Rezension über:

George Raudzens (ed.): Technology, Disease and Colonial Conquests, Sixteenth to Eighteenth Centuries. Essays Reappraising the Guns and Germs Theories (= History of Warfare; 2), Leiden / Boston: Brill 2001, XVIII + 306 S., 6 illus., ISBN 978-90-04-11745-7, EUR 84,00
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Rezension von:
Norbert Finzsch
Historisches Seminar, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Norbert Finzsch: Rezension von: George Raudzens (ed.): Technology, Disease and Colonial Conquests, Sixteenth to Eighteenth Centuries. Essays Reappraising the Guns and Germs Theories, Leiden / Boston: Brill 2001, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 1 [15.01.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/01/2607.html


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George Raudzens (ed.): Technology, Disease and Colonial Conquests, Sixteenth to Eighteenth Centuries

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Der vorliegende Sammelband erklärt im Untertitel, weshalb er geschrieben wurde: Die Guns and Germs Theory, die seit den Sechzigerjahren mehr und mehr sozialdarwinistische Erklärungen zur Unterwerfung indigener Bevölkerungen durch die Europäer nach dem 15. Jahrhundert abgelöst hat, wird in diesem Buch einer kritischen Überprüfung unterzogen, nicht um sie zu den Akten zu legen, sondern um sie zu verfeinern und zu differenzieren.

Die Gun and Germs Theory besagt nicht mehr und nicht weniger, als dass die Europäer sich auf Grund der Schwächung indigener Populationen durch Epidemien und durch ihre kriegstechnische Überlegenheit durchgesetzt hätten. Diese Theorie ist in den letzten vierzig Jahren immer weiter entwickelt worden. Sie hat den Vorteil, einerseits genügend explikative Kraft zu haben, um einen problematischen Sachverhalt zu erklären, und andererseits einfach genug zu sein, um in einer hinreichend großen Zahl von Fällen zur Anwendung zu kommen.

Der vorliegende Band vereint eine Reihe von Spezialisten (darunter eine Frau) der englischsprachigen Welt von Kanada bis Australien und behandelt thematisch so diverse Zusammenhänge wie Nordamerika, Südamerika und die Philippinen. Essays über Afrika und Australien hingegen fehlen, in beiden Fällen eher die Folge der großen Forschungsdesiderate auf dem Gebiet der Guns and Germs Theory als eines ausschließenden kolonialen Blicks, auch wenn zu Afrika und Australien durchaus vergleichbare Monografien vorliegen. Wie der Herausgeber in seiner knappen Einleitung feststellt, eint die acht versammelten Essays, dass ihre Autoren die Guns and Germs Theory in wichtigen Aspekten modifizieren, ohne sie in ihrer Gesamtheit abzulehnen oder für überholt zu halten. Es gehe vielmehr darum, ihre Simplizität zu hinterfragen und ihre Komplexität zu erhöhen, indem dieser Theorie andere Faktoren hinzugefügt werden, die das Bild abrunden. Die vorgebrachten Argumente beruhen dabei insgesamt sehr stark auf der Zusammenfassung der Forschung und weniger auf der Interpretation neuer Quellen oder eigenen originären Untersuchungen.

Bei den präsentierten Ergebnissen handelt es sich einerseits um Rekapitulierungen bekannter Positionen, Neubestimmungen, die auf Grund wissenschaftlicher Kritik notwendig geworden sind und wertvolle Beiträge auf bisher unerforschtem wissenschaftlichen Terrain. Kurz - wie nahezu jeder Sammelband - bietet auch dieser Bekanntes und Neues, Interessantes und Quisquilien.

Jeremy Black, Spezialist für britische und Militärgeschichte sowie Autor und Herausgeber zahlreicher Studien zur englischen Politik des 18. Jahrhunderts, stimmt die LeserInnen ein, indem er das Konzept der "militärischen Revolution" einer kritischen Prüfung unterzieht. Obwohl er konzediert, dass die militärtechnische Entwicklung es rechtfertigt, von einer Revolution zu sprechen, und diese Revolution in einigen Fällen die Grundlage kolonialer Expansion der euroatlantischen Welt gewesen ist, sieht er die Karten nicht nur einseitig zugunsten der europäischen Invasoren gemischt. Dies war allen Historikerinnen und Historikern klar, die sich mit der Geschichte der Native Americans im 17. und 18. Jahrhundert beschäftigt haben, aber es tut gut, dies noch einmal so klar formuliert lesen zu können.

George Raudzens selbst folgt mit einem Aufsatz, in dem er vier Kolonialprojekte vergleicht, Hispaniola (1493), Virginia (1607), New France (1608) und New England (1620). Indem er sich auf die ersten zwei Jahrzehnte der verglichenen Siedlungsprojekte konzentriert, gelingt ihm der Nachweis, dass die militärische Überlegenheit der Europäer nicht entscheidend gewesen ist und eingeschleppte Krankheiten die Siedler mehr betrafen als die indigene Bevölkerung. Vielmehr habe logistische Überlegenheit und die rasch wachsende Bevölkerung das Kräfteverhältnis zugunsten der Invasoren verändert. Dieser letzte Punkt ruht auf äußerst schwachen, weil probabilistischen Argumenten, und Raudzens versäumt es, die umfangreiche Forschung zur Krankheitsverbreitung in der unmittelbaren ersten Kontaktphase zur Kenntnis zu nehmen. Eine komplexere Theoriebildung kann nicht auf der Basis eines reinen body counts erfolgen, und Raudzens lässt den Rezensenten aus diesem Grund unüberzeugt zurück.

Armstrong Starkey erinnert uns noch einmal daran, dass Kämpfe zwischen Europäern und indigenen Völkern in Nordamerika einer eigenen Logik gehorchten, die in einer kurz- und langfristigen Überlegenheit der Indianer gegenüber den Europäern resultieren konnte. Die Behauptung, die Native Americans seien bei der Kriegsführung nicht durch europäische Militärcodes zurückgehalten worden und deshalb besonders "grausam" vorgegangen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn es ist ein Kennzeichen der europäischen Kolonialkriegsführung, dass auch sie nicht durch Regularien bestimmt gewesen ist, die allenfalls für Kabinettskriege auf dem europäischen Festland gegolten haben mögen. Im Kolonialkrieg kämpften Europäer wie Indianer mit den gleichen Mitteln und europäische Kämpfer töteten Kombattanten wie Nichtkombattanten. Der Pequot War und King Philip's War sprechen hier eine beredte Sprache.

David Cahills Versuch, die Bedeutung der indigenen Elite für die Eroberung durch europäische Invasoren zu beleuchten, ist hingegen erfolgreich. Es gelingt ihm zu zeigen, wie Spannungen innerhalb der indigenen Herrschaftsräume der Andenstaaten von europäischen Eroberern langfristig ausgenutzt werden konnten.

Francis Brooks geht in seinem Beitrag erneut der Frage nach, welche Bedeutung Krankheiten und ihre Verbreitung für indigene und koloniale Gesellschaften hatten. Sein Bezug auf die umstrittene Theorie Jared Diamonds, der von einer geringeren Widerstandskraft der amerikanischen und afrikanischen indigenen Lebensformen ausgeht, ist jedoch mehr als fragwürdig. Zum einen ist dies nichts anderes als ein szientistisch verbrämter Neuaufguss der Theorien des Comte Buffon, die Thomas Jefferson schon im 18. Jahrhundert die Wände hochgetrieben haben, zum anderen stellt Diamond in seinem Ansatz Weltgeschichte von ihren historischen Füßen auf einen biologistischen Kopf.

Einen Lichtblick stellt Linda Newsons Aufsatz über die geografische Varianz der von Europäern eingeschleppten Seuchen dar. Das Alphabet der Einflussgrößen für die Letalität von Seuchen am Beispiel Lateinamerikas durchbuchstabierend, kommt Newson zu dem einleuchtenden, wenn auch nicht ganz überraschenden Ergebnis, dass Umweltfaktoren für die Tödlichkeit von Erregern mindestens ebenso entscheidend sind wie die Stärke der einwirkenden Pathogene.

Lawrence Clayton reformuliert in seinem Beitrag noch einmal die These vom Iberian Advantage, welcher entscheidend für das rasche koloniale Ausgreifen von Spaniern und Portugiesen im 16. Jahrhundert gewesen sein soll. Clayton betont bei der Erklärung dieses Vorteils vor allem die Verbindung von maritimer Technologie, religiösem Eifer und kapitalistischem Interesse.

Beschlossen wird der Band von einem gemeinschaftlich von David McNab, Bruce Hodgins und Dale Standen verfassten Essay über die Bedeutung des Kanus für die Kriegsführung und den Handel in Nordamerika. Dieser Beitrag besteht im Wesentlichen aus einer narrativen Aneinanderreihung kolonialer Kriege der Engländer und Amerikaner mit den Native Americans zwischen 1600 und 1821 und untersucht jeweils, welche Rolle das Kanu in diesen Kolonialkriegen spielte. Das hätte man sich auch sparen und die verschenkten 60 Seiten, die dieser Beitrag einnimmt, mit zwei originellen und neuen Beiträgen zur Kolonialgeschichte Australiens oder Afrikas füllen können.


Norbert Finzsch