STELLUNGNAHME ZU

Kristina Krüger: Rezension von: Fedor Schlimbach: San Juan de Baños und der Kirchenbau im westgotischen Königreich von Toledo, Mainz: Philipp von Zabern 2014, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 4 [15.4.2017], URL: http://www.sehepunkte.de/2017/04/28529.html


Von Fedor Schlimbach, Göttingen

In der in sehepunkte 17 (2017), Nr. 4 veröffentlichten Rezension Kristina Krügers wird schwerwiegende Kritik an der Dissertationsschrift 'San Juan de Baños und der Kirchenbau im westgotischen Königreich von Toledo' geäußert, und zwar sowohl hinsichtlich des methodischen Vorgehens als auch bestimmter inhaltlicher Aspekte. Diese Kritik kann in großen Teilen nicht unwidersprochen bleiben. Deshalb hat sich der Verfasser zu dieser Stellungnahme entschlossen - umso mehr, als Krügers negative Bewertung dem positiven Urteil beider Gutachter entgegensteht sowie auch der Einschätzung des Deutschen Archäologischen Instituts, das sich seinerzeit entschlossen hatte, die Arbeit zur Veröffentlichung in seine Reihe 'Iberia Archaeologica' aufzunehmen.

Zur Vorgehensweise kritisiert Krüger den Abschnitt zur Forschungsgeschichte als "äußerst kleinteilige Übersicht" und das weitere Vorgehen als "überdetaillierte Untersuchungsweise, die die eigenen Schlüsse immer wieder relativiert" (was ursächlich für das Fehlen "klarer Ergebnisse" sei) sowie eine "ermüdende Kleinteiligkeit und immer wiederkehrende Infragestellung von Ergebnissen". Dazu ist zu sagen: Eine detaillierte Untersuchungsweise ist grundsätzlich zwingende Voraussetzung für jedes wissenschaftliche Arbeiten - auch im Bereich der Archäologie. Dazu gehört selbstverständlich das Einbeziehen auch weniger auffälliger Befunde. Fügen sich einzelne Beobachtungen nicht zu favorisierten Arbeitsthesen, so darf dies nicht verschwiegen werden, auch wenn bereits gewonnen geglaubte Ergebnisse dadurch relativiert werden müssen. Daher ist beispielsweise das Ergebnis, dass sich das 'asymmetrische' Mauerwerk bei einer Reihe der mutmaßlich dem 7. Jh. angehörenden Bauten nicht zur Absicherung der Chronologie eignet (weil es nämlich auch bei späteren Bauten vereinzelt zur Anwendung gekommen ist), zwar ein negatives Ergebnis, dafür aber wissenschaftlich korrekt.

Vielleicht war es Krüger gar nicht bewusst, dass das Thema der Dissertation explizit vor dem Hintergrund der seinerzeit neu aufgekommenen erheblichen Unsicherheiten hinsichtlich Chronologie und Einordnung der Gruppe der 'westgotischen Quaderbauten' gestellt worden war. Und statt nun ein weiteres Plädoyer für oder gegen die Frühdatierung hinzuzufügen, sollte anhand einer kritischen Prüfung der vorliegenden Publikationen sowie auf Grundlage eigener Beobachtungen der tatsächliche Stand der Forschung erarbeitet und auch in Kauf genommen werden, dass im Einzelfall Entscheidungen auf dieser Grundlage nicht möglich sein würden. Die Ergebnisse sollten jedenfalls gut abgesichert sein: lieber ein 'kleineres' Ergebnis, das dafür mit Sicherheit vertreten werden kann und als Grundlage für künftige Arbeiten Bestand haben wird, als eine weitere 'große These', die durch eine Konfrontation mit ausgeblendeten Befunden rasch zu Fall gebracht werden würde. Gerade die Forschungsgeschichte zu den 'westgotischen Quaderbauten' zeigt ja, wie wenig standfest die bis in die 1990er Jahre hinein vertretenen Ergebnisse oft waren, weil viele kleine Einzelheiten, die nicht ohne weiteres zu den favorisierten Hypothesen gepasst hatten, entweder gar nicht wahrgenommen oder einfach ignoriert worden waren. Nur so hatte es geschehen können, dass mit den Vorstößen Caballero Zoredas und weiterer Kollegen die Chronologie und Zuweisung dieser ganzen Denkmälergruppe - immerhin das Resultat von fast einhundert Jahren Forschung! - innerhalb kürzester Zeit völlig ins Wanken kamen.

Vor allem zu drei sachlichen Aspekten äußert sich Krüger kritisch: Erstens vermisst sie im Zusammenhang mit dem Kapitel zur Bauskulptur im spätantiken Hispanien "als Gegenprobe" einen Vergleich "mit der asturischen und mozarabischen Bauskulptur, der die westgotenzeitliche Datierung gegenüber der Spätdatierung [...] genauso hätte absichern können". Doch vermag ein solcher Vergleich diese Absicherung gerade nicht zu erbringen: Es mögen stilistische Andersartigkeiten mutmaßlich westgotenzeitlicher Baudekorationselemente gegenüber den eindeutig asturischen bzw. mozarabischen Stücken zu konstatieren sein, und damit dürfte zwar vermutet werden, dass diese 'andersartigen' Elemente nicht den beiden genannten frühmittelalterlichen Kulturkreisen angehören. Welcher Epoche sie aber stattdessen angehören, ergäbe sich aus einem solchen Vergleich aber nicht - allein damit deren Datierung in die Westgotenzeit belegen zu wollen, ginge sicherlich zu weit.

Hinzu kommt noch, dass das stilistische Spektrum der asturischen und der mozarabischen Baudekoration von einigen Kollegen vielfältiger eingeschätzt wird als von anderen: So werden zahlreiche Stücke teils durchaus für diese Epoche in Anspruch genommen, teils aber auch kurzerhand zu 'westgotischen' Spolien erklärt [1] - solange aber Unsicherheit darüber besteht, was nun alles 'asturisch' bzw. 'mozarabisch' ist und was nicht, bliebe das Ergebnis eines solchen Vergleiches ohnehin mit erheblichen Vorbehalten behaftet.

Zweitens erhebt Krüger Zweifel an der Vermutung, König Reccesvinth habe die Basilika als Eigenkirche auf einem seiner Landgüter gegründet. Dabei verweist sie auf den Typus des Ostabschlusses und auf die "Quellenzeugnisse aus späteren Jahrhunderten, die von einem Kloster bzw. einer Pfarrkirche mit Tauffunktion sprechen", denen "keine Relevanz zugebilligt" worden sei. Hier ist zunächst zu sagen, dass eine Deutung der Kirchenfunktion anhand der 'cabecera en tridente' mangels entsprechender Funde, Befunde oder Schriftquellen zum gegenwärtigen Forschungsstand unmöglich ist (ohnehin ist die Erschließung von Kirchenfunktionen allein auf Grundlage typologischer Charakteristika ein zweifelhaftes Vorgehen, weil es ja genügend Beispiele dafür gibt, dass einerseits für Kirchen, die sicher dieselbe Funktion hatten, ganz unterschiedliche Grundrisstypen Verwendung gefunden haben und andererseits Kirchen, denen derselbe Grundrisstyp zugrundeliegt, ganz unterschiedlichen Zwecken dienen konnten).

Was die in den Quellen überlieferten Funktionen betrifft, die Nutzung als Klosterkirche im 12. Jh. und als Pfarrkirche im 16. Jh., so zeigen diese ja selbst, dass mit Veränderungen im Laufe der Zeit gerechnet werden muss. Und wenn die für die Neuzeit überlieferte Funktion schon nicht dieselbe ist wie die im Mittelalter, wie sollte man dann von der mittelalterlichen Funktion auf die spätantike Zweckbestimmung zurückschließen können? Das leuchtet umso weniger ein, als zwischen dem 711 untergegangenen Westgotenreich und den mit der Reconquista für die christlichen Königreiche zurückeroberten Landschaften der Halbinsel von erheblichen Diskontinuitäten auszugehen ist: Gibt es durchaus Hinweise auf das Fortleben sozialer Strukturen und bestehender Besitzverhältnisse vom Westgotenreich hinein ins arabische al-Andalus, so fehlen solche für den Übergang von al-Andalus zu den christlichen Königreichen des Mittelalters fast völlig. Wie in der Arbeit dargelegt, setzen die Schriftquellen zu den betreffenden Monumenten stets erst kurz nach der Rückeroberung der jeweiligen Region ein, und dann strapazieren sie häufig den Topos, dass ein seit langem verlassen gelegener Bau oder Ort wiederentdeckt und neu aufgebaut bzw. neu besiedelt worden sei [2] - und das doch wahrscheinlich deshalb, weil die Macht der Eroberer legitimiert werden sollte, die auf Kosten etwaiger zuvor noch vorhandener Strukturen durchgesetzt worden war.

Bleibt noch anzumerken, dass der Begriff 'Eigenkirche' in einem weiteren Sinne verstanden werden kann, als ihn Krüger begreift: Eine Eigenkirche ist zunächst eine aus Initiative einer individuellen Person gestiftete Kirche, erbaut zumeist auf deren eigenem Grund und Boden und unter Verwendung eigener finanzieller Mittel. Natürlich erfüllt eine solche Eigenkirche in den meisten Fällen auch Pfarrfunktionen, zuallererst für den Stifter und für dessen Entourage, vielleicht auch für Angehörige des Gutes oder sogar für die Bevölkerung in dessen Umgebung. Das Vorhandensein einer Taufanlage, die das Spektrum der Seelsorge erweitert, würde dem nicht widersprechen [3]. Eine Eigenkirche kann ihrem Stifter darüber hinaus auch als Begräbniskirche dienen, ohne deshalb etwaige Pfarrfunktionen zu verlieren. Und wenn der Stifter für Betrieb und Unterhalt seiner Kirche dort eine kleine klerikale Gemeinschaft etabliert, womit die Kirche zum Gotteshaus eines Eigenklosters wird, bleibt sie doch eine private Stiftung, privates Eigentum und damit eine Eigenkirche - im Gegensatz zu den Bischofskirchen in den Städten und zu jenen ländlichen Kirchen, die zu der von den Bistümern gepflegten Pfarrstruktur in der Provinz gehören.

Schließlich will Krüger das problematische 'Silo' im Langhaus der Basilika, einen birnenförmigen unterirdischen Hohlraum mittig auf der Längsachse des Mittelschiffes, als Sickergrube für Taufwasser deuten, und zwar auf Grundlage eines vermeintlichen Parallelbefundes im karolingischen Dom von Halberstadt: Diese Funktion des Hohlraumes in San Juan de Baños sei, obwohl "für die Funktionsfrage wesentlich[...]", dennoch "nicht erkannt" worden. Dagegen sind mehrere Einwände zu erheben: Zunächst ist zu konstatieren, dass von allen Taufanlagen, die für das spätantike Hispanien nachgewiesen sind, sich keine einzige im Langhaus einer Kirche befindet: Handelt es sich nicht um autonome Baptisterien [4], so können die Taufpiscinen in Nebenräumen zu Seiten der Apsis Platz finden [5] oder in sonstigen Annexräumen [6], zuweilen westlich des Langhauses [7]. Taufanlagen im Kirchenschiff mögen bei frühmittelalterlichen Bauten nördlich der Alpen vorkommen, für das spätantike Hispanien aber ist eine solche Platzierung unbekannt. Auch ist zu konstatieren, dass der Nachweis einer zugehörigen Sickergrube hier in keinem einzigen Fall erbracht werden kann. Schon aus diesen Gründen erscheint es kühn, den karolingischen Befund von Halberstadt zur Deutung des Hohlraums in Reccesvinths Basilika heranziehen zu wollen.

Außerdem sollte nicht übersehen werden, dass die Deutung auch der in Halberstadt ergrabenen Strukturen keineswegs absolute Gewissheit beanspruchen kann, denn von einem Taufbecken hatte sich dort nicht das Geringste erhalten: Ein solches wurde von Leopold - Schubert erst in Konsequenz ihrer Deutung des Hohlraumes rekonstruiert. Zunächst hatten sie selbst eine Deutung als Reliquienbehälter erwogen - eine Überlegung, die ja für den Hohlraum in San Juan de Baños auch in der rezensierten Arbeit aufgebracht wurde -, sich dann aber wegen der rohen Ausbildung der Wände (ohne Verputz) und wegen des Fehlens eines Bodens für eine Deutung als "Ablaufkammer" für Wasser entschieden [8]. Die technischen Einzelheiten des 'Silos' in San Juan de Baños sprechen nun eindeutig gegen den Deutungsvorschlag Krügers: Es war nämlich sorgfältig mit "estuco blanco" ausgekleidet [9], also wohl mit gips- oder kalkbasiertem Verputz, was die Versickerung von Wasser keineswegs begünstigt hätte - und wenn es dennoch dafür genutzt worden wäre, so wäre diese Auskleidung schnell zerstört worden. Wofür auch immer dieser Hohlraum gedient haben mag: Wasser ist dort jedenfalls nicht versickert.

Diese Einwände gegen die von Krüger vorgebrachten Deutungen führen zurück zum Thema der kritisierten Vorgehensweise: Alle drei Fälle zeigen, dass es durchaus wesentlich ist, sämtliche Details in den Blick zu nehmen und bereit zu sein, eine zunächst naheliegend erscheinende Deutung wieder in Frage zu stellen. Dass nach wie vor nicht mit Gewissheit gesagt werden kann, wozu beispielsweise das 'Silo' im Mittelschiff von San Juan de Baños diente, mag ja unbefriedigend sein - aber dies ist der unvollständigen Überlieferung der Befunde geschuldet und nicht etwa einem Unvermögen des Archäologen. Langfristig dürfte es unserer Wissenschaft jedenfalls dienlicher sein, in solchen Fällen unsere Unkenntnis offen zuzugeben anstatt nun beispielsweise in San Juan de Baños auf Grundlage der Deutung eines weit entfernten und ähnlich unsicheren Parallelbefundes eine Taufanlage zu rekonstruieren, die in der Region und in der Epoche ohne Parallele wäre. Im schlimmsten Falle würde jene künftig ihrerseits als Referenz zur Erklärung weiterer zweifelhafter Phänomene herangezogen, womit wir uns von der Wahrheit letztlich mehr entfernen würden als ihr näherzukommen.

Anmerkungen:

[1] Als beliebige Beispiele sei auf ein Kapitellpaar in San Miguel de Escalada verwiesen, das teils als westgotenzeitlich und teils als mozarabisch angesehen wird (Schlimbach 2014, 177 f.), oder auf die Zweifel an der Zuordnung der überwiegend als mozarabisch geltenden Kapitelle bei San Román de Hornija (R. Corzo Sánchez, El sepulcro de Chindasvintho, in: Historia 16, 10 Nr. 112, 1985, 145-151, 150 f.).
[2] So insbesondere im Falle von Braga, Santa Comba de Bande und der Krypta San Antolín in Palencia (Schlimbach 2014, 297-302; 334 f.; 345).
[3] Als Beispiel sei auf die Taufanlagen der Kirche von Torre de Palma verwiesen, bei der es sich sicher um eine Eigenkirche gehandelt hat (A. Oepen, Villa und christlicher Kult auf der Iberischen Halbinsel in Spätantike und Westgotenzeit, Wiesbaden 2012, 142 f.).
[4] So bei Algezares oder Torre de Palma (M. de los Á. Utrero Agudo, Iglesias tardoantiguas y altomedievales en la Peninsula Ibérica. Análisis Arqueológico y sistemas de abovedamiento. Anejos de AEspA XL, Madrid 2006, 592 f.; 614-616). [5] So bei San Pedro de Alcántara, Es Cap des Port oder Casa Herrera (Utrero Agudo 2006, 446 f.; 479; 567-569).
[6] So bei El Germo, Son Fadrinet, Alconétar, El Gatillo oder Valdecebadar (Utrero Agudo 2006, 445; 484 f.; 566; 571; 579 f.).
[7] So auf dem Tolmo de Minateda, bei Gerena, Santa María del Camí, Son Peretó , Santa María de los Reyes Godos oder El Bovalar (Utrero Agudo 2006, 328 f.; 444; 482; 485 f.; 514; 541 f.).
[8] G. Leopold - E. Schubert, Der Dom zu Halberstadt bis zum gotischen Neubau, Berlin 1984, 29 f.
[9] P. de Palol - F. Tuset Bertrán - J. Cortés Álvarez de Miranda, Excavaciones en la iglesia visigoda de San Juan de Baños, in: Publicaciones de la Institución Tello Téllez de Meneses 49, 1983, 241-264, 253-255.

Anmerkung der Redaktion:
Kristina Krüger hat auf eine Replik verzichtet.