Vladimir Bilandžić / Dittmar Dahlmann / Milan Kosanović (eds.): From Helsinki to Belgrade. The First CSCE Follow-up Meeting and the Crisis of Détente (= Internationale Beziehungen. Theorie und Geschichte; Bd. 10), Göttingen: V&R unipress 2012, 334 S., ISBN 978-3-89971-938-3, EUR 46,90
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Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer Tagung, die auf Initiative der OSZE-Vertretung in Serbien im März 2008 in Belgrad stattfand, also an historischem Ort, 30 Jahre nach Beendigung der ersten KSZE-Folgekonferenz. Belgrad steht in der Linie der großen Folgekonferenzen häufig etwas abseits, vor allem gegenüber der Madrider Konferenz von 1980 bis 1983, die aufgrund des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan Ende 1979 sowie der Krise in Polen größere Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Das Bemerkenswerte der Madrider Folgekonferenz bestand tatsächlich darin, dass es angesichts einer neuerlichen Blockkonfrontation gelang, nicht nur den Dialog zwischen den Mitgliedstaaten beider Blöcke aufrechtzuerhalten, sondern mit dem verabschiedeten Schlussdokument sogar Fortschritte zu erzielen, die über die Vereinbarungen der KSZE-Schlussakte von Helsinki vom 1. August 1975 hinausgingen.
Die erste Folgekonferenz in Belgrad 1977/78, so konstatieren die Herausgeber in ihrer Einleitung, stehe hingegen landläufig für Stillstand, wenn nicht gar Scheitern - zu Unrecht, wie viele Beiträge des Bandes darlegen können. In diesem Zusammenhang wird einmal mehr deutlich, dass der wohl entscheidende Korb der Schlussakte von Helsinki der oft vergessene vierte war. Erst durch die Festlegung, die Fortschritte in der Implementierung durch Folgekonferenzen zu begleiten, konnte sich die KSZE als dynamischer Prozess herausbilden, der die Schlussakte von Helsinki nicht dazu verdammte, ein Stück Papier zu bleiben, aus dem weiter nichts folgte. Im Belgrader Schlussdokument fanden sich eben nicht nur die unbefriedigende Erklärung, miteinander nicht vereinbare Auffassungen vertreten zu haben, und der Ausdruck genereller Entschlossenheit, weitere Treffen im Rahmen der KSZE abzuhalten, sondern auch die Terminierung der nächsten Folgekonferenz von Madrid auf den 11. November 1980.
Neben diesem entscheidenden Punkt beinhaltet die Einleitung aber auch Wertungen, die überraschen. Die dort unkommentiert übernommene Aussage aus einem auf der Tagung gehaltenen, aber in dem Band nicht veröffentlichten Vortrag des finnischen Diplomaten Markku Reimaas, "Helsinki 1975 was a de facto peace conference" (10), entspricht jedenfalls kaum dem wissenschaftlichen Konsens. Schließlich dürften Josip Broz Tito und Urho Kaleva Kekkonen um eine führende Rolle Jugoslawiens bzw. Finnlands in der N+N-Gruppe in der KSZE und nicht in der OSZE (14) gerungen haben. Überhaupt wird die Kontinuität von KSZE und OSZE zuweilen überstrapaziert. Zusätzlich trüben manche Ungenauigkeiten das Bild, wenn es beispielsweise heißt, die Solidarność-Bewegung in Polen sei 1981 entstanden. (13) Auch die an dieser Stelle der Einleitung getroffene Aussage, die Aufmerksamkeit für die KSZE habe in Polen erst mit der Solidarność eingesetzt, lässt sich der Abhandlung Wanda Jarząbeks im vorliegenden Band zu Recht nicht entnehmen. Hier wäre ein Mehr an Differenzierung und Sorgfalt wünschenswert gewesen.
Insgesamt folgt der Band einem recht strengen diplomatiegeschichtlichen Zuschnitt, was einerseits durch die Konzentration auf die Folgekonferenz selbst nachvollziehbar erscheint. Andererseits wäre es lohnenswert gewesen, die gesellschaftliche Rezeption der KSZE-Schlussakte in Ost und West stärker zu thematisieren. Schließlich eröffnete Belgrad zum ersten Mal ein Forum für die eigentlich nicht vorgesehenen nichtstaatlichen Akteure. Selbst der Bund der Vertriebenen entsandte - ungeachtet der weiter fortbestehenden Vorbehalte gegen die KSZE-Vereinbarungen, die den Status quo zementierten - eine Delegation nach Belgrad, um auf die prekäre Situation der jenseits der Oder-Neiße-Linie verbliebenen Deutschen aufmerksam zu machen. [1] Mit den Beiträgen von Wolfgang Eichwede (der in leicht modifizierter Weise jedoch schon anderweitig publiziert worden ist) und Joachim Scholtyseck wird diesem gesellschaftlichen Aspekt des KSZE-Prozesses für die Staaten des Warschauer Pakts Rechnung getragen. Die Menschenrechtsbewegung in der DDR war vor dem Hintergrund einer gespaltenen Nation, wie Scholtyseck nachweist, jedoch weitgehend atypisch und im Kern eine Ausreisebewegung. [2]
Die insgesamt 14 Abhandlungen können grob in zwei Blöcke unterteilt werden: Die ersten sieben Beiträge besitzen eher hinführenden beziehungsweise einordnenden Charakter, wobei sich allein drei Beiträge chronologisch der Rolle Jugoslawiens in dem Projekt einer Europäischen Sicherheitskonferenz (ESK) beziehungsweise im KSZE-Prozess hin zur Belgrader Konferenz annähern. Da hätte der Rezensent dann doch gerne auch erfahren, welchen Standpunkt die jugoslawische Delegation in Belgrad selbst einnahm. Mehr als einen Ausblick gewährt der Beitrag von Jovan Čavoški dem Leser jedoch leider nicht.
Der zweite Block widmet sich der Belgrader Konferenz im engeren Sinne. Ein Schwerpunkt liegt dabei naturgemäß auf der Auseinandersetzung mit der Menschenrechtsoffensive des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, die in dem US-amerikanischen Delegationsleiter auf dem Belgrader Treffen, Arthur Goldberg, einen ebenso entschiedenen wie umstrittenen Anwalt fand. Harald Biermann gelingt es in seinem Beitrag zur US-amerikanischen Perzeption des KSZE-Prozesses, die, um es vorsichtig auszudrücken, anfängliche Zurückhaltung seitens der Administration unter Präsident Richard Nixon bzw. Gerald Ford und Außenminister Henry Kissinger mit der aktiven KSZE-Politik Carters und seines Sicherheitsberaters Zbigniew Brzezinski zu kontrastieren. Dabei war es erst Brzezinski, der Carter von den Möglichkeiten der menschlichen Dimension der KSZE mit Blick auf die Probleme in Osteuropa zu überzeugen vermochte und Bedenken des State Department hintanstellte. Carter selbst sah hingegen noch die Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte in Helsinki durch Ford 1975 als Niederlage amerikanischer Ideale an. (156 f.)
Breck Walker erkennt somit in der Strategie der US-amerikanischen Delegation in Belgrad, eine konfrontative, offene Haltung in Menschenrechtsfragen einzunehmen, letztlich einen Sieg Brzezinskis über den damaligen Außenminister Cyrus Vance, für den die SALT-Verhandlungen im Zweifelsfall wichtiger gewesen seien. Spannend lesen sich vor diesem Hintergrund Oliver Banges Ausführungen zu den beiden deutschen Delegationen. Insbesondere die Verwerfungen zwischen der bundesrepublikanischen Strategie und derjenigen der USA sind von grundsätzlichem Interesse. Die Ablehnung von Bundeskanzler Helmut Schmidt gegenüber der Menschenrechtsoffensive Carters wurde nur noch gesteigert durch das Unverständnis, das man dem Auftreten Goldbergs entgegenbrachte. Die Verstimmungen erklärt Bange nicht zuletzt mit den skizzierten, voneinander abweichenden Haltungen innerhalb der US-Administration. Durch die letztlich nicht entscheidenden Signale aus dem State Department glaubte die bundesdeutsche Delegation zunächst, wesentliche Punkte ihrer Agenda im Einvernehmen mit den anderen NATO-Mitgliedstaaten verfolgen zu können. In gewissem Sinne umgekehrt, so Bange, sei es womöglich Delegationen aus den Warschauer-Pakt-Staaten ergangen. Bei diesen seien Hoffnungen genährt worden, aus der Zerstrittenheit innerhalb des westlichen Lagers einen Vorteil ziehen zu können.
Enttäuscht zeigten sich von der konfrontativen Haltung in Menschenrechtsfragen, wie Thomas Fischer deutlich macht, nicht zuletzt die N+N-Staaten, die, ermutigt durch ihre konstruktive Rolle in der Aushandlung der Schlussakte von Helsinki, gestärkt nach Belgrad fuhren, diesmal aber in ihren Versuchen, die Ergebnisse von Helsinki auszubauen, an der intransigenten Haltung der beiden Supermächte auf ganzer Linie scheiterten. Letztlich hatten aber auch sie durch ihr Festhalten an einer Kontinuität des KSZE-Prozesses Anteil daran, dass dieser Weg fünf Jahre später in Madrid betreten werden konnte.
Generell wäre dem Zuschnitt des Bandes eine stärkere Konzentration auf die Belgrader Folgekonferenz sicher förderlich gewesen. Die Beiträge dieser Sektion liefern insgesamt die interessanteren, da neueren Erkenntnisse. Sie knüpfen an die zwischenzeitlich erschienenen zahlreichen Monographien und Sammelbände aus der (historischen) KSZE-Forschung an, die zwar nur selten das bisher gewonnene Bild revolutionieren, aber in wichtigen Punkten differenzieren konnten. So stehen die beiden Blöcke zuweilen etwas unvermittelt nebeneinander. Die starke Konzentration auf die jugoslawische Position ließe sich mit dem Tagungsort erklären, verringert jedoch zwangsläufig den Raum für Aspekte, die die Belgrader Konferenz wesentlich prägten.
Anmerkungen:
[1] Rechte auch für die Deutschen. BdV-Vertreter von 14 KSZE-Delegationen empfangen, in: Das Ostpreußenblatt, 18.2.1978, 2.
[2] So zuletzt ausführlich Anja Hanisch: Die DDR im KSZE-Prozess 1972-1985. Zwischen Ostabhängigkeit, Westabgrenzung und Ausreisebewegung, München 2012.
Gunter Dehnert