Rezension über:

Harry Niemann / Wilfried Feldenkirchen / Armin Hermann (Hgg.): Die Geschichte des Rennsports (= Wissenschaftliche Schriftenreihe des DaimlerChrysler Konzernarchivs; 3), Bielefeld: Delius Klasing Verlag 2002, 324 S., 240 Abb., ISBN 978-3-7688-1312-9, EUR 26,00
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Rezension von:
Norbert Stieniczka
Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
Redaktionelle Betreuung:
Martina Heßler
Empfohlene Zitierweise:
Norbert Stieniczka: Rezension von: Harry Niemann / Wilfried Feldenkirchen / Armin Hermann (Hgg.): Die Geschichte des Rennsports, Bielefeld: Delius Klasing Verlag 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 12 [15.12.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/12/2700.html


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Harry Niemann / Wilfried Feldenkirchen / Armin Hermann (Hgg.): Die Geschichte des Rennsports

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Seit 1999 publiziert das DaimlerChrysler Konzernarchiv in einer eigenen wissenschaftlichen Schriftenreihe Biografien, Dissertationen und Tagungsbände. Im hier anzuzeigenden Band 5 dieser Reihe werden die Vorträge der fünften Stuttgarter Tage zur Automobil- und Unternehmensgeschichte veröffentlicht. Es ist der zweite Tagungsband, der in dieser Reihe erscheint, zuvor erfolgte die Veröffentlichung im Franz Steiner Verlag. Die im Jahr 2001 abgehaltene Tagung zur Geschichte des Rennsports wurde wie immer vom DaimlerChrysler Konzernarchiv in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaften und Technik der Universität Stuttgart organisiert. Ziel dieser Veranstaltungen ist es, Fachhistoriker, Techniker, Journalisten und historisch interessierte Laien zu einem interdisziplinären Erfahrungsaustausch zusammenzubringen. Dementsprechend kommen nicht nur das Publikum der Stuttgarter Tage, sondern auch die Autoren dieses Bandes aus unterschiedlichen Bereichen.

Ziel der Konferenz war, nach Aussage der Herausgeber, Rennsport als einen wesentlichen Teilaspekt der Motorisierung zu untersuchen und "die vorhandenen Lücken in der Forschung zu schließen" (7). Die Geschichte des Rennsports soll dabei mehr sein "als die Geschichte der Rennfahrzeuge, der Rennen, der Fahrer, der Fabriken und Unternehmen oder der Rennstrecken, Veranstalter und Verbände" (7). Rennsport soll auch als Mensch-Maschine-Beziehung mit dem Ziel höchster Funktionalität verstanden werden. 16 Autoren versuchen, sich der Vielfältigkeit des Themas in Beiträgen von 7 bis 44 Seiten Länge zu nähern. Die Reihenfolge der Aufsätze ist weitgehend chronologisch bestimmt. Der zeitliche Rahmen reicht von den Anfängen des Motorsports bis in die späten 1980er-Jahre. Inhaltlich konzentrieren sich die meisten Artikel trotz des allgemeinen Titels auf die Motorsportaktivitäten von Daimler-Benz. Neben einigen allgemeineren Beiträgen gibt es nur jeweils eine Studie über Motorradrennsport und die Rennsportaktivitäten eines anderen Automobilproduzenten (Jaguar).

Drei Historiker und eine Soziologin versuchen in den ersten vier Aufsätzen, die wesentlichen Entwicklungen im Motorsport vor dem Zweiten Weltkrieg zu charakterisieren. Harry Niemann stellt in seinem programmatischen Beitrag beachtenswerte Überlegungen zu einer Historiographie des Rennsports an. Peter Kirchberg berichtet anschließend kenntnisreich über die Entwicklung der Rennwagentechnik bis 1939. Die Soziologin Barbara Walter konzentriert sich dagegen auf die Menschen, welche in der Pionierzeit von 1894-1910 Motorsport betrieben oder als Zuschauer daran Anteil nahmen. Peter Borscheid erweitert diesen Horizont noch, indem er versucht, das Streben nach Geschwindigkeitsrekorden in den herrschenden Zeitgeist der Jahrhundertwende einzuordnen.

Bei den folgenden Aufsätzen ist die Autorenschaft heterogener zusammengesetzt. Gleichzeitig erfolgt die Aufteilung der Themen weniger systematisch, und die Darstellung wirkt eher schlaglichtartig. Der Journalist Adriano Cimarosti liefert einen Überblick der wichtigsten technischen Entwicklungen nach 1949. Der Designer und Historiker Anders Ditlev Clausager berichtet in einem englischsprachigen Aufsatz von Jaguars Engagement beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans als Fallstudie. Der ebenfalls englischsprachige, ausschließlich aus Fotografien mit dazugehörigen Bildunterschriften bestehende Beitrag des Unternehmensberaters Karl Ludvigsen schildert die Motorsportbeteiligung der Daimler-Benz AG. Der Wirtschaftshistoriker Wilfried Feldenkirchen befasst sich anschließend in klarer, analytischer Vorgehensweise mit den unternehmenspolitischen Aspekten dieses Engagements und unterteilt es in sechs Phasen. Der Werbehistoriker Hans Jürgen Sproß betrachtet danach die visuelle Darstellung des Rennsports in Bild und Plakat, bevor der Wissenschafts- und Technikhistoriker Armin Hermann in einem sehr kurzen Beitrag einen Blick auf die Wiedergewinnung nationalen Selbstbewusstseins mithilfe von Rennerfolgen in den 1950er-Jahren wirft. Ein wenig verloren zwischen all dem Automobilsport wirkt der folgende Artikel des Wirtschaftshistorikers Helmut Braun über die Entwicklung des Motorradrennsports von den Anfängen bis in die 1930er-Jahre. Karl-Friedrich Ziegahn ist Experte für Umwelttechnik und berichtet, wie sich das wachsende Umweltbewusstsein seit den 1970er-Jahren zunehmend in Richtlinien für umweltgerechten Motorsport niederschlug. Der Journalist Dirk Johae untersucht danach den Einfluss der Medien auf den Rennsport, wobei sein Hauptaugenmerk dem Fernsehen gilt. Der Journalist und ehemalige aktive Motorsportler Eckard Schimpf schildert dann die Geschichte des Sponsoring. Die letzten beiden Beiträge stammen von Daimler-Benz-Ingenieuren. Erich Waxenberger berichtet vom ersten Einsatz von Telematik in Mercedes-Rallyefahrzeugen in Afrika, und Rüdiger Faul beschreibt, wie Daimler-Benz-Mitarbeiter in ihrer Freizeit lange vor dem offiziellen Wiedereinstieg ihres Arbeitgebers in den Motorsport an Entwicklung und Einsatz eines Gruppe C Rennwagens mitwirkten.

Die Heterogenität seiner Autoren ist zugleich Stärke und Schwäche dieses Tagungsbandes. Sie ermöglicht es, die facettenreiche Geschichte des Rennsports aus den unterschiedlichsten Perspektiven zu betrachten, gleichzeitig geht die Geschlossenheit der Darstellung jedoch verloren, und einen roten Faden der Fragestellung sucht man vergebens. Einige Aufsätze können wissenschaftlichen Ansprüchen in keiner Weise gerecht werden. Das muss jedoch nicht bedeuten, dass sie wertlos sind. So bieten mehrere Beiträge einen hochinteressanten Einblick in die Denkweise der Beteiligten und bewahren die Kenntnis von Vorgängen, die sich aus dem Quellenmaterial so niemals rekonstruieren ließen.

Geradezu ärgerlich sind aber die redaktionellen Schwächen, die dieses Buch aufweist. Das beginnt bei den Mängeln im Lektorat. Über die zahlreichen Druckfehler ließe sich ja hinwegsehen, aber wenn Halbsätze fehlen (49) oder sich ganze Textpassagen fast wörtlich wiederholen (259 und 263), lässt dies die Sorgfalt vermissen, die man von einem solchen Buch verlangen darf.

Als unzureichend erweist sich auch die inhaltliche Abstimmung zwischen den Autoren. So wird der Begriff des "Herrenfahrers" in zwei Beiträgen (Niemann, Walter) unter Verwendung der gleichen Zitate definiert. Das Rennen Paris-Rouen wird sogar in vier Aufsätzen (Niemann, Kirchberg, Walter, Feldenkirchen) in ähnlicher Ausführlichkeit geschildert. Da kann es nicht verwundern, dass sich nur wenige Beitragende an den grundsätzlichen Überlegungen des Mitherausgebers Niemann orientieren. Dementsprechend kommt die Frage nach der Mensch-Maschine-Beziehung zu kurz. Aus Sicht einer Kulturgeschichte der Technik hätte man sich eine höhere Aufmerksamkeit für die Wechselwirkung zwischen Rennsport und gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Symbolen gewünscht.

Das erklärte Ziel, die Lücken in der Forschung zur Geschichte des Rennsports zu schließen, kann dieser Tagungsband somit höchstens teilweise erfüllen. Ihm kommt jedoch fraglos das Verdienst zu, auf diese Lücken aufmerksam gemacht und zu weiter gehenden Forschungen angeregt zu haben. Ein weiteres Plus stellen die zahlreichen interessanten Abbildungen und der vergleichsweise geringe Preis dar.

Norbert Stieniczka