertochter Mathilde politikfähig zu machen" (101). Sie konnte dem Text entnehmen, mit welchen Männern sie umzugehen hatte, welche Geschichte die führenden Familien hatten - und welche Konflikte sie mit den Ottonen ausgetragen hatten. Wenn aber Widukinds Text Mathilde belehren sollte, wird man ihn als eine wertvolle Quelle für die politische Kultur der Zeit ansehen dürfen.

Die skizzierten Ergebnisse zeigen, dass die Historiographen mit ihren Geschichten zweckgerichtet argumentierten - auch wenn ihre in Anekdoten gekleideten Argumente heute oft nur schwer als solche erkennbar sind. Diese Einsicht erlaubt es Althoff, sich in zwei Beiträgen kritisch mit Thesen Hanna Vollraths und Johannes Frieds auseinanderzusetzen. Vollrath habe den Historiographen "ein geringes Verständnis für [...] für kausale Zusammenhänge" bescheinigt und Geschichtsschreibung als eher "episodisch" denn "argumentativ" bezeichnet (131). Dagegen verweist Althoff auf das "argumentative Gedächtnis" jener Zeit: Gerade Anekdoten konnten für die Zeitgenossen handfeste Argumente darstellen. Dass aber die Historiographen auf diesem indirekten Wege argumentierten, sei in der sehr rangbewussten Gesellschaftsordnung begründet: Hier sei es kaum möglich gewesen, die Mächtigen direkt mit Forderungen oder Kritik zu konfrontieren.

In eine ähnliche Richtung zielt Althoffs Kritik an Frieds Annahme, dass die Verformung der Erinnerung (die es zweifellos gegeben habe) in einem "letztlich unkontrollierten und heute nicht mehr rekonstruierbaren Prozeß stetigen Wandels" erfolgt sei (107). Zum einen sei "die Freiheit zu Veränderungen" (111) sehr eingeschränkt gewesen, sobald das Selbstverständnis der Mächtigen berührt gewesen sei. Zum anderen hätten viele historiographische Anekdoten - Althoff nennt Beispiele aus Werken Hrotsviths, Widukinds, Thietmars und Liudprands - einen argumentativen Kern.

Die vier übrigen Beiträge des Bandes behandeln die symbolische Kommunikation. Dass hierzu auch der Aufsatz zu Thietmars Erzählung über das "Bett des Königs in Magdeburg" erneut publiziert wird, erlaubt einen Einblick in die Forschungsgeschichte: Schon 1982 veröffentlicht, tastet sich diese Untersuchung noch vorsichtig an die symbolische Kommunikation heran, deren Allgegenwart in der politischen Kultur der Ottonenzeit heute - nicht zuletzt dank Althoffs Forschungen - allgemein bekannt sind. Dass Hermann Billung sich durch Adalbert von Magdeburg mit königlichen Ehren habe empfangen lassen und sogar im Bett des Königs übernachtet habe, deutet Althoff als Provokation: Hermann habe den in Italien weilenden Otto zur Rückkehr nötigen wollen. Während Althoff aber 1982 die zeremonielle Form dieser politischen Willensäußerung vorsichtig als Versuch interpretierte, "eine konkrete politische Aussage oder Aktion" zu vermeiden und sich nur in einer Weise zu äußern, die "die Möglichkeit der Auslegung offen hielt" (225), hat er mittlerweile herausgearbeitet, wie zielgerichtet die Zeitgenossen symbolische Kommunikation einsetzten und welch differenzierte Botschaften sie damit vermittelten. Im übrigen wäre bei der Deutung wohl stärker zu beachten, dass laut Thietmar der König nicht etwa Hermann zur Rechenschaft zog, sondern allein den Magdeburger Erzbischof, der den Empfang ausgerichtet hatte.

In einem anderen Beitrag zeigt Althoff, dass Anekdoten über listenreiche Taten zum Ruhm einer Person beitrugen. Er erklärt dies aus der Herrschaftsordnung der Zeit: Persönlicher Ruhm habe zurückgewirkt auf den Rang des einzelnen und damit auf seinen Einfluss in der Politik. Dieser Erklärungsansatz nennt zweifellos einen wichtigen Aspekt, doch bleibt zu fragen, warum die Anekdoten dann oft nicht von Lebenden, sondern von längst verstorbenen Personen handeln?

Dass symbolische Kommunikation in der Öffentlichkeit nicht dumpfen Gewohnheiten folgte, macht Althoff an mittelalterlicher Dichtung deutlich: Mit Beispielen aus dem "Herzog Ernst D", aus Hartmanns "Iwein", dem "Reinhart Fuchs" des Elsässers Heinrich, dem Rolandslied des Pfaffen Konrad und dem Nibelungenlied führt Althoff vor, dass die Dichter in der Lage waren, sich ironisch oder karikierend über die Spielregeln der Gesellschaft zu äußern, sie auch zu kritisieren - oder gezielt Situationen zu konstruieren, in denen Regeln in Konflikt gerieten. Schon den Zeitgenossen waren demnach die Spielregeln bewusst, und im Einzelfall vermochten sie sich auch kritisch von ihnen zu distanzieren.

Ein ähnliches Erkenntnisinteresse verfolgt Althoff mit einem Aufsatz zur symbolischen Kommunikation beim Treffen zwischen Boleslaw Chrobry und Otto III. in Gnesen im Jahr 1000 und beim Friedensschluss zwischen Boleslaw und Heinrich II. in Merseburg 1013. Die symbolischen Akte konnten demnach flexibel angepasst werden, um das eigentümliche Rangverhältnis zwischen Heinrich II. und Boleslaw zur Anschauung zu bringen. Der "Akt von Gnesen", räumt Althoff ein, lasse sich kaum sicher deuten. Zwar könne man die Erzählung des Gallus Anonymus als Bericht über ein Freundschaftsbündnis lesen; doch sei fraglich, welchen Realitätsgehalt man dieser späten Quelle zuschreiben solle. Verglichen mit dem, was die "Spielregeln" für ein solches Herrschertreffen vorgesehen hätten, schildere der Autor jedenfalls kaum glaubhafte Handlungsweisen, die wohl eher als Karikatur gemeint waren. Dann aber, so Althoff, sei es kaum möglich, andere Teile der Erzählung "zur Rekonstruktion des realen Geschehens in Gnesen zu verwenden".

In seinem Beitrag über "Die Kultur der Zeichen und Symbole" schließlich erklärt Althoff die hohe Bedeutung symbolischer Kommunikation zum einen aus dem mittelalterlichen Rangdenken, zum anderen aus dem fehlenden staatlichen Gewaltmonopol: Die Adligen waren darauf angewiesen, ihr Rangverhältnis untereinander öffentlich zur Schau zu stellen, aber auch ihren Konsens mit dem König demonstrativ vorzuführen. Derartige Akte verpflichteten die Teilnehmer und stabilisierten daher die Ordnung. Anknüpfend an die Beobachtung, dass mittelalterliche Zeichen und Symbole "zutiefst von religiösen Vorstellungen geprägt waren" und symbolische Akte auch in der profanen Sphäre nach dem Vorbild sakraler Akte gestaltet wurden, fragt Althoff schließlich nach der Geschichtlichkeit symbolischer Kommunikation. Hier beobachtet er eine Fortschrittsgeschichte: "Man hat gelernt, immer komplexere Botschaften zeichenhaft zu vermitteln". Ob sich seine These einer "zunehmend niveauvollere[n] Zeichenverwendung" (283) halten lässt, wird weitere Forschung zeigen müssen.

Althoffs Arbeiten zur Historiographie, zu den Gruppenbindungen, zur Bedeutung von Rang und Ehre in der Herrschaftsordnung, zur Konfliktführung, zu den politischen Verhaltensregeln und zu Zeichen und Symbolen haben zahlreiche, zum Teil auch kontrovers geführte Debatten in der Mediävistik angestoßen. Die für den besprochenen Band ausgewählten Beiträge bieten - zusammen mit Althoffs Buch zu den "Spielregeln der Politik" - einen sehr guten Überblick über diese Forschungen, die insgesamt unser Bild besonders der Ottonen- und Salierzeit tiefgreifend verändert haben.

Steffen Patzold