KOMMENTAR ZU

Matthias Judt: Rezension von: Matthias Rathmer: Alexander Schalck-Golodkowski. Pragmatiker zwischen den Fronten. Eine politische Biographie, Berlin: epubli 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 1 [15.01.2016], URL: http://www.sehepunkte.de/2016/01/27790.html


Von Matthias Rathmer, Kairo

Oh je, dachte ich. Die Wissenschaft meldet sich zu Wort. Dazu noch eine Stimme aus dem Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Dann sackte endgültig durch, was ich gelesen hatte. Und natürlich ist es schauderhafter, als ich angenommen hatte. Unverzüglich unerträglich nahezu. Verblendet. Verkorkst. Verdreht. Wie damals. Als sich niemand traute. Wieder kichert der Wahnsinn am Rande meines Verstandes. Es dröhnt. Es scheppert. Aus der Vergangenheit. Meine Wahrnehmungen tanzen noch einmal Punk. Nicht mit der Wissenschaft in ihrem Wesen. Es lebe der Disput! Eher schon mit diesen ihren Vertretern, denen von heute, die ständig zu spät sind. Mit ihrer Erhabenheit, mit ihrer Perspektivlosigkeit.

Früher, bevor ich diese Rezension kannte, war ich im Zustand dieser Dauerreizungen meiner Sinne über den Sinn von Notwendigkeit eher unentschlossen, in diesen Augenblicken bin ich mir da nicht mehr so sicher. Was soll ein Ansatz, der die kriminelle Energie von Sozialismus deutscher Prägung auf ein Maß von Erlös setzt, das nicht nur unnütz sondern zuallererst längst schon abgeschrieben ist. Man stelle sich nur vor. Marx und Schalck, sie träfen sich. In der Hölle, weil Ungläubige da nun einmal hingehören. Wer wohl würde wen verprügeln?

Alle Rechnungen sind längst bezahlt. Die meisten, die sie ausgestellt haben, grinsen der Welt immer noch als Saubermänner entgegen. Und die, die die Zechen bezahlt haben, laufen heute verirrt durch die Straßen des Ostens. Gut. Nicht alle. Und nicht allein aus diesem Grund. Aber das wäre doch mal was. Wie viel Rest der Schuld von Stasi und KoKo steckt in Pegida? Man, was für ein Forschungsfeld! Gibt es kein Geld dafür? Das ist einem Zeithistoriker zu aktuell? Schade! Jammerschade!

Es will nicht enden. Während neun von zehn Stimmen in meinem Kopf sagen, dass ich nicht irre bin, damals nicht und jetzt erst recht nicht, summt die letzte ein Lied, das ich nicht kenne. Ich sollte etwas von Bedeutung dazu sagen, und doch will der Geist nicht begreifen, welchen Wert es hat, einer so geheiligten (wissenschaftlichen) Ordnung nachzugehen, die in diesem Land dann in die Öffentlichkeit drängt, wenn selbst die Finanzämter keine Ansprüche mehr erklären. Wir lernen einfach nichts. Aus der Vergangenheit.

Ich habe eine politische Biografie verfasst, damals, 1995. Das ist lange her. Nebenbei habe ich Ross und Reiter genannt, die geholfen, geschoben und kassiert haben, im Rennen der Ratten von Ost nach West und im Teilungstrauma aus der anderen Richtung. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Eine politische Biografie. Die wohlgemerkt beschäftigt sich vorrangig mit politischen Akteuren. Nicht mit Zahlenmeistern. Und natürlich liegt der Gehalt dieser Arbeit in der Zeit ihrer Entstehung begründet. Ja, was denn sonst? Zwanzig Jahre später oder auch ein bisschen früher, mit Forschungsgeldern bezahlt, abgesichert... Bemerkungen wie jene kann tatsächlich nur jemand machen, dem leibhaftig noch nie ein Stasioffizier oder KoKo-Manager gegenübergestanden ist. Jedenfalls nicht die Jungs, die nach der Wende selbst ihre Oma als verlässliche Quelle verkauft hätten. Wer derart aufsteigt, der sollte auch wissen, wie er wieder runterkommt. Von seinem Elfenbeintürmchen. Interdisziplinäres Denken könnte dabei helfen. Dabei. Im Filz und Sumpf der Wahrheit, das sei gegönnt, sind alle verloren, die sich um Schneewittchen kümmern. Im Übrigen. Wer die Geschichte der Treuhandanstalt in allen Werken nach erstem Erscheinen meines Werkes ausblendet, wenn er über den ökonomischen Erfolg der Sozis geforscht haben will, kann oder will die Wahrheit nicht wirklich wissen.

Ich schlage daher einen gemeinsamen Einbruch ins Archiv des Bundesnachrichtendienstes vor, mit einer Kiste Bier oder meinetwegen auch mit einer Kiste guten Rotweins. Dann erst werden wir alle sehen, welche volkswirtschaftliche Bedeutung der "Herr in der Regierungsdelegation" tatsächlich gehabt hat. Richtig bedacht! Der Vorschlag beschreibt eine Straftat! Aus dem Strafgesetzbuch. Jenes Werk, das für die Ostler der Milliardengewinne nur ansatzweise gegolten hat. Als Alibi. Millionen andere waren die Betrogenen.

Noch einmal. Wenn politisch gewollt ist, den kleinen Bruder zurück nach Hause zu holen, dann ist es das, was letztlich zählt. Keine unerträglichen Ertragsauskünfte. Der Westen hat Schalck und Co allenfalls Dauerlutscher gewährt, weil er wusste, wie Kinder reagieren. Haben sie die erst einmal in Händen, wollen sie immer mehr. So funktioniert Erziehung, so geht Einflussnahme. Schalck und seine KoKo waren bloßes Mittel zum Zweck. Bananen, Schmuddelhefte und Computer eingeschlossen. Das Prinzip der ökonomischen Destabilisierung. Schon mal gehört? Es hat gewirkt. Erfolgreich. Weil Mark und Dollar stärker waren als die Gleichheit aller Brüder und Schwestern. White Collar Crime hin oder her. Hüben wie drüben waren Gauner am Werk. Doch noch heute allein zählt. Wer sich daran erinnert, war nicht dabei!

Sonnige Grüße aus Kairo!


Anmerkung der Redaktion:
Matthias Judt hat auf eine Replik verzichtet.