Marc Höchner: Selbstzeugnisse von Schweizer Söldneroffzieren im 18. Jahrhundert (= Bd. 18), Göttingen: V&R unipress 2015, 286 S., 16 Abb., ISBN 978-3-8471-0321-9, 54,99
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Im 18. Jahrhundert war die große Zeit der Schweizer Heerhaufen lange vorbei, in der die Eidgenossenschaft im Vertrauen auf ihre militärische Schlagkraft eine durchaus expansionistische Politik verfolgt hatte. Geblieben war aber der hervorragende Ruf der Schweizer als Söldner, und die Armeen der Fürstenstaaten im Ancien Régime griffen in ihrem nie zu stillenden Hunger nach Soldaten gern auf die menschlichen Ressourcen zurück, die die Eidgenossenschaft zur Verfügung stellte. Vor allem in Frankreich, aber auch in den Niederlanden und Spanien gab es Schweizer Regimenter. In diesem historischen Kontext ist die Arbeit angesiedelt, die Schweizer Söldneroffiziere in ihren Mittelpunkt stellt und 2013 in Freiburg (Schweiz) als Dissertation angenommen wurde.
Grundlage der Untersuchung sind Selbstzeugnisse der Militärs. Dass hierbei nur Offiziere zu Wort kommen, hängt mit der Überlieferungssituation zusammen, derzufolge einfache Soldaten eben kaum schriftliche Zeugnisse überliefert haben - im Gegensatz zu den Offizieren, die einer "relativ gebildeten Oberschicht" entstammten (13). Insgesamt hat der Verfasser rund 400 Dokumente ausgewertet. Neben wenigen zeitgenössischen Abhandlungen über das Söldnerwesen und militärhistorischen Werken, die von Schweizer Offizieren verfasst wurden, handelt es sich vor allem um unpublizierte Briefe, Tagebücher und Erinnerungen, die in 17 Archiven und Bibliotheken recherchiert wurden. Dieses Material spiegelt die Erlebnisse und Eindrücke von rund 40 Schweizer Offizieren, deren Lebens- und Dienstzeit im 18. Jahrhundert lag (vgl. den Überblick in Anhang I, 271-273).
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen das Selbstverständnis und die Selbstdarstellung der Schweizer Söldneroffiziere. Selbstzeugnisse bieten dafür die geeignete Quellengrundlage, für deren Auswertung der Autor auf den wissenssoziologischen Erfahrungsbegriff, wie ihn der Tübinger Sonderforschungsbereich 437 "Kriegserfahrungen - Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit" angewandt hat (23), sowie auf die mittlerweile beachtliche Literatur zur Selbstzeugnisforschung zurückgreift. Zugrunde gelegt werden Leitfragen, die auf die Auswahl der in den Selbstzeugnissen thematisierten Aspekte abzielen und dabei sowohl die Wahrnehmung des Dienstes in der Fremde als auch Reflexe auf schweizerische Verhältnisse umfassen (vgl. 19f.).
Die mit insgesamt 190 Seiten kompakte Darstellung gewinnt durch eine sorgfältige Gliederung, die sehr grundsätzlich zwischen Friedenszeiten und Kriegseinsätzen unterscheidet. Den Dienst im Frieden prägte gemäß den Aufzeichnungen der Offiziere vor allem Langeweile und Ausbildungsroutine, sprich Exerzieren. Amüsements dominierten in den Schilderungen keineswegs, so dass es umso mehr verwundert, dass Geldsorgen einen festen Platz in den Selbstzeugnissen hatten - was meist mit einer "liederlichen Lebensführung" in Verbindung gebracht wurde (61). Dabei ließen sich die Militärs durch die fremden, ja exotischen Umstände anregen und vermittelten vielfach Kunst, Architektur und Kultur in die heimische Schweiz. Die Zeit in der Fremde wurde aber nicht durchweg genossen: Viele litten an der "mal des Suisses", womit Heimweh gemeint war (74).
Für die Kriegszeiten sind die Befunde zunächst nach den verschiedenen Situationen gegliedert: Feldzug, Schlacht und Belagerung. Prägend für den Feldzug waren weniger die Kämpfe als vielmehr das Marschieren; stets virulent war dabei die Versorgungsproblematik. Eng damit zusammen hing deviantes Verhalten der Soldaten, die plünderten oder gleich desertierten: Wie dem zu begegnen sei, war Gegenstand in den Aufzeichnungen der Offiziere. Das Schlachtgeschehen war wiederum eng verknüpft mit der Wahrnehmung extremer Gefahren wie Verwundung und Tod. Einigen heroischen Berichten von verwundeten, aber unverdrossen weiterkämpfenden Soldaten standen solche gegenüber, die das blanke Entsetzen über die erlebten Gemetzel formulierten. Insgesamt aber vermieden es die Offiziere, in ihren Aufzeichnungen Gefühle allzu deutlich werden zu lassen. Die Furcht vor dem Sterben wurde nirgends explizit gemacht, greifbar ist allenfalls ein gewisser Fatalismus (116).
Um das Erlebte zu deuten und einzuordnen, kam der Religion eine große Bedeutung zu - übrigens "unabhängig von der Konfession" (124), wie überhaupt konfessionelle Spannungen, die daheim in der Eidgenossenschaft stark waren, bei den Schweizer Offizieren im Ausland nie eine Rolle spielten. Praktisch alle Offiziere fanden im Glauben eine Stütze; ganz selten findet sich Kritik, einmal gegenüber bestimmten Formen von Volksfrömmigkeit, die als abergläubisch verspottet werden, dann gegenüber dem Jesuitenorden (132f.). Wesentliche Orientierung für die Selbstvergewisserung bot den Militärs zudem der Ehrbegriff, den die Offiziere durchaus individuell auffassten (135). Verletzte Ehre konnte oder musste im Duell hergestellt werden; auch die Schweizer Offiziere sahen dies offenbar so: Sechs der hier ausgewerteten Selbstzeugnisautoren haben selbst Duelle ausgefochten, einer von ihnen sogar insgesamt fünf.
Deutliche Bezüge zur schweizerischen Heimat verbergen sich hinter dem Begriff der "Familienökonomie": Der Kriegsdienst in der Fremde war eingebettet in familiäre Strukturen. Finanzielle Aktionen sowie die Übernahme oder Weitergabe von Stellen in der Armee waren Teil eines Patronagesystems, in dem sich der Offizier bewegte und über den er in seinen Briefen berichtete. Schließlich verstanden sich die Schweizer Offiziere, auch wenn sie ganz unterschiedlich in ihrer regionalen Herkunft, ihrer Sprache und Konfession waren, doch als Repräsentanten eines Gemeinwesens: Der Dienst im Ausland verstärkte das Bewusstsein, Schweizer zu sein, und beförderte letztlich ein Schweizer Nationalgefühl.
Die Schweizer versahen ihren Dienst jedoch nicht unter permanenter Selbstbespiegelung, sondern nahmen durchaus wahr, was sich politisch und militärisch im Europa des 18. Jahrhunderts ereignete. Ihre Aufzeichnungen kommentierten also die verschiedenen Kriege, in denen sie mitfochten, aber auch die Militärreformen, die besonders in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts vorangetrieben wurden, sowie den Beginn der Französischen Revolution. Besonderen Anteil nahmen die Offiziere - verständlicherweise - an der heftig geführten Debatte über das Schweizer Söldnerwesen, wobei zum Ende des Jahrhunderts die Kritik immer stärker wurde. Doch blieb zumindest für Teile der Schweizer Oberschicht der Dienst als Söldner bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine standesgemäße Betätigung.
Mit einer konzisen Zusammenfassung der Befunde schließt die Untersuchung, die insgesamt einen gelungenen Einblick in die Welt der Schweizer Söldneroffiziere bietet: anschaulich dargestellt durch ausgiebige, aber nicht überbordende Quellenzitate, sowie verknüpft mit der aktuellen Forschung; das Buch ist gut lesbar. Ein generelles Problem zeigt aber genau die Behandlung der zugrunde gelegten Quellen. Diese werden zwar eingangs vorgestellt, auch mit Hinweisen auf die heuristischen Untiefen, die bei ihrer Auswertung zu beachten sind (37-43). Doch in der Analyse selbst wird kaum einmal reflektiert, ob eine Aussage einer (spezifisch Schweizer?) Konvention oder Erwartungshaltung folgt oder vielleicht doch ganz unverstellt einen Reflex auf Erlebtes wiedergibt; vielfach wird die Aussage der Selbstzeugnisse doch einfach für bare Münze genommen. Ungeachtet dieses Vorbehalts bietet die Arbeit wichtige Grundlagen, deren Wert sich im Zuge weiterer Arbeiten zum Söldnertum in den Armeen des 18. Jahrhunderts erweisen wird.
Michael Kaiser