Rezension über:

Holger Mannigel: Wallenstein in Weimar, Wien und Berlin. Das Urteil über Albrecht von Wallenstein in der deutschen Historiographie von Friedrich von Schiller bis Leopold von Ranke (= Historische Studien; Bd. 474), Husum: Matthiesen 2003, 623 S., ISBN 978-3-7868-1474-0, EUR 79,00
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Rezension von:
Christoph Kampmann
Seminar für Neuere Geschichte, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Kampmann: Rezension von: Holger Mannigel: Wallenstein in Weimar, Wien und Berlin. Das Urteil über Albrecht von Wallenstein in der deutschen Historiographie von Friedrich von Schiller bis Leopold von Ranke, Husum: Matthiesen 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 6 [15.06.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/06/4485.html


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Holger Mannigel: Wallenstein in Weimar, Wien und Berlin

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Der Verfasser der vorliegenden Arbeit, einer von Anton Schindling betreuten Tübinger Dissertation, bearbeitet ein Thema, das zweifellos von wissenschaftlichem Mut zeugt. Denn die Geschichte der Wallenstein-Historiografie zu untersuchen, stellt in verschiedener Hinsicht eine besondere Herausforderung dar: Zum einen gilt dies hinsichtlich der rein quantitativen Dimensionen der Geschichtsschreibung über Albrecht von Wallenstein, sind doch allein bis 1911 nach vorsichtiger Schätzung 1.500 bis 2.000 Titel zu Wallenstein erschienen. Zudem liegen zur Wallenstein-Historiografie zwei, wenngleich ältere Dissertationen vor, sodass sich der Autor - wie er offen zugesteht - kritisch fragen musste, ob er im Grundsätzlichen zu neuen Ergebnissen gelangen würde. Dagegen ist die Zahl neuerer themenbezogener historiografiegeschichtlicher Arbeiten im Bereich der Frühen Neuzeit, an denen sich Mannigel bei seiner Vorgehensweise hätte orientieren können, nach wie vor erstaunlich gering.

Das Problem der kaum überschaubaren Fülle der zu betrachtenden Literatur versucht Mannigel dadurch zu lösen, dass er sich auf die Betrachtung der deutschsprachigen Wallenstein-Historiografie zwischen dem späten 18. Jahrhundert und dem Erscheinen der "Geschichte Wallensteins" Leopold von Rankes (1869) konzentriert. Diese Beschränkung auf diese Zeit "zwischen Schiller und Ranke", in der Wallenstein zum großen Thema der wissenschaftlichen und populären Geschichtsschreibung avanciert, erweist sich als sehr sinnvoll. Denn sie gibt Mannigel die Möglichkeit, die - trotz der Eingrenzung in beachtlicher Zahl - herangezogenen Werke detaillierter zu betrachten und zu analysieren. Bedenkenswert wäre es eventuell gewesen, angesichts der Fülle des zu untersuchenden Materials auf die Einbeziehung der rein populären Wallenstein-Literatur in "Groschenheften" et cetera zu verzichten, der immerhin ein recht umfängliches Kapitel gewidmet wird und die für die Untersuchung der Historiografie kaum zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringt.

Das Gliederungsschema, nach dem Mannigel die untersuchten Arbeiten der Wallenstein-Literatur anordnet, ist angesichts der hohen Zahl disparater Werke natürlich ein Schlüsselproblem, das der Verfasser nicht ganz befriedigend zu lösen vermag. Er wählt im Verlauf der Studie sehr unterschiedliche, auf verschiedenen Ebenen angesiedelte Ordnungskriterien, um die Literatur einzuteilen und die Arbeit zu gliedern. Im ersten Teil der Studie, bis in die Vierzigerjahre des 19. Jahrhunderts, geht er eher chronologisch-genetisch vor. Im zweiten Teil, bei der Erläuterung der Wallenstein-Literatur der Vierziger- bis späten Sechzigerjahre des 19. Jahrhunderts, gliedert er die Wallenstein-Literatur zum Teil nach ihrer regionalen Herkunft ("Bayern", "Sachsen-Böhmen-Mähren"), zum Teil nach der vertretenen historisch-politischen Position ("großdeutsch") und zum Teil nach formaler Gestalt ("populäre Literatur").

Ausgangspunkt der Studie ist die Behandlung Wallensteins im Oeuvre Friedrich von Schillers. Die bisherige Literatur, auch die historische, hat dem dramatischen Werk Schillers zu Wallenstein erheblich mehr Aufmerksamkeit geschenkt als seinen im engeren Sinne historiografischen Arbeiten zum Thema, insbesondere seinen Darlegungen in der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Mannigel arbeitet sorgfältig heraus, dass diese einseitige Schwerpunktsetzung der historiografischen Leistung des Jenenser Geschichtsprofessors nicht ganz gerecht wird. Zwar leugnet er nicht, dass Schiller zu keinem geschlossenen Wallenstein-Bild gelangt, aber insgesamt stellt auch und gerade Schillers historische Beschäftigung mit dem Generalissimus nach seiner Meinung einen beachtlichen, häufig nicht genügend gewürdigten Fortschritt gegenüber der herkömmlichen "pragmatischen" Geschichtsschreibung über Wallenstein dar.

Dieser wendet sich Mannigel im darauf folgenden Kapitel zu, was etwas verwunderlich ist, denn diese "pragmatische" Geschichtsschreibung geht Schiller konzeptionell und teilweise auch chronologisch eigentlich voraus. Die traditionelle Geschichtsschreibung sieht Wallensteins Schicksal noch - ganz in der Tradition der humanistischen Geschichtsschreibung - als abschreckendes, mahnendes Lehrexempel. Mannigel kann nachweisen, dass hier die Argumente der kaiserlichen Rechtfertigungsschrift von 1634 bis zum frühen 19. Jahrhundert wirksam blieben - ein bemerkenswertes Beispiel lange fortwirkender politischer Publizistik.

Der Revision dieses traditionellen Bildes, nicht zuletzt durch Schiller, folgte die erste Wallenstein-Kontroverse zwischen Friedrich Christoph Förster, der die erste Wallenstein-Apologie verfasst hatte, und seinen Gegnern, vor allem Johann Graf Mailáth, der als entschiedener Verteidiger Ferdinands II. auftrat. Zu Recht stellt Mannigel heraus, dass die Wallenstein-Historiografie schon in dieser frühen Kontroverse jenen deutlich forensischen, auf Anklage und Verteidigung der handelnden historischen Persönlichkeiten zielenden Charakter besaß, der für diese Geschichtsschreibung im 19. und frühen 20. Jahrhundert kennzeichnend bleiben sollte, ohne freilich schon jenen äußerst polemischen Zug zu erhalten, der die Wallenstein-Kontroversen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts häufig prägte.

In den folgenden vier Kapiteln widmet sich Mannigel der umfangreichen Wallenstein-Literatur zwischen den späten Vierziger- und den späten Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts. Es gehört zu den Vorzügen der Arbeit, dass er dabei - anders als der Obertitel der Arbeit vermuten lässt - auch die wichtige, für die spätere Geschichtsschreibung dank intensiver quellennaher Forschung weiterführende Wallenstein-Literatur bayerischer und sächsischer Provenienz ausführlich würdigt, die nicht oder nur schwer in das Schema von Anklage und Verteidigung Habsburgs einzuordnen ist. Die Darlegungen Mannigels zeigen eindrücklich, dass diese Forschungen, die unter anderem mit den Namen von Aretin, Helbig, von Riezler und Rudhard verbunden sind, den zeitgenössischen, entweder auf Habsburg-Anklage oder aber Habsburg-Verteidigung zielenden Arbeiten eines Gfrörer oder eines von Hurter methodisch weit überlegen waren. Letztere behandelt Mannigel in seinem Abschnitt über das "großdeutsche Wallenstein-Bild" - eine etwas unglückliche Kapitelüberschrift, denn er kann eindrucksvoll zeigen, dass es gar kein einheitliches großdeutsches Wallenstein-Bild gab. Aus großdeutscher Perspektive argumentierten die leidenschaftlichsten Verteidiger Wallensteins (Gfrörer) ebenso wie die vehementesten Apologeten Ferdinands II. im Stile des enorm produktiven und quellenkundigen, aber unverhohlen parteilichen österreichischen Reichshistoriografen Friedrich von Hurter.

Im letzten Kapitel wendet sich Mannigel einer sehr kundigen und differenzierten Würdigung von Rankes Wallenstein-Bild zu. Dabei kann er überzeugend herausarbeiten, dass Ranke entschieden bemüht war, "die Wallenstein-Literatur aus dem Dilemma von Anklage und Verteidigung herauszuführen" (538), freilich, so muss man hinzufügen, ohne dass Ranke dies wirklich gelungen wäre. Im Gegenteil: Auch nach Ranke herrschte in der deutschsprachigen, auch wissenschaftlichen Wallenstein-Literatur die - wie Mannigel formuliert - "forensische" Sichtweise vor, die letztlich auch noch Wallenstein-Kontroversen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte.

Aufs Ganze betrachtet hat sich das wissenschaftliche Wagnis des Autors zweifellos gelohnt. Gerade bei der Betrachtung der älteren, pragmatisch orientierten Geschichtsschreibung und der bayerischen und sächsischen Autoren vermag er wichtige neue Erkenntnisse zu erzielen, die über die ältere Literatur hinausführen. Überdies ist er erfolgreich bestrebt, die untersuchte Wallenstein-Literatur in die allgemeine historiografische Entwicklung der Zeit einzuordnen, die seit einiger Zeit die verstärkte Aufmerksamkeit der historischen Forschung findet. Auch aus diesem Grunde hat der Mannigel akribisch Informationen zu den von ihm untersuchten Verfassern, ihrem jeweiligen akademischen Werdegang und ihrer politisch-historiografischen Position zusammengetragen, sodass die Arbeit in mancherlei Hinsicht den Charakter einer Überblicksdarstellung über zentrale Strömungen der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft im Untersuchungszeitraum trägt. Dazu tragen das ausführliche Orts- und Personenregister sowie die nützlichen Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels wesentlich bei.

Kleinere Fehler (so das Fehlen der zitierten älteren, aber erst jüngst erstveröffentlichten Arbeit von Pfefferkorn zur Wallenstein-Historiografie im Literaturverzeichnis [1]) und manchmal überhart, zuweilen etwas schulmeisterlich klingende Urteile über einzelne untersuchte Historiker (so etwa die über Helbig und Dudík, deren Leistung ja gerade durch Mannigels Arbeit deutlich wird) trüben das Gesamtbild nur wenig. Insgesamt zeigt die Studie, dass die themenbezogene Historiografiegeschichte auch im Bereich der Frühneuzeitforschung ein viel versprechendes Arbeitsfeld ist. Gerade wegen der Einbeziehung des historiografiegeschichtlichen Kontextes können dazu wichtige inhaltliche und methodische Anstöße vom Buch Holger Mannigels ausgehen.


Anmerkung:

[1] Rudolf Pfefferkorn: Wallenstein und die Reichsidee. Eine historische Studie von Schiller bis Pekar, Dissertation Berlin / Prag 1945, Hermannsburg 1998.

Christoph Kampmann