KOMMENTAR ZU

Thomas Blisniewski: Rezension von: Christiane Holm: Amor und Psyche. Die Erfindung eines Mythos in Kunst, Wissenschaft und Alltagskultur (1765-1840), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: http://www.sehepunkte.de/2007/11/12492.html

Von Marcel Baumgartner

Zur Klarstellung vorweg: als einer, der in den Dank der Autorin eingeschlossen ist, bin ich als Schreiber dieser Entgegnung kein Unbeteiligter. Nun aber sofort und unverzüglich zur Sache.

Nach einem Vorgeplänkel, in dem der Rezensent eine zentrale und für die Entwicklung ihres Arguments wesentliche Beobachtung Christiane Holms - die Tatsache nämlich, dass der Amor und Psyche-Stoff in der Zeit 'um 1800' von den Altertumswissenschaften erst aufgegriffen wurde, nachdem er in der Alltagskultur zu einer nicht mehr zu übersehenden Mode geworden war so beiläufig erwähnt, als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt und nicht eine entscheidende, grundlegende Erkenntnis und Einsicht der Autorin, setzt er seine eigentliche Kritik an mit einem Donnerschlag sondergleichen einem echten Fund: "Christel Steinmetz, Autorin einer [...] viel zu wenig beachteten Dissertation über Amor und Psyche", fehlt "leider" im Personenregister, durch welches "das Zusammengetragene" (Frau Holm - die Kärrnerin in Amors Diensten?) erschlossen wird. Bei einem so kapitalen Bock wundert man sich eigentlich nur über die Nachsicht des Rezensenten - ist doch das Beispiel Steinmetz keineswegs ein Einzelfall. Da hätte man sich in der Tat genaueres Hinsehen gewünscht, denn: im besagten Register fehlt so gut wie alles, was in der Amor und Psyche-Forschung der jüngeren Zeit Rang und Namen hat: von Antti A. Aarne bis Roger Zuber. Die Unterlassungen von Frau Holm haben also offenbar System - doch welches?

Lassen wir sie selbst zu Wort kommen: "Verzeichnet sind [im Personenregister] die an der Arbeit am Mythos von Amor und Psyche von 1765 bis 1840 beteiligten Personen. Darüber hinaus sind auch Autorinnen und Autoren sowie Künstlerinnen und Künstler aufgenommen, die seit der Antike und bis ins 20. Jahrhundert an Transformationen des Stoffes arbeiteten. Berücksichtigt sind zudem die wissenschaftshistorischen Reflexe auf die Amor und Psyche-Forschung des engeren Untersuchungszeitraums bis Ende des 19. Jahrhunderts." Dies hätte Herr Blisniewski in der Vorbemerkung zum Register lesen können und er hätte es tun sollen, bevor er seinen kapitalen Bock weniger erlegt als vielmehr schießt– und etwas schreibt, mit dem insinuiert wird, die Autorin hätte eine wichtige Arbeit nicht zur Kenntnis genommen (um dann aber trotzdem daraus zu "zitieren"). Dass aber Frau Holm nicht nur zitiert, sondern, was doch das eigentlich Erwähnenswerte wäre, in Anm. 87 zum Forschungsbericht S. 21 eine ebenso fundierte wie faire Analyse der Stärken und der Schwächen von Steinmetz' Dissertation liefert: bei solchem Kleinkram kann Herr Blisniewski sich nicht aufhalten hat sein Scharfsinn doch längst etwas anderes, vielleicht weniger Empörendes, aber um so Schlampigeres erspäht und ins Visier genommen: die beiden Jahreszahlen, mit denen Frau Holm im Untertitel ihrer Arbeit den Untersuchungszeitraum definiert (1765 bis 1840).

Nein, ich glaube eigentlich nicht mit Herrn Blisniewski, dass Frau Holm, als sie 1765 wählte, "eher" etwas anderes (zum Beispiel 1767) "gemeint" hat. Ich glaube dies deswegen nicht, weil ihr Stil durchweg klar, ihre Sprache äußerst gepflegt und ihre Argumentationen überzeugend sind. Jemand wie sie schreibt nicht etwas anderes, als er (sie) meint. Hinreichend klar wird indes, was Herr Blisniewski meint: dass sich der Beginn und das Ende eines Prozesses auf Jahr genau datieren lassen. Doch vielleicht versteht sich Frau Holm, falls Herr Blisniewski das nicht meint, sondern seine Kritik als raffiniert umschriebene implizite Anregung verstanden haben sollte, darauf, in einer zweiten Auflage ihres Buchs den Untertitel korrekter zu formulieren: "… und Alltagskultur von um 1765 bis um 1840". Das wäre zwar nicht besonders schön, doch ist, wie jeder, der das Buch mit einigem Verstand liest, genau das "gemeint": von der Anakreontik (die Herr Blisniewski, diesmal mit Jahreszahlen gar nicht kleinlich, in die "Zeit um 1800" datiert) bis zum Vormärz. Und wenn Frau Holm dann schon am Korrigieren ist, wird sie sich sicher auch überlegen, "die Styx" statt "der Styx" zu schreiben (und sich wohl diebisch freuen beim Gedanken, dass die Mehrzahl ihrer Leserinnen und Leser über diesen - allerdings Herrn Blisniewski zu verdankenden - Beweis ihrer Gelehrsamkeit stolpern wird; aus dem Dank an Herrn Blisniewski wird dann Fußnote Nummer 1.157). Obwohl der Duden, der sich allerdings auch mal irren kann, da anderer Meinung ist als Herr Blisniewski (und dannzumal Frau Holm).

Unzufrieden ist Herr Blisniewski jedoch nicht nur mit der Autorin, sondern auch mit dem Deutschen Kunstverlag, der bei den acht Farbtafeln zwar für "hervorragende Qualität" ("gut" hätte auch genügt) gesorgt hat, dem aber "die anderen Abbildungen […] nicht zur Ehre [gereichen]". "Die anderen": das sind dann genau sechs (von hundertzwölf) Schwarzweiss-Abbildungen. Wo Herr Blisniewski aber recht hat, da hat er recht: In der Tat ist die Qualität der von ihm herangezogenen Beispiele schlecht bis hundsmiserabel - nur: wenn er geschrieben hätte, dass unter den im allgemeinen guten und sehr guten bis hervorragenden Schwarzweiss-Abbildungen sich bedauerlicherweise auch einige befinden, die unter jeder Kanone sind, dann hätte man wohl gut damit leben können. Weil es stimmt. So aber ist es ganz einfach falsch.

Recht pauschal hält Herr Blisniewski der Autorin des von ihm 'rezensierten' Buches einen "Mangel an methodischer Schärfe" und "Beliebigkeit" beim Umgang mit dem Mythos-Begriff vor. Das müsste er, wenn er so scharfes Geschütz auffährt, belegen. Doch wie sollte dies möglich sein, wenn er nicht über die Feststellung hinauskommt, dass Christiane Holm von Hans Blumenbergs "Überlegungen" zur 'Arbeit am Mythos' "ausgehe"? Wenn mit keinem Wort erwähnt wird, dass und wie sie nicht nur auf knappstem Raum einleuchtend begründet, warum sie auf diesen Ansatz zurückgreift, sondern auch, warum sie ihn um zwei für ihren Kontext unverzichtbare, in Blumenbergs Horizont nicht enthaltene "Arbeitskategorien" erweitern muss: die der Intermedialität und die der Geschlechterdifferenz?

Seit 1800– - also schon seit geraumer Zeit - hat sich als Standard wissenschaftlicher Kritik durchgesetzt, dass der Kritiker auf der Niveauhöhe des Kritisierten sein sollte. Die mit transdisziplinärer kulturwissenschaftlicher Kompetenz geschriebene, aus der Kenntnis aktuellster Forschungen auf den Gebieten der Literaturwissenschaft und der Kunstgeschichte, der Philosophie, der Psychologie, der Anthropologie und der Genderforschung sich speisende Dissertation von Christiane Holm hätte eine Kritik verdient, die die Konzeption der Studie wenigstens in Umrissen vorgestellt hätte.

Anmerkung der Redaktion:
Thomas Blisniewski hat auf eine Replik verzichtet.