Rezension über:

Wilhelm A. Eckhardt / Helmut Klingelhöfer (Hgg.): Bauernleben im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Die Stausebacher Chronik des Caspar Preis 1636 - 1667. Mit einer Einführung von Gerhard Menk (= Beiträge zur Hessischen Geschichte; 13), Marburg/Lahn: Trautvetter & Fischer 1998, 104 S., ISBN 978-3-87822-110-4, EUR 15,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Maren Lorenz
Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Maren Lorenz: Rezension von: Wilhelm A. Eckhardt / Helmut Klingelhöfer (Hgg.): Bauernleben im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Die Stausebacher Chronik des Caspar Preis 1636 - 1667. Mit einer Einführung von Gerhard Menk, Marburg/Lahn: Trautvetter & Fischer 1998, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 4 [15.04.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/04/2275.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in PERFORM.

Wilhelm A. Eckhardt / Helmut Klingelhöfer (Hgg.): Bauernleben im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges

Textgröße: A A A

Der Bauer Caspar Preis ist Lokalhistorikern kein Unbekannter. Da sich seine 98seitigen Aufzeichnungen hervorragend für verschiedene Fragestellungen der Alltags-, Sozial- oder Kulturgeschichte eignen, liegen bereits zwei rein lokalhistorisch motivierte vollständige Editionen (1902 und maschinenschriftlich 1989) sowie weitere Nacherzählungen und auszugsweise Nachdrucke vor. Das Verdienst der kritischen Edition seitens einiger Mitarbeiter des Staatsarchivs Marburg, in dessen Besitz sich das Originalmanuskript befindet, ist es, eine vergleichsweise preisgünstige und dabei reich (hauptsächlich mit Kriegsdarstellungen, aber auch Kartenausschnitten und Fotos) bebilderte Ausgabe ermöglicht zu haben. Endlich können über die hessischen Landesgrenzen hinweg gleichermaßen interessierte Laien wie die Fachwelt erreicht werden. Der packende Text lässt sich hervorragend als Stimme der "kleinen Leute" im Schulunterricht wie Seminaren einsetzen.

Dabei galt der Bauer Preis seinen Standesgenossen sicher nicht als kleiner Mann. Jahrelang bekleidete er ob seiner Schreib- und Rechenkünste das Amt des Kasten- oder Bürgermeisters und spielte eine zentrale Rolle im religiösen Gemeindeleben. Auch waren er und seine Frau im Jahre 1636 in der Lage, für immerhin 700 Gulden den zwar verwüsteten, aber großen Hof in Stausebach zu erwerben, dessen wechselvolle Geschichte und Kampf um seinen Erhalt Preis seinen Nachkommen überlieferte. Informationen über die Herkunft des Autors und sein Leben vor dem Umzug nach Stausebach sind spärlich, beruhen hauptsächlich auf seinen eigenen Angaben. Die Geschichte des Hofes und der Nachfahren wurde jedoch von den Herausgebern detailliert rekonstruiert.

In den nachträglich für das jeweilige Jahr niedergeschriebenen prägenden Erlebnissen zeichnen sich Schwerpunkte wie Sicherheitsbedürfnis und Versorgungsnöte, aber auch kaufmännische Interessen (Absatz der landwirtschaftlichen Produkte, Schuldenverhandlungen, Abgaben) ab. So gelten der Kaufkraft des Geldes, der Beschaffung von Materialien und den Kosten von Handwerksleistungen besondere Aufmerksamkeit. Zentral für die abwechselnd von Zerstörung und Wiederaufbau geprägte Lebenssituation im Dreißigjährigen Krieg sind Berichte über Fluchten der Stausebacher in die Nachbarstädte oder das lokale Alarmsystem, bei dem sich Dorfgemeinschaften zusammentaten und gemeinsam mit zum Schutz abgestellten Soldaten das Dorf befestigten und mit Waffengewalt verteidigten. Um den Nachgeborenen die existenzielle Bedrohung und emotionale Belastung der Kriegszeiten zu verdeutlichen, spart der Autor nicht mit drastischen Berichten über das, "was ich selbst mit meinen Augen habe gesehen und an der That mit Schmertzen erfahren habe" (35).

Die akute Lebensgefahr schwand zwar nach 1648, die ökonomische Belastung nahm jedoch noch zu. Immer wieder klagt Preis unverblümt über die Kriegsfinanzierung, die er im Gegensatz zu anderen Steuern des Landesherrn für moralisch nicht gerechtfertigt hält: "Conterbutzion und d[as] gemarterte[n] Blutgelt[s]. Es ist doch in Wahrheit nicht anders dan der armen Leuth Schweiß und Blutt" (69). Seine Wut über dieses angebliche "Fridengelt", das doch nur zu mehr Soldaten und Gewalt führe, ist gerade in den Jahren nach 1648 unverhohlen.

Die zeittypisch tiefe Religiosität und daher rührende Duldsamkeit der geprüften Bevölkerung kommt nicht nur in schicksalsergebenen Segenssprüchen und Gebeten des Zwangskatholisierten zum Ausdruck, sondern manifestiert sich direkt im Bericht über die priesterlosen Jahre 1649/50, in denen Preis den sonntäglichen Gottesdienst leitete und selbst aus dem Evangelium las und predigte. Derartige Einblicke in die stabilisierende Bedeutung vertrauter Rituale, der Ruf nach Einhaltung bestimmter Spielregeln auch bei dörflichen Konflikten in unsicheren Zeiten, machen den Text zu einer historisch-anthropologisch interessanten Lektüre.

Spannend wie ein Krimi lesen sich manche Berichte über Soldateneinfälle oder auch den Angriff einer waidwunden trächtigen Wölfin, Grenzerfahrungen, die sich in das individuelle Gedächtnis eingebrannt hatten. Neben den bekannten Grausamkeiten liest man hin und wieder von "redlichen" Soldaten, seien es ein einquartierter Soldat mit Familie oder der lokale Kommandeur, dem es trotz Versorgungsnot gelingt, Disziplin zu halten. Wiederholt wird die Ambivalenz der Beziehung zum Militärstand deutlich. Dass die Kriege auch im Frieden so fern nicht waren, belegt die Tatsache, dass Preis auch nach 1648, etwa 1660, von Einquartierungen berichtet, die manchmal nur ein oder zwei Tage dauerten, aber auch mehrere Wochen oder 1649 sogar das ganze Jahr über erduldet werden mussten. Zwischen 1636 und 1648 zählt man allerdings ganze siebzehn Truppendurchzüge.

So informativ diese Edition gerade für agrar- und mikrohistorisch Interessierte auch dank der akribisch Hofbesitz- und Familiengeschichte rekonstruierenden Einleitung Wilhelm Eckhardts ist, die durch erklärende Fußnoten Helmut Klingelhöfers noch ergänzt wird, so überflüssig erscheint in diesem Zusammenhang der überwiegende Teil der Einführung Gerhard Menks. Dieser referiert die internationale Historiographie des Dreißigjährigen Krieges prägnant und unter Bezug auf das wechselnde politische Interesse vom 19. Jahrhundert bis heute (5-16). Dadurch wird die Bedeutung der Bauernchronik auf die zwölf Kriegsjahre reduziert, wie schon der Untertitel betont. Diese Verkürzung vergibt von vornherein das Potenzial der späteren Erinnerungen. Immerhin reichen die jährlichen Niederschriften bis zum Tode des Bauern 1667 und kreisen neben ökonomisch bedeutsamen Fragen zu Witterung und Ernte auch nach 1648 um die lokalen Auswirkungen ferner Kriege. Gemäß Handschriftenvergleichs wurde der Zeitraum von 1636 bis 1650 quasi als Vorgeschichte des nun zu leistenden Wiederaufbaus und Neuanfangs komplett erst Ende des Jahres 1650 niedergeschrieben, während die späteren Aufzeichnungen meist jeweils zum Jahresende einen aktuellen Rückblick geben sollen. Preis benutzt zwar 1650 den zeitgenössischen Topos des unmittelbar bevorstehenden "Weltende[s]" (72), doch belegt die Entscheidung, die vergangenen und zukünftigen Erlebnisse zu überliefern, die Hoffnung auf friedlichen Neubeginn und lebendige irdische Leser.

Statt also anlässlich des Friedensjubiläums auf den Themenzug "Dreißigjähriger Krieg" aufzuspringen, hätte man quellenkritisch Besonderheiten kommentieren können. Fragen nach den Motiven zur Niederschrift werden gar nicht thematisiert. Der bäuerlichen Lebenswelt und spezifischen Quellenart gelten nur wenige Seiten der Einführung (16-20). Die Fußnoten beschränken sich hauptsächlich auf Datierungen, Klärung von Namen, Flurbezeichnungen und Mengenangaben. Auch bleibt dem historischen und ortsfremden Laien so manch Idiomatisches unklar, zum Beispiel "vor den Schlag liffen" oder "Dopelhocken" (40).

Während landwirtschaftliche Begriffe aus agrarhistorischer Perspektive ausführlich kommentiert werden, bleiben sozial- und kulturhistorische Fragestellungen auch in den Fußnoten unberücksichtigt. Eine kritische Edition könnte verstehen helfen, woher der Bauer, der akribisch den Verlust jedes einzelnen Tieres und Baumes, die Höhe der Kontributionen oder die Zerstörung sämtlicher Gebäude beschreibt, doch immer wieder wie aus dem Nichts Ressourcen mobilisiert, etwa begehrte Arbeitskräfte wie Pferde oder Zugochsen auftreibt und bezahlen kann (!) und es so wiederholt zu stattlichem Besitz bringt. Was bedeutet es, wenn Preis wiederholt und in langen Passagen den Mangel an Arbeitskräften beklagt, da Gesinde teure Mangelware war, das ob seiner selbstsicheren Forderungen die bäuerlichen Machtverhältnisse auf den Kopf zu stellen drohte? Erklärungsbedürftig auch die Art und Weise, wie Preis mehrfach seine zukünftige Leserschaft direkt anspricht, für Verständnis, besonders der psychischen Verfasstheit der kriegstraumatisierten Generationen wirbt (etwa 46). Interessant wäre auch gewesen zu erfahren, aus welchen Quellen und Motiven sich der lange Brief speisen könnte, den Preis 1663 wörtlich zitiert und welchen "der turkische Kayser dem römischen Keiser" geschickt habe. Diese Niederschrift sticht heraus, während von anderem Weltgeschehen nur beiläufig, unter lokalem Bezug und ohne Zitate, berichtet wird.

Mehrfach werden Preisens Angaben mit jenen des anonymen Söldners verglichen, dessen Tagebuch Jan Peters 1993 edierte. Widersprüchliche Berichte über Ereignisse, die beide vor Ort miterlebten, werden zwar benannt und weitere Quellen zugezogen, die spannende Frage nach der Entstehung solcher Differenzen wird leider nicht gestellt (48, 56). Gerade weil die Aufzeichnungen weit mehr Informationen über das Landleben in der Mitte des 17. Jahrhunderts enthalten als etwa Anschreibebücher oder Verzeichnisse, hätte sich hier die Chance geboten, den Text kulturhistorisch tiefer zu erschließen.

Eine Überblicksskizze mit Angabe der räumlichen Entfernungen hätte Ortsunkundigen bei der Visualisierung der beschriebenen Ortswechsel, Handels-, Heer- und Fluchtwege sehr geholfen. Besonders aus didaktischer Perspektive haben die Herausgeber manche Lücke gelassen. Es scheint, als habe man nur den kleinen Kreis der spezialisierten Forschungskollegen erreichen wollen. Trotz oben genannter Monita ist die Edition insgesamt ein Gewinn und lässt auf weitere historisch-kritische Ausgaben frühneuzeitlicher Tagebücher und Berichte hoffen, die nähere Einblicke in die agrarische Lebenswelt eröffnen.


Maren Lorenz