Jürgen Kloosterhuis: Katte. Ordre und Kriegsartikel. Aktenanalytische und militärhistorische Aspekte einer "facheusen" Geschichte, 2., durchgesehene und erweiterte Auflage, Berlin: Duncker & Humblot 2011, 137 S., ISBN 978-3-428-13607-0, EUR 14,80
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Es gibt wohl keine Episode in der Geschichte Friedrichs des Großen, der eine für die Entwicklung seiner Persönlichkeit ähnlich hohe Bedeutung zugeschrieben wird wie der Fluchtversuch im Jahr 1730, der völlig missglückte und im nachfolgenden so genannten "Kronprinzenprozeß" (Carl Hinrichs) Friedrichs Freund und Fluchthelfer Hans Hermann von Katte die Todesstrafe bescherte. Der Moment, in dem der junge Friedrich die Hinrichtung seines Freundes mitanschauen musste, gilt als Schlüsselszene in der Biographie des späteren Königs: kaum ein Biograph, der hier nicht den Ursprung verschiedener Charakterausprägungen Friedrichs sieht, kaum ein Historiker, der sich nicht versucht fühlt, psychologisierende Schlüsse aus dieser Verlusterfahrung des damals 18jährigen Kronprinzen zu ziehen. Auf diese Weise gehören Flucht und Prozess zum festen Inventar des Friedrich-Bildes, fast unabhängig von der Haltung, die der jeweilige Autor zur Figur Friedrichs des Großen einnimmt.
Von diesem Ansatz hat sich Jürgen Kloosterhuis ganz frei gemacht. Er will die Vorgänge des Jahres 1730 nicht aus der Perspektive des zukünftigen Königs betrachten, und ebenso wenig soll der Blickwinkel von Friedrichs Vater König Friedrich Wilhelm eingenommen werden. Vielmehr stellt der Autor Katte in den Mittelpunkt, denn für ihn gilt, ganz in der Tradition Fontanes: "Er ist der Held, und er bezahlt die Schuld" (10). Zwei kleine, bislang nicht wahrgenommene Unregelmäßigkeiten führen Kloosterhuis auf die Fährte, um die Kattetragödie neu aufzurollen. Die eine ist das so genannte Lindower Konterfei, das Katte im Jahr 1730 zeigen soll, aber erst nach dessen Hinrichtung vollendet wurde und mit der fehlenden Chiffre am Kürass des Dargestellten und dem abgebildeten Johanniterkreuz zwei Merkwürdigkeiten aufweist. Das andere ist die Kabinetts-Anweisung vom 1. November 1730, in der Friedrich Wilhelm I. das Todesurteil über Katte verhängt, allerdings in einer aktenkundlich eigenartigen Form. Um diesen Auffälligkeiten auf den Grund zu kommen, unternimmt Kloosterhuis im Folgenden eine sowohl aktenkundliche als auch militärhistorische Untersuchung.
Zunächst wird kurz der Betrieb der preußischen Kanzlei erläutert und dabei konkret die Genese von königlichen Anweisungen dargestellt, wobei zwischen den zwei Formen der Kabinetts-Ordre und des Kabinetts-Dekret-Schreibens zu unterscheiden ist. Doch genau die oben erwähnte Anweisung des Königs stellt eine eigentümliche Mischform dar. Der Verfasser vermutet hinter diesem "gebrochene[n]" Text (17) einen unüblichen Geschäftsgang, der sich wiederum in einer spezifischen archivarischen Überlieferung niederschlagen müsste. Allerdings erweist sich die Überlieferung der einschlägigen Prozessakten als kompliziert. Ein Teil der Akten war lange Zeit privat tradiert worden, und überhaupt haben einige Bestände ihre jeweils eigene, unkonventionelle Überlieferungsgeschichte. Bereits im Jahr 1826 wurde schon festgestellt, dass die so genannten Küstriner Akten nicht mehr komplett vorlagen. Neben archivarischen Missgeschicken ist auch einzukalkulieren, dass diese Konvolute im Jahr 1751 von Friedrich dem Großen eingesehen wurden, der damals womöglich eine Feinkassierung veranlasst hat. Jedenfalls liegt mit dem zu konstatierenden Fehlbestand genau an der Stelle eine Überlieferungslücke vor, an der Aufschluss über die Entstehung der merkwürdigen Kabinetts-Ordre zu erwarten gewesen wäre.
Der folgende Abschnitt wendet sich Hans Hermann von Katte zu. Kloosterhuis zeichnet zunächst das familiäre Umfeld nach, um dann auf den Werdegang Hans Hermanns einzugehen. Offenbar zeigte der junge Mann nur wenig Neigungen zu dem, was der Autor die "neue preußische Regimentskultur" nennt, die sich aus disziplinierter Lebensweise, militärischer Mentalität und "religiös verankerten Kriegerwertvorstellungen" speiste und die Basis für eine unbedingte Königstreue bildete (vgl. 29f., siehe auch 75). Doch auf väterlichen Druck trat er Ende 1726 in den Militärdienst und wurde Kornett bei den Gens d'armes, also bei den königlichen Garde-Kavallerietruppen. Die Aufnahme in den Johanniter-Orden im Jahr 1728 markierte dann die feste Anbindung an die Elite Brandenburg-Preußens. Dieser symbolträchtige Vorgang war, dies wird in der Darstellung gut nachvollziehbar, auch der Hintergrund für die Enttäuschung des Königs über den Verrat des jungen Gardeoffiziers an dem ihm hier entgegengebrachten Vertrauen.
Vermutlich ab dem Frühjahr 1729 tauchte Katte dann im engeren Umfeld des Kronprinzen auf, der sich mit ihm anfreundete und ihn auch hinsichtlich seiner Fluchtpläne ins Vertrauen zog. Dass dieses Vorhaben in einem Debakel endete, schreibt der Autor durchaus dem Dilettantismus Friedrichs zu (57), legt aber den Schwerpunkt dann auf die Frage nach der militärjuristischen Einordnung dieses Fluchtversuchs. So gab es im preußischen Kriegsrecht das vergleichsweise leichte Delikt des Ausbleibens, dann den "schlimmen Straftatbestand" (60) der Desertion und schließlich das Komplottieren zur Desertion, also die Organisation einer gemeinschaftlichen Flucht mehrerer Soldaten. Genau darauf zielten die Untersuchungen ab, denen Friedrich und Katte unterworfen wurden - und beide räumten das Desertionskomplottieren letztlich auch ein.
Das preußische Kriegsgericht, das der König nun zur Festsetzung des Urteils berief, erließ ein für Katte erstaunlich mildes Urteil, das nur eine Haftstrafe vorsah (für den Kronprinzen hatte sich das Gericht nicht zuständig erklärt, was der König auch akzeptiert hat). Friedrich Wilhelm hat diese Milde nicht nachvollziehen können und das Urteil zur Todesstrafe, wenn auch ohne ehrverletzende Umstände, verschärft. In welcher Weise der König diese Entscheidung traf, wird aus einer früheren Version des Anweisungsschreibens deutlich, in dem der König das Todesurteil für Katte verfügte und zusätzlich mit dem Bruch des Fahneneids begründete (76). Mindestens ebenso wichtig wie diese archivarische Rekonstruktion sind aber die Hinweise auf die Gesamtkonstellation, in der der König den Fluchtversuch sehen musste. Sehr plausibel hebt Kloosterhuis am Ende den Prozess aus der Sphäre des Schicksals eines Gardekürassierleutnants auf die Ebene der hohen Staatsangelegenheiten. Sowohl vor dem Hintergrund eines zeitgleichen Desertionskomplotts von 40 Gardegrenadieren als auch der mächtepolitischen Implikationen des Fluchtversuchs Friedrichs ging es für den König um nicht mehr und nicht weniger als den "Bestand des preußischen Königtums" (83, ähnlich schon 74). Katte hatte angesichts dieser Konstellation keine Chance.
Mit der Feststellung, dass Friedrich Wilhelm im Laufe des Prozesses immer mehr zum "Getriebenen" wurde und "nicht immer als Herr der Lage" erschien (83), rückt zum Schluss der Studie der König stärker in den Vordergrund. Gleichwohl bleibt Katte im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Der Kronprinz hingegen bleibt in dieser Studie eine Figur am Rande, und nur kurz streift der Autor am Ende die Folgen des gescheiterten Fluchtversuchs für den nachmaligen König: Ihm wird attestiert, dass er "im Selbstvertrauen auf sich und seine Zukunft in der Küstriner Haft höchstens momentan, ansonsten weder gründlich noch nachhaltig erschüttert werden konnte" (84). Bemerkenswert ist diese Einschätzung insofern, als sie letztlich die Prägekraft dieser Episode im Rahmen der Gesamtbiographie Friedrichs relativiert.
Die großen Stärken der Untersuchung liegen insgesamt in den personengeschichtlich angelegten Ausführungen, die das familiäre Umfeld der Familie Katte, aber auch die personelle Staffage des Kronprinzen in dieser Zeit erhellen. Die Ausführungen sind strikt argumentativ gehalten und erhalten damit eine sehr hohe Plausibilität auch da, wo die aktenmäßige Evidenz fehlt - was dann aber stets offen eingeräumt wird. Der Studie kommen zudem das spürbare Interesse des Verfassers und sein Engagement zugute, der dieser zweiten Auflage ein Nachwort zur Rezeption der Erstauflage von 2006 angefügt und der Thematik noch jüngst eine eigene Ausstellung gewidmet hat. [1]
Anmerkung:
[1] Jürgen Kloosterhuis (Bearb.): Kriegsgericht in Köpenick! Anno 1730: Kronprinz - Katte - Königswort. Katalog zur Ausstellung "Kriegsgericht in Köpenick!" des Geheimen Staatsarchivs PK und des Kunstgewerbemuseums der Staatlichen Museen zu Berlin im Schloss Köpenick vom 29. Oktober 2011 bis zum 5. Februar 2012, Berlin 2011.
Michael Kaiser