Eva Wegner: Islamist Opposition in Authoritarian Regimes. The Party of Justice and Development in Morocco (= Religion and Politics), Syracuse: Syracuse University Press 2011, XLVII + 180 S., ISBN 978-0-8156-3282-5, USD 29,95
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Bernard Lewis / Buntzie Ellis Churchill: Islam. The Religion And The People, Upper Saddle River: Wharton School Publishing 2008
Stefan Wild (ed.): "Islamofascism"?, Leiden / Boston: Brill
Michael A. Reynolds: Shattering Empires. The Clash and Collapse of the Ottoman and Russian Empires 1908-1918, Cambridge: Cambridge University Press 2011
Mit den Parlamentswahlen vom 25. November 2011 hat die marokkanische gemäßigt islamistische Justice and Development Party (PJD als Akronym für die französische Bezeichnung Parti de la Justice et du Développement) die Wandlung von der Oppositionspartei zur Regierungspartei vollzogen. Damit setzt sich in Marokko, welches im Vergleich zu Ägypten, Tunesien, Libyen und anderen Ländern einen milden Arabischen Frühling erlebte, der politische Aufstieg islamistischer Parteien in den Parlamenten der Region fort. Im marokkanischen Unterhaus errang die PJD 107 von 395 Sitzen. Als größte politische Fraktion stellt sie nicht nur den neuen Premierminister des Landes, sondern auch zehn von 24 Ministerposten, darunter die Ressorts für Außenpolitik, Wirtschaft und Finanzen sowie Justiz und Hochschulwesen.
Vor diesem Hintergrund sei ein Buch zur Lektüre empfohlen, das sich noch unter völlig anderen historischen Vorzeichen mit der PJD beschäftigte: Eva Wegners 180 Seiten umfassendes Werk Islamist Opposition in Authoritarian Regimes. The Party of Justice and Development in Morocco. Ausgangspunkt ihrer Untersuchung ist die Frage, welche Strategien der Beteiligung der PJD im politischen Wettbewerb - und hier natürlich allen voran den Parlaments- und Kommunalwahlen - zu Grunde liegen und wie sich diese erklären lassen. Die Autorin stellt die These auf, dass die Entscheidungen und Handlungen der PJD von drei zentralen Faktoren beeinflusst werden: 1. institutionellen Einschränkungen, 2. der Beziehung der Partei zu ihrer Mutterorganisation und 3. der Entwicklung parteiinterner Strukturen (xliii). Anhand dieses heuristischen Models reflektiert Eva Wegner den politischen Werdegang der PJD von ihren Anfängen in den 1990er Jahren bis zu den Parlamentswahlen 2007. Eva Wegner stellt damit, anders als eine Vielzahl von Autoren, die zu islamistischen Parteien arbeiten, nicht die Ideologie und politischen Positionen der Partei in den Mittelpunkt ihrer Analyse, sondern deren Verhalten als pragmatische politische Akteure.
Die Feldforschung für dieses Buch unternahm die Autorin 2003, 2004 und 2007 - und damit in einem bewegten Zeitraum für die Partei. Sie basiert ihre Ausführungen u.a. auf Primärquellen der Partei und ihrer Mutterorganisation sowie Presseartikeln und Daten über Kandidaten und Ergebnisse der Parlamentswahlen in den Jahren 2002 und 2007. Zudem führte Eva Wegner Interviews mit Führungspersonen, Abgeordneten und Mitgliedern der PJD und ihrer Mutterorganisation durch und hielt eine Umfrage unter den Abgeordneten des Nationalen Parteikongresses im Jahr 2004 ab, an der sich 152 Mitglieder beteiligten und über ihren sozio-ökonomischen Hintergrund und ihre Mitgliedschaft in der Partei Auskunft gaben. Ausgestattet mit dieser Fülle an empirischem Material, gelingt es Eva Wegner, einen tiefen Blick in die Strukturen und hinter die politischen Entscheidungsprozesse der Partei zu werfen.
Die Autorin beginnt ihre Ausführungen mit einer theoretischen Einführung zu moderaten Islamisten und einem Abriss relevanter Diskussionsstränge und Theorien über das Verhalten oppositioneller Parteien und ihrer Beteiligung an Wahlen in autoritären Systemen. Darauf aufbauend entwickelt sie ihren bereits oben beschriebenen heuristischen Analyseansatz. Dieser Einführung folgt ein Kapitel zu den politischen Institutionen und Parteien sowie die Genese und Entwicklung der islamistischen Bewegung in Marokko, welches den politischen Rahmen skizziert, in dem sich die PJD bewegt. Schon hier gelangt die Autorin zu einer interessanten Erkenntnis, wenn sie schreibt, dass zu Beginn der 1990er Jahre große Teile der gebildeten urbanen Mittelschicht mit der islamistischen Bewegung sympathisierten. Wäre es den Islamisten gelungen, diese Schichten in Wahlen für sich zu gewinnen, so Wegner, hätten sie die Existenz anderer politischer Parteien in Marokko substantiell gefährdet (31).
In ihrem zweiten Kapitel geht die Autorin auf die institutionelle Entwicklung der PJD ein. Eva Wegner gelingt eine hochspannende, empirisch fundierte Analyse der Rekrutierungsstrategien und Mitgliederstruktur der Partei sowie ihres komplexen Verhältnisses zur Mutterorganisation. Das darauf folgende Kapitel, überschrieben mit dem Titel "The Regime Game", widmet sich der Positionierung der Partei in den Parlaments- und Kommunalwahlen zwischen 2002 und 2007. Hier charakterisiert die Autorin die PJD als eine Partei, die bewusst und strategisch es vermied, sich als Gefahr für das Regime darzustellen und nach den terroristischen Attacken von 2003 in Casablanca darauf verzichtete, die wahre Stärke ihrer Mobilisierungsfähigkeit auszuspielen. Unter der harten Hand von König Hassan II und vor dem Hintergrund ihres prekären rechtlichen Status, entschied sich die PJD nicht auf Konfrontation zu gehen und eine harsche Repression der Bewegung zu riskieren, sondern ihre Inklusion in das politische System durch Zurückhaltung zu konsolidieren (93).
Das Verhalten der PJD im Parlament und gegenüber anderen politischen Parteien und Konkurrenten ist Gegenstand des vierten Buchkapitels. Hier unterstreicht Eva Wegner, wie es der Partei und ihren Abgeordneten gelang, sich als glaubwürdige oppositionelle Kraft zu etablieren (120f). Den Schluss ihres Buches rundet Eva Wegner mit einem Vergleich zwischen der marokkanischen PJD und der jordanischen Islamic Action Front, einem Ableger der Muslimbruderschaft, ab. In diesem Kapitel untersucht die Autorin, ob sich das für die PJD angewandte heuristische Model auch bei der Analyse anderer islamistischer Parteien bewährt und wirft damit einen interessanten Seitenblick über das Beispiel der PJD hinaus.
Der theoretische Rahmen und das Analyseraster sind klar und schlüssig für die Bearbeitung der Fragestellung dieses Buches gewählt. Der besondere Reiz der Lektüre liegt jedoch vor allem in den empirisch fundierten Analysen der Autorin zu zentralen Themen wie Parteiorganisation, Mitgliedschaft, Wahlkampfstrategien, Verhalten gegenüber dem Regime und politischen Konkurrenten, Beziehungen zur Mutterorganisation u.v.m.. Möchte man den Wahlsieg der PJD im November 2011 verstehen und sich ein besseres Bild davon machen, was von dieser Partei in ihrer neuen Position zu erwarten ist, sollte man dieses Buch gelesen haben - nicht zuletzt weil zahlreiche Schlüsselfiguren, die im Buch genannt werden, nun hohe politische Ämter besetzen. Es liegen vier ereignisreiche Jahre zwischen dem Endpunkt der Ausführungen der Autorin und der Benennung des Generalsekretärs der PJD zum marokkanischen Premierminister. Nach Ende der Lektüre des Buches von Eva Wegner wünscht man sich, die Autorin möge diese Lücke bald füllen.
Kerstin Fritzsche