KOMMENTAR ZU

Hildegard Wiegel: Rezension von: Astrid Arnold: Villa Kérylos. Das Wohnhaus als Antikenrekonstruktion, München: Biering & Brinkmann 2003, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 4 [15.04.2007], URL: http://www.sehepunkte.de/2007/04/9994.html

Von Astrid Arnold

Mit einiger Irritation habe ich die Rezension meiner Dissertation "Villa Kérylos. Das Wohnhaus als Antikenrekonstruktion" von Hildegard Wiegel gelesen. Seltsam mutet der herablassende Tonfall der Rezensentin an, der in Einklang mit einer häufig inkorrekten Bewertung der Forschungsleistung steht. Stattdessen verliert sie sich in der Kritik von Kleinigkeiten wie der Qualität von Fotos. Eigenartig sind ebenso ihre Vorwürfe, Vergleiche nicht durchgeführt zu haben, die in der Arbeit indes ausführlich analysiert werden. Handelt es sich hier um eine bewusste Negierung von in der Arbeit durchaus Besprochenem, betont durch seltsam ironische und für eine Rezension unangemessene Formulierungen?

Die Kritik der Rezensentin, in der Dissertation sei nur das "klassizistische" Pompejanum von Aschaffenburg als Vergleich herangeführt und die Einordnung der Villa Kérylos damit in eine historische Schieflage geraten, ist in mehrfacher Hinsicht korrekturbedürftig. Selbstverständlich muss in einer Monographie über ein als Idealrekonstruktion des griechisch-antiken Hauses erbautes Gebäude, in dem sich in jedem Raum, jedem Winkel, selbst in jeder ausgeführten Technik ein unerhörter archäologischer Anspielungsreichtum offenbart, "…wo alles griechisch ist, die Architektur, die Innenraumgestaltung, das Mobiliar, und sogar, so scheint es, die Kleidung des Hausmeisters" [1], als wichtiges Vergleichsobjekt der Gründungsbau einer auf archäologischen Forschungen und materieller Anschauung basierenden Rekonstruktion des antiken-römischen Wohnhauses vergleichend analysiert finden: Das Pompejanum von Aschaffenburg. Mit seiner Errichtung zwischen 1840 und 1848 von dem im Dienste Ludwigs I. von Bayern stehenden Architekten Friedrich von Gärtner ist damit erstmals eine archäologische Rekonstruktion eines pompejanischen Hauses nicht nur auf dem Papier skizziert, sondern in einem erklärt didaktischen Ziel auch materiell realisiert worden (vgl. 76, 88). Seine Errichtung ist ein für die Geschichte der Rekonstruktion des antiken Wohnhauses revolutionäres Unterfangen, orientierten sich doch alle anderen vermeintlichen Rekonstruktionen seit der Renaissance aufgrund fehlenden Anschauungsmaterials an der öffentlichen antiken Architektur und den Schriften Vitruvs, Vignolas, Palladios u.a. Aber auch in einer Phase zunehmenden Bekanntwerdens des in Pompeji zu Tage Tretenden entstanden weiterhin an der antiken Tempelarchitektur orientierte Bauten: so der Gründungsbau des deutschen Klassizismus', das sogenannte Römische Haus in Weimar (1792).

Problematisch wird es auch, wenn Hildegard Wiegel das Pompejanum von Aschaffenburg als "klassizistisch" bezeichnet. Ein Vergleich mit dem Römischen Haus in Weimar unterstreicht bereits das Dilemma einer eindeutigen Begrifflichkeit solcher nach antikem Vorbild errichteten Häuser: Sind sie klassisch, klassizistisch, antikisierend? Adaptieren, variieren, rekonstruieren oder kopieren sie Vorbilder der Antike? Unklar bleibt, ob die Rezensentin mit "klassizistisch" den Stil- oder den Epochenbegriff meint. Hier zeigt sich in paradigmatischer Weise eben genau jene in der wissenschaftlichen Literatur verwendete Begriffsungenauigkeit, für die bereits Kurt Bauch 1939 eine eindeutige Benennungen als Grundlage einer Verständigung zu diesem äußerst komplexen Thema fordert.[2] Das Pompejanum in Aschaffenburg ist genauso wenig ein typisches Gebäude des Klassizismus' (und in diesem epochalen Sinne ist Wiegels Begriffsverwendung wohl zu verstehen) wie es eine Kopie des Dioskurenhauses in Pompeji ist (vgl. 83ff.).

Dem Vorwurf der Rezensentin, die Villa Kérylos sei ausschließlich mit anderen Häusern nach antiken Vorbildern verglichen worden (meint sie hier Häuser mit konkreten antiken Vorbildern?), ist folgendes zu entgegnen: Gebäude, die als archäologische Rekonstruktionen von antiken Häusern entstanden, wurden in einem systematischen Teil (Begriffsbestimmung, 82-86) besprochen, eine Methodik, die sich aus dem Untersuchungsgegenstand entwickelte. Hier trifft in der Tat Wiegels Beobachtung zu, die Villa Kérylos sei ausschließlich mit anderen Gebäuden nach antiken Vorbildern untersucht worden. Erstmals sind damit Informationen und Abbildungen zu kaum bekannten Beispielen solcher Pompejana wie in Saratoga Springs oder Sydenham erschlossen. Insgesamt wird in diesem Kapitel das Spannungsfeld der verwirrenden Vielfalt an Rezeptionsprozessen durch klar definierte Begriffe wie Kopie, Zitat, Variation, Neuschöpfung, bzw. archäologische Rekonstruktion stärker differenziert.

Zahlreiche andere Vergleiche mit antikisierenden Häusern können in dem historischen Überblick über die Rekonstruktionsversuche des antiken römischen und griechischen Hauses von der Renaissance bis zur Postmoderne im Spannungsfeld von individuellen oder durch den Zeitgeist geprägten Neuschöpfungen aus dem Geist der Antike nachgelesen werden (72-81). Die Differenzierung der unterschiedlichsten Rezeptionsprozesse des antiken Wohnhauses ebenso wie die Frage, inwieweit zunehmende archäologische Kenntnisse zu Architektur und Innenraumgestaltung auch zu archäologisch "korrekteren" Gebäuden führten, waren zentrale und weit über das "Durchdeklinieren antiker Vorbilder" (Rezension, 3) hinausgehende Aufgabenstellungen der Dissertation.

Falsch ist die Behauptung, dass die Villa allein unter dem Aspekt der Antikenrezeption betrachtet und mir dadurch der Blick für andere Fragestellungen verstellt worden sei. So hätte ich Vergleiche mit der zeitgleichen modernen Villenarchitektur eines Otto Wagner u.a. gänzlich außer Acht gelassen [hier stellt sich in der Tat die Frage, ob die Rezensentin die Arbeit überhaupt durchgelesen hat; angesichts der von ihr monierten geringen Dichte des Textes (Rezension, 1) wäre ein zügiges Lesen möglich gewesen]. Im Gegenteil nimmt dieser Aspekt großen Raum ein, kann über Index und Abbildungen erschlossen werden und ist in unterschiedlichen Kapiteln nachzulesen (vgl. 58-60; 65f.; Kap. VIII. Die Villa als Gesamtkunstwerk, 90f.; "C. Ideengeschichtliche Fragen: III. Die Villa Kérylos als zeittypischer Ausdruck einer Rückbesinnung auf das Griechentum?", 102f.; Abb. 136, Frank Lloyd Wright, Haus für William Fricke in Oak Park, Illinois, 1901).

Aber auch im Bereich der modernen Architektur kommt man an der Antike nicht vorbei. Wie in meiner Dissertation nachzulesen ist, sind auch moderne Villenschöpfungen eines Otto Wagner oder Josef Hoffmann und vieler anderer Protagonisten der Moderne mehr das Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit der griechischen Antike. Moderne Architektur ist ohne die Rezeption griechischer Vorbilder nicht denkbar (vgl. Zitat von Adolf Loos, Ornament und Verbrechen, 1908, Dissertation, 102). Daher verwundern manche strukturellen und dekorativen Ähnlichkeiten der Villa Kérylos und zeitgleicher moderner Villenschöpfungen nicht. Sie resultieren indes weniger aus der Anregung durch die moderne Architektur, sondern vielmehr aus der Beschäftigung aller Beteiligten mit demselben Vorbilderkreis. Die Resultate sind aufgrund anders gewichteter Zielsetzungen aber verschieden (vgl. 80f.). Besonders eindrücklich werden diese Unterschiede durch den Vergleich mit der neuklassizistischen Villa Wiegand, wo mit dem Berliner Archäologen Theodor Wiegand und dem Architekten Peter Behrens eine sehr ähnliche Auftraggeber-Architekten-Konstellation vorliegt wie in der Villa Kérylos (Abb. 165, Seite 83, 91).

Zu Wiegels Kritikpunkt der minderen Qualität mancher der 185 Abbildungen sei nur angemerkt: Es handelt sich zum größten Teil um eine gute Qualität, die dem Zwecke der Anschaulichkeit einer wissenschaftlichen Arbeit dient. Der Großteil der bislang unpublizierten Entwurfszeichnungen wird hier erstmals der Forschung verfügbar gemacht.

Angesichts dieser Ausführungen irritiert Wiegels Kritik in zunehmendem Maße, die Villa Kérylos sei aus einer "eingeschränkten Forschungsperspektive" (Rezension, 3) heraus betrachtet. Vielleicht hätten manche Kapitel der Publikation mehr als nur "en passant" gelesen werden sollen! So scheint die Dissertation nicht nur für den "wahren Fan der Antike" allein bestimmt zu sein, in ihrer ganzen Komplexität erschließt sie sich indes wohl auch nur dem aufmerksamen Leser.

Anmerkungen:

[1] Léandre Vaillat, L'art décoratif. Grès, Faïences, Terres cuites au musée Galliera et au Pavillon de Marsan, in : L'Art et les Artistes 13 (April / September 1911), 219-224, 222.

[2] Kurt Bauch: Klassik, Klassizität, Klassizismus, in: Studien zur Kunstgeschichte, Berlin 1967 (1939), 40-50, 45.

Anmerkung der Redaktion:
Hildegard Wiegel hat auf eine Replik verzichtet.