Stephan Conermann: Islamische Welten "Das Osmanische Reich". Einführung, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 11 [15.11.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
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Von Stephan Conermann
Wir präsentieren Ihnen heute das dritte thematische FORUM der "Islamischen Welten" in diesem Jahr! Nachdem im April die Mamlukenzeit (1250-1517) und im Juli der Herrschaftsverband der indische Großmoguln im Vordergrund standen, widmen wir uns in dieser sehepunkte-Ausgabe einigen Neuerscheinungen zum Osmanischen Reich, das ab 1876 auch amtlich diesen Namen (devlet-i ʿo̱mānīye) trug. Dieser Herrschaftsverbund, der sich vorher eher als "Erhabener Staat" (devlet-i ʿalīye) bezeichnete, stellt aufgrund seiner Komplexität und seiner Langlebigkeit (von 1299 bis 1923) einen hochinteressanten Forschungsgegenstand dar. Dies gilt nicht nur für Islamwissenschaftler, sondern natürlich auch für Europahistoriker, denn die osmanische Geschichte gehört aufgrund der über Jahrhunderte ausgeübten osmanischen Herrschaft in Südosteuropa und um das Schwarze Meer herum zu den nachhaltigen Erfahrungen in europäischen Vergangenheit. Die Quellenlage ist ausgezeichnet, die Archive sind voll ungehobener Schätze und in den Bibliotheken schlummern zehntausende unbearbeiteter Manuskripte. Dennoch gibt es in Deutschland, wenn man großzügig rechnet, nur sechs historisch (und nicht sprachwissenschaftlich) ausgerichtete Osmanistiken: München, Bamberg, Bochum, Hamburg, Tübingen und Heidelberg. In letzter Zeit sind jedoch mit der "Gesellschaft für Turkologie, Osmanistik und Türkeistudien" und dem "Bonner Forum Osmanistik" (www.bfo.uni-bonn.de) zwei sehr nützliche und sinnvolle Initiativen zur Bündelung der Kräfte ins Leben gerufen worden.
So facettenreich wie das Osmanische Reich sind auch die in diesem FORUM präsentierten Werke. Die Breite der Forschung spiegelt sich vor allem in den zahlreichen Sammelbänden wider, die in den letzten Jahren erschienen sind.
Bisher sind für das Osmanische Reich die Fragen, wie eigentlich "Zeit" gedacht, erfahren und gemessen wurde und welchen Einfluss sie auf Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und den Alltag der Menschen hatte, weitgehend unbeantwortet geblieben. Sehr zu begrüßen ist daher der von FranÇois Georgeon und Frédéric Hitzel herausgegebene Sammelband "Les Ottomans et le temps". Erklärtes Ziel ist, die politischen, sozialen und kulturellen Dimensionen von Zeit im Osmanischen Reich zu beleuchten. (Klein über Georgeon / Hitzel) Einen ebenso wichtigen Beitrag leisten ungarische Wissenschaftler in dem von den ungarischen Wissenschaftlern Géza Dávid und Pal Fodor organisierten Gemeinschaftswerk "Ransom Slavery along the Ottoman Borders". Die Verfasser der Artikel leisten insgesamt einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Sklaverei im eurasischen Kontext in der Neuzeit. Die Autoren konzentrieren sich dabei auf die vielfältigen Interaktionen bei der Versklavung und dem Ver- und Freikauf der Gefangenen / Sklaven an der osmanischen Grenze in der Zeit vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. (Smolarz über Dávid / Fodor) Die Herausgeber eines dritten Sammelbandes verfolgen zwei Ziele: Zum einen möchte man neue Beiträge zur Erforschung der osmanischen Herrschaft auf Zypern vorlegen, zum anderen fordert der Herausgeber Michalis N. Michael, moderne historiographische Theorien und Methoden endlich auch bei der Untersuchung der osmanischen Geschichte Zyperns anzuwenden, um von eingefahrenen nationalistischen, ethnozentrischen Interpretationsmustern wegzukommen. Beide Vorgaben werden offenbar auf recht überzeugende Art und Weise erreicht. (Aǧcagül über Michael / Kappler / Gavriel) 2011 erschien in der Türkei eine neue wichtige Publikation zu Evliyâ Çelebis berühmten Fahrtenbuch Seyahatnâme. Man wollte eine Bestandsaufnahme vorlegen, die in erster Linie die außerhalb der Türkei geleistete Arbeit zu diesem Autor berücksichtigt. Das scheint mehr als gelungen, denn die einzelnen Artikel gehen in der Regel weit darüber hinaus. Sie liefern neue Erkenntnisse und bieten Interpretationsansätze, die die künftige Forschung noch weiter beschäftigen wird. (Reindl-Kiel über Tezcan / Tezcan / Dankoff) Wie groß der Einfluss war, den zahlreiche Persönlichkeiten des Osmanischen Reiches des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert auf die neu gegründete Türkische Republik hatten, wird in einem von Elisabeth Özdalga herausgegebenen weiteren Sammelband auf ausgezeichnete Weise erörtert. Das Buch selbst ist das Ergebnis einer Konferenz, die 2001 in Istanbul abgehalten wurde und sich mit der osmanischen Elite und deren Erbe befasste. (Wagner über Özdalga) Eine letzte Studie ging aus der vom 18. Februar 2008 bis zum 1. Juni 2008 im Sakıp Sabancı Müzesi in Istanbul geöffneten Ausstellung hervor, die Künstlern und Kunstwerken aus İstanbul, Isfahan und Delhi in der frühen Neuzeit gewidmet war. Die 220 Objekte stammen aus dem Musée du Louvre und dem Musée des arts décoratifs und decken das künstlerische Schaffens im Osmanischen Reiches, bei den iranischen Safawiden und unter der Mogul-Dynastie ab. Die Beiträge kontextualisieren bestens die präsentierten Gegenstände und zeigen die vielfältigen Verflechtungen zwischen den drei islamischen Großreichen. (Kulke über "İslam Sanatını 3 Başkenti: İstanbul, Isfahan, Delhi")
Kein Kollektivwerk, sondern eine Sammlung wichtiger Aufsätze stellt die nächste in diesem Forum besprochene Veröffentlichung dar. Haim Gerber, mittlerweile emeritierter Professor des Department for Islamic Studies an der Hebrew University in Jerusalem, zählt zu den bedeutenden Historikern islamischer Sozial- und Rechtsgeschichte. Viele seiner dem Osmanischen Reich gewidmeten Arbeiten kann man nun in einem Band vereinigt finden. Es handelt sich um den Nachdruck von insgesamt 15 Aufsätzen, die zwischen 1978 und 2007erschienen sind. Die nochmalige Lektüre der einzelnen Artikel verdeutlicht, dass Gerber auf höchstem Niveau zahlreiche Lücken gefüllt hat. Seine Studien sind immer noch hoch aktuell und dürfen in keinem Fall als überholt gelten. (Aydin über Gerber)
Schließlich gibt es aber auch noch Besprechungen zu drei "wirklichen" Monographien. Der Zeitraum zwischen 1402-1413, der in der Literatur als "Osmanischer Bürgerkrieg" (Türk. Fetret Devri) bezeichnet wird, stellt für die osmanische Geschichtsschreibung eine politisch höchst komplizierte Periode dar, die bisher sehr wenig untersucht wurde. Dieses Jahrzehnt war geprägt durch die Nachfolgestreitigkeiten zwischen den vier Söhnen Sultan Bayezids I., die bereits unmittelbar nach dessen Niederlage gegen Timur im Jahre 1402 begonnen hatten. Einen neueren, aber wichtigen Beitrag zu diesem Thema hat nun Dimitris Kastritsis vorgelegt. (Sen über Kastritsis). In einer anderen Arbeit wollte der Autor den sich über drei Jahrhunderte erstreckenden Prozess der Islamisierung und Turkisierung Kleinasiens analysieren. Die Rekonstruktion der Ereignisse erwies sich jedoch als höchst problematisch, zumal es in dem Raum erst im 15. Jahrhundert eine türkisch-islamische Majorität gegeben zu haben scheint. Aus diesem Grund konzentriert sich das Buch auf die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, die zur Anwendung kommen, wenn in muslimischen narrativen Quellen des 13.-15. Jahrhunderts die hybriden lebensweltlichen Verhältnisse der multipolaren und multikulturellen Kontakt- und Konfliktzonen verarbeitet werden. Das ist ausgezeichnet umgesetzt worden! (Conermann über Küçükhüseyin) Das letzte de Werk hat eine sehr interessante Personengruppe zum Gegenstand, nämlich die im 17. Jahrhundert zum Islam konvertierten Juden, die bis in die 1920er Jahre hauptsächlich in Selanik - dem heutigen Thessaloniki - ihre Heimat hatte. Sie selbst bezeichneten sich auf Hebräisch als die "Rechtgläubigen" (Maʾaminin), doch nannten sie die Osmanen schlicht "Konvertiten" (Dönmeler). Marc D. Baer hat eine wirklich lesenswerte Studie der Dönme vorgelegt, die angesichts der heterogenen Quellenlage nicht einfach zu schreiben gewesen ist. (Conermann über Baer)
Ich hoffe, dass Sie auch dieses Mal Freude an dem Forum haben, in dem m.E. viele spannende und interessante Bücher vorgestellt werden!