Thomas Klingebiel (Bearb.): Die Landtagsabschiede des Hochstifts Hildesheim 1573 - 1688 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen; Bd. 234), Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2006, 191 S., ISBN 978-3-7752-6034-3, EUR 25,00
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Die niedersächsische Landesgeschichte ist seit einiger Zeit verstärkt um die Aufarbeitung der landständischen Geschichte bemüht. So erschien 2004 ein Handbuch, das überblicksartig über die Landstände in den verschiedenen nordwestdeutschen Territorien informierte. [1] Nun liegt eine erste Quellenedition zu Landtagsabschieden des Hochstifts Hildesheim vor, das zu den wenigen norddeutschen Hochstiften der Reichskirche gehörte, die nicht von den benachbarten Territorialfürsten säkularisiert wurden. Seine Geschichte, zumal mit Blick auf die landständischen Verhältnisse, stand bislang im Schatten der welfischen Herzogtümer, von denen das Hochstift zur Gänze umschlossen war. Dabei fordert gerade die komplizierte innere politische Konstellation (Formierung der Stände, konfessionelle Konfliktlage) in Hildesheim besondere Anstrengungen, denen sich mit Thomas Klingebiel ein ausgewiesener Fachmann für die Materie stellt. [2]
Im Zentrum des Bandes steht die Edition von insgesamt 26 Einzelstücken. Ganz überwiegend handelt es sich dabei um Landtagsabschiede, wobei in zwei Fällen nur die Entwürfe für die Abschiede vorliegen (Nr. 20 und 21). Hinzu kommen zwei landständische Resolutionen (Nr. 12, 14 und 23) sowie begleitende Schriftstücke zu drei Abschieden (2a, 19a und 20a). Die Quellen sind vollständig und im Wortlaut wiedergegeben; auf eine kritische Edition hat man verzichtet, da die Textvarianten für nicht substantiell zu halten sind (58). Den einzelnen Dokumenten sind jeweils Hinweise zur Textgattung, Datierung, ein Inhaltsregest sowie Hinweise zur Druckvorlage und zur weiteren Überlieferung vorangestellt. Die sparsame Kommentierung bietet vor allem prosopographische Erläuterungen sowie einige wenige kontextualisierende Sachhinweise.
Die Beschränkung der Edition auf Landtagsabschiede zwischen 1573 und 1688 findet ihre Begründung darin, dass auf diese Weise die zeitlich geschlossene Regentschaft von drei Bischöfen aus dem Hause Wittelsbach umfasst wird, die in dieser Phase über das Hochstift herrschten. Ernst (reg. 1573-1612), Ferdinand (reg. 1612-1650) und Maximilian Heinrich (reg. 1650-1688) hatten aber noch andere geistliche Benefizien inne, vor allem waren alle drei Erzbischöfe und Kurfürsten von Köln, so dass das Hochstift zu einem Nebenland wurde. Als Landesherren hielten sie sich kaum jemals in eigener Person im Hochstift auf und ließen sich von einem adligen Statthalter vertreten, der gemeinsam mit der bischöflichen Kanzlei die Regierungsgeschäft führte. Für die Ausbildung der landständischen Verfassung in Hildesheim sollte sich diese Konstellation als entscheidend erweisen. Denn nachdem die im Spätmittelalter einsetzende herrschaftliche und territoriale Konsolidierung Hildesheims durch die Stiftsfehde (1519-1523) aufgehalten worden war - das Hochstift verlor den größten Teil seines Territoriums an die welfischen Nachbarn und wurde somit zum "Kleinen Stift" - , begann erst mit der Regierungszeit Ernsts von Bayern die "eigentliche Formierungsphase des neuzeitlichen hildesheimischen Landtags" (25).
Denn die räumliche Distanz zwischen Landesherr und Landständen erwies sich für die innere territoriale Entwicklung als positiver katalysatorischer Effekt. Die Landtagsgeschäfte in dieser Zeit intensivierten sich: Auseinandersetzungen um Steuerbewilligungen, aber auch konfessionelle Streitpunkte der überwiegend protestantischen Stände mit dem katholischen Landesfürsten beförderten das Engagement der Stände für Landesangelegenheiten und auch deren korporative Identitätsbildung - erst im späten 16. Jahrhundert fand dabei die landständische Organisation in vier Kurien (Domkapitel, die sog. Sieben Stifter, die Ritterschaft und die Städte), die sich schon im Spätmittelalter angedeutet hatte, ihre endgültige Verfestigung.
Für diese richtungsweisende Phase landständischer Entwicklung ist aber auch festzuhalten, dass politische Prozesse nicht nur auf der Bühne des Landtags stattfanden. Die Stände suchten - je nach Situation und Intention - mitunter bewusst am Landtag und der fürstbischöflichen Regierung vorbei den direkten Kontakt mit dem Landesherrn, was sich vor allem in Korrespondenzen niederschlug. Nicht wenige Landtage wiederum gingen ohne Abschied auseinander; diese als gescheitert zu bezeichnen, greift aber womöglich zu kurz, da es durchaus im Kalkül der Stände, manchmal sogar der Regierung sein konnte, die Ergebnisse mancher Verhandlungen nicht in die Form eines Rezesses zu bringen (vgl. etwa 30, 39, 41).
An dieser Stelle wird deutlich, wie schwierig die Entscheidung ist, die Edition allein auf die Landtagsabschiede zu beschränken. Für die 40jährige Regierungszeit Ernsts von Bayern hat auf diese Weise gerade einmal ein Landtagsrezess Eingang in den Band gefunden; die Nummern 2 bis 5 umfassen die Regentschaft Ferdinands, der große Rest bleibt für die Phase Maximilian Heinrichs. Briefschaften, Verhandlungsakten, Landtagsprotokolle hätten hier nicht einfach das Bild der landständischen Verhältnisse abgerundet, sondern manche innerterritorialen Entwicklungen überhaupt erst nachvollziehbar gemacht. Der Bearbeiter und die Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen waren sich dieser Tatsache durchaus bewusst und entschieden sich aus reinem Pragmatismus dafür, nur die Rezesse als die "zentralen Dokumente" der Landtagsgeschichte zu publizieren (vgl. Brage bei der Wieden im Geleitwort, 8; vgl. auch die Editorische Vorbemerkung, 58). Dabei ist aber gerade die hildesheimische Geschichte ein Beleg dafür, dass Landtagsabschiede zwar zentrale Quellen sind, ihr Fehlen aber keineswegs als historisches Vakuum missdeutet werden darf, in dem nichts Wesentliches geschehen wäre.
Angesichts der Finanzierungs- und letztlich auch Akzeptanzschwierigkeiten, die die historische Forschung schon seit einiger Zeit vor allem mit Editionsprojekten hat, soll das konzeptionelle Dilemma an der Stelle gar nicht dem Bearbeiter zu Last gelegt werden. Das Problem liegt letztlich vor allem in der Wahrnehmung: Bei der Erforschung landständischer Verfassung kann man sich nicht unbedingt auf den Rahmen des Landtags festlegen und sollte sich auch vom Kriterium des Landtagsabschieds als Zeichen für den messbaren Erfolg dieser Veranstaltung lösen. Dafür spricht eben das Beispiel dieses Hochstifts, wie der Bearbeiter gerade in seiner herausragenden Einführung zur territorialen und landständischen Entwicklung in Hildesheim zu erkennen gibt (9-55). In stark kondensierter Form, aber gleichwohl anschaulich kann Klingebiel genau die Prozesse dieser landständischen Institutionalisierung, Professionalisierung und Politisierung (vgl. 43) im Hochstift des späten 16. und 17. Jahrhundert verdeutlichen. Darüber hinaus deutet er plausiblerweise die im Laufe der Jahrzehnte stärker werdende Einbeziehung der Landstände in die Reichsangelegenheiten (Türkensteuer, Beiträge für das RKG, Reichskreisbeiträge) nicht als Machtverlust der Stände, sondern als Stimulus für die Verfestigung landständischer Strukturen - ein durchweg bemerkenswerter Gedanke, dessen Relevanz deutlich über das Beispiel Hildesheim hinausweist (42 f.).
Die hier dokumentierten Landtagsabschiede können auf ihre Weise diese Befunde allesamt veranschaulichen. Gleichzeitig schaffen sie die Grundlagen für die weitere Erforschung der landständischen Verhältnisse, zunächst im Hochstift Hildesheim, aber auch darüber hinaus. So wird man diese Edition auch als Einladung für einen komparatistischen Zugriff verstehen dürfen; die enge Verbindung vor allem der hildesheimischen Ritterschaft zu den welfischen Territorien legt dies mehr als nahe. Mit dem vorliegenden Band zu Hildesheim hat die Dokumentation zur landständischen Geschichte in Niedersachen insgesamt einen verheißungsvollen Auftakt genommen; den weiteren geplanten Editionen für andere niedersächsische Territorien darf man gespannt entgegen sehen.
Anmerkungen:
[1] Brage bei der Wieden (Hrsg.): Handbuch der niedersächsischen Landtags- und Ständegeschichte, Bd. I: 1500-1806 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 216), Hannover 2004.
[2] Klingebiel hat bereits für das genannte Handbuch (wie Anm. 1) die entsprechenden Abschnitte zu Hildesheim beigesteuert, vgl. Seite 33-43 und Seite 230-247, grundlegend dazu aber vor allem aber seine Habilitationsschrift: Ein Stand für sich? Lokale Amtsträger in der Frühen Neuzeit: Untersuchungen zur Staatsbildung und Gesellschaftsentwicklung im Hochstift Hildesheim und im älteren Fürstentum Wolfenbüttel (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 207), Hannover 2002.
Michael Kaiser