Rezension über:

Ludwig Holzfurtner: Gloriosus Dux. Studien zu Herzog Arnulf von Bayern (907-937) (= Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte. Reihe B; Beiheft 25), München: C.H.Beck 2003, XV + 154 S., ISBN 978-3-406-10666-8, EUR 18,00
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Rezension von:
Roman Deutinger
Bayerische Akademie der Wissenschaften, München
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Roman Deutinger: Rezension von: Ludwig Holzfurtner: Gloriosus Dux. Studien zu Herzog Arnulf von Bayern (907-937), München: C.H.Beck 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 5 [15.05.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/05/5890.html


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Ludwig Holzfurtner: Gloriosus Dux

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Als Begründer der letztlich bis ins 19. Jahrhundert (als Titel sogar bis in die Gegenwart) existierenden bayerischen Herzogswürde ist Arnulf, dessen Beiname "der Böse" zurecht längst ad Acta gelegt ist, zweifellos eine zentrale Gestalt der bayerischen Geschichte. Umso erstaunlicher ist es, dass sich seit der umfassenden Sichtung und Ordnung der einschlägigen Quellen durch Kurt Reindel vor mittlerweile 50 Jahren kaum ein Historiker näher mit seiner Person beschäftigt hat. Interessiert hat sich die jüngere Forschung allein für das (angebliche?) Gegenkönigtum Arnulfs von 919, und selbst dafür eigentlich nur, weil in diesem Zusammenhang erstmals von einem "regnum Teutonicorum" die Rede ist - was der verantwortliche Salzburger Annalist auch immer darunter verstanden haben mag.

Umso begrüßenswerter sind deshalb die hier vorgelegten "Studien", die nach einem Auftakt-Kapitel über Arnulfs Vater Liutpold zuerst die Übernahme des Dux-Titels behandeln, dann die Ungarnkriege und die Arnulf zugeschriebenen Säkularisationen, das Verhältnis zu Bischöfen und Grafen im Land auf der einen Seite und zu den ostfränkisch-deutschen Königen von Ludwig dem Kind bis Otto I. auf der anderen, dazu noch kleinere Einzelprobleme wie Kanzlei, Münzprägung, Synoden und die Ansätze zu einer eigenen Außenpolitik. Auf fast allen diesen Themenfeldern gelingt es Holzfurtner, die bisherige Forschung um neue Überlegungen zu bereichern und auf diese Weise in mancher Hinsicht ein völlig neues Licht auf jene quellenarme und problemreiche Zeit des frühen 10. Jahrhunderts in Bayern zu werfen.

Dieses grundsätzliche Lob ist allerdings mit großen Vorbehalten zu verbinden, denn abgesehen davon, dass sich über viele Einzelfragen trefflich streiten lässt, wozu viel mehr Raum nötig wäre, als ihn eine Rezension zu bieten vermag, ist die gesamte Machart des Buches nicht geeignet, das Vertrauen des Lesers zu gewinnen. Um mit Äußerlichkeiten zu beginnen: Dem Buch fehlt eine gründliche Korrektur, die nicht nur zahlreiche Tippfehler ausmerzen, sondern auch eine Reihe falsch oder unvollständig angeführter Literaturtitel hätte richtig stellen können. Mangelnde Gründlichkeit macht sich auch bemerkbar, wenn nicht immer die besten Editionen berücksichtigt sind und wenn aus der älteren Literatur mehrfach Angaben übernommen sind, die sich bei näherer Nachprüfung als schief oder gar falsch erweisen, so zum Beispiel immer wieder im Hinblick auf angeblich singuläre Befunde im Kloster Niederaltaich.

Viel schwerer wiegt jedoch, dass dem historischen Umfeld Arnulfs so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Hätte der Verfasser sich eingehender mit anderen zeitgenössischen Adelsfamilien in Bayern (zum Beispiel den Ebersbergern) oder einzelnen Bischofspersönlichkeiten (zum Beispiel Dracholf von Freising) beschäftigt, hätte er die gleichzeitige Etablierung von Herzogsgewalten in Schwaben und Lothringen oder gar im westfränkischen Bereich stärker berücksichtigt, manches Urteil über Arnulf wäre wohl anders ausgefallen; er erschiene wohl nicht mehr ganz so sehr als die singuläre Gestalt, als die Holzfurtner ihn präsentieren will. Allzu oft wird nämlich das (häufige) Schweigen der Quellen einfach zu Gunsten Arnulfs ausgelegt: Wenn nach den schweren Verlusten in der Schlacht von Pressburg 907 die vakanten Bischofsstühle und Grafschaften rasch wieder besetzt wurden, heißt das nicht ohne weiteres, dass "Arnulf aus eigener Macht alle wichtigen Amtspositionen faktisch wieder besetzte und dem König seine Führungsmannschaft erst danach präsentierte" (95), da sich eine Mitwirkung des jungen Markgrafensohnes in keinem einzigen Fall auch nur mit Indizien erschließen lässt. Wenn bei den Ungarnschlachten 909 und 910 kein Anführer des bayerischen Heeres genannt ist, kann man nicht einfach behaupten, "eine personale Alternative [zu Arnulf] gibt es ohnehin nicht" (34). Wenn keine größere Adelsopposition in Bayern gegen Arnulf überliefert ist, dann muss das noch nicht unbedingt "unerschütterliche Treue" und "uneingeschränkte Akzeptanz seiner Regierung" (98) bedeuten. Die Zweifel an einer Frühdatierung von Arnulfs erster - ohne Datum überlieferter - Urkunde mit dem Dux-Titel sind zwar tatsächlich "nicht so stark begründet, daß man eine solche von vornherein ablehnen muß" (37); ein Indiz für diese Frühdatierung, welche die Übernahme der Herzogsherrschaft durch Arnulf bereits 907 belegen würde, ist das freilich umgekehrt noch lange nicht. Die Datierung des so genannten "Fragmentum de Arnulfo duce Bavariae" auf 920/21 (35) ist zwar diskussionswürdig, aber vorläufig nicht zu sichern und erst recht kein Beweis für eine Führung des Dux-Titels "bereits vor 920" oder "sogar wohl schon deutlich früher" (36).

Gerade weil zentrale Aussagen Holzfurtners in den Quellen so wenig Stütze finden (was freilich in der schmalen Quellenbasis begründet liegt und genauso für alle anders lautenden Aussagen gilt), wundert man sich, wie oft ein Sachverhalt als "offensichtlich", "offenbar" (je zweimal allein auf Seite 99) oder umgekehrt als "mit absoluter Sicherheit auszuschließen" (37) charakterisiert wird. Dies steht in merklichem Kontrast zu der einleitend (7 f.) gemachten, sympathisch bescheidenen Ankündigung, "an der Stelle einer sicheren Aussage [stehe oft] lediglich die mehr oder weniger plausible Wahrscheinlichkeit, zur rechten Zeit auch das Eingeständnis des Nichtwissens".

Trotz aller dieser Vorbehalte sollte man das Buch nicht achtlos beiseite legen; dem Leser entgingen sonst zu viele wertvolle Einsichten und fruchtbare Überlegungen. Der Rezensent kann sich zwar, wie bereits angedeutet, nicht allen Neubewertungen des Autors anschließen. So erscheinen ihm vor allem die Indizien für eine starke, herzogliche Stellung Arnulfs sofort nach dem Tod seines Vaters Liutpold 907 zu schwach. Wenn der Verfasser hingegen für eine Abstammung Liutpolds von den Karolingern plädiert, wenn er Arnulfs angebliche Säkularisation von Kirchengut als Mythos entlarvt und wenn er das viel diskutierte "Gegenkönigtum" Arnulfs ablehnt, dann mag man ihm darin gerne folgen, kann man doch alle diese Beobachtungen sogar noch mit weiteren Argumenten unterstützen.

Die abschließende Würdigung Arnulfs als "Schöpfer des hochmittelalterlichen Herzogtums Bayern" (148 f.) ist deshalb durchaus überzeugend, ebenso wie die Gleichstellung von Arnulfs Bedeutung mit der Herzog Ludwigs des Kelheimers und des Grafen Montgelas, auch wenn bei allen dreien nicht recht klar ist, inwiefern sie "Bayern als historischen Begriff, mehr noch, als politischen Begriff retteten" (149). Diese zukunftsweisende Lebensleistung Arnulfs bleibt davon ja weitgehend unberührt, ob man seine Herzogswürde von 907, 916 oder 921 an datiert, ob man sie mehr mit seinen eigenen Fähigkeiten oder eher mit den günstigen Umständen erklärt, ob man ihn tatsächlich für die allein dominierende Gestalt im Bayern des frühen 10. Jahrhunderts hält oder nicht. Bei allen Mängeln dieses Buchs, die nicht verschwiegen werden dürfen, kann man dem Leser doch den Rat des Apostels Paulus geben, der zwar grundsätzlich bei jeder Benutzung wissenschaftlicher Arbeiten berechtigt ist, selten aber so dringend zu beherzigen ist wie hier: "Prüft alles, und behaltet das Gute" (1 Thess. 5, 21)!

Roman Deutinger