Rolf G. Kuehni / Andreas Schwarz: Color Ordered. A Survey of Color Systems from Antiquity to the Present, Oxford: Oxford University Press 2008, xi + 391 S., ISBN 978-0-19-518968-1, GBP 60,00
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Hilmar Dreßler: "Nach Analogien zu denken ist nicht zu schelten". Studien zu Farbe und Ton in Goethes naturwissenschaftlichem Denken - nebst eigenen Paralipomena, Jena: Glaux 2005
Nicholas Eastaugh / Valentine Walsh / Tracey Chaplin / Ruth Siddall: The Pigment Compendium. A Dictionary of Historical Pigments, Amsterdam: Elsevier 2004
Trotz bedenkenswerter Vorschläge im 20. Jahrhundert (Waetzold, Gräff, Frankl [1]), Farbordnungssysteme für kunstgeschichtliche Untersuchungen zu verwenden, gehören jene heute nicht zum Handwerkszeug des Kunsthistorikers. Ebenso sind unter den Künstlern diejenigen Ausnahmen geblieben, die solche Systeme direkt für ihre Arbeit verwenden. Zieht man allerdings die indirekten Anwendungen in Betracht, so fällt auf, dass heute viele Künstler mit den Farbtönen arbeiten, die ihnen die digitalen Medien bieten - meist ohne zu wissen, dass es sich hier nicht um beliebige Farbtöne, sondern um solche eines Systems handelt. Und bezieht man in einem weiteren kulturgeschichtlichen Kontext die Farbanwendungen in Architektur und Design mit ein, erweist es sich, dass viele der hier anzutreffenden Färbungen Repräsentanten von Ordnungssystemen sind (z. B. Anstrichfarben).
Das hier anzuzeigende Buch ist das inhaltlich dichteste und vollständigste Werk, welches jemals zu diesem Thema erschienen ist. Die Fülle des Materials ist in zwölf Kapitel gegliedert. Das einleitende widmet sich grundlegenden Vorstellungen und Begriffen: Der Evolution des Sehens und der Farbempfindungen, der Unterscheidung, Einteilung und Benennung der Farben sowie dem Verhältnis von Farbe und Klang. Der Unterschied von Farbraum und Farbkörper wird erläutert und dankenswerterweise werden die Begrenzungen der tatsächlich realisierbaren Farbräume gegenüber den theoretisch möglichen gezeigt - das heutige, modifizierte Munsell-System erreicht 60% der möglichen Körperfarben, Bildschirmsysteme erreichen mit der Kombination von drei verschiedenfarbigen Lichtern weniger als 80%. Dargestellt werden ebenso die grundlegenden, unaufhebbaren Unterschiede bei der Mischung von farbigen Lichtern einerseits und Farbmitteln (Farbstoffen, Pigmenten) andererseits. Dies führt zu den bekannten Problemen eines jeden Versuchs, die einzelnen Töne eines Farbkörpers auszufärben, was anhand historischer Beispiele verdeutlicht wird. Die Zwecke, denen Farbatlanten in Malerei, Design und Textilfärberei dienen können, werden erläutert und schließlich die Begriffe "color system", "color space", "color solid", "color atlas" und "color collection" definiert (25). Als "Farbenatlas" ist danach eine systematische Auswahl von Farbmustern aus einem - meist dreidimensionalen - System möglicher Farbempfindungen zu verstehen, als "Farbensammlung" dagegen eine unvollständige Sammlung von Farbmustern, die sich lediglich auf ein rudimentäres oder gar kein System zurückführen lässt (wie zum Beispiel RAL).
Es liegt in der Natur eines derart umfassenden Werkes, dass es auch nicht annähernd in allen enthaltenen Aspekten referiert, sondern allenfalls im Überblick skizziert werden kann.
Die nachfolgenden Kapitel widmen sich den Farbsystemen selbst, jeweils unter einem einigenden Ordnungsprinzip zusammengefasst. Jedes Kapitel wird mit einer Einführung in die jeweilige Ordnungsproblematik und ihre relevanten Begriffe eingeleitet. Das zweite Kapitel stellt lineare Farbordnungssysteme vor, wovon die frühneuzeitlichen von Zacharias Traber, Francis Glisson, Johannes Zahn und die Diego de Carvalho e Sampaya weitgehend unbekannt sein dürften, ebenso wie die von Zheng Fuguang und Leopoldo Nobili aus dem 19. Jahrhundert. Im dritten Kapitel sind Versuche zusammengestellt, die Farben in flächigen Gebilden wie Diagrammen und Kreisen darzustellen, während das vierte erste Versuche zur dreidimensionalen Darstellung zeigt.
Psychologische Farbordnungssysteme - das von Hering ist hier für die meisten späteren Versuche grundlegend - werden im fünften Kapitel erläutert, wobei die einleitenden Definitionen und grafischen Veranschaulichungen der sich inhaltlich teilweise überschneidenden Begriffe für das Verständnis wertvoll sind (93-95): "hue", "absolute and relative lightness", "saturation", "chroma" sowie "chromatic", "blackness" and "whiteness content". Selten ist diese häufig konfus gebrauchte Begrifflichkeit klarer und luzider erläutert worden, als hier.
Das sechste Kapitel untersucht die psychophysischen und neurobiologischen Diagramme und Farbkörper, wobei das System von Ludwig Pilgrim (1901) erst durch die Forschungen der Autoren wiederentdeckt wurde. Daran schließt sich im siebten Kapitel die Darstellung der Versuche, Wahrnehmungsdaten mit psychophysischen Skalen zu verbinden, im achten die der physikalischen Ordnungssysteme.
Kulturgeschichtlich von besonderem Interesse sind die Farbordnungen für technische Anwendungen im neunten Kapitel (Druck, Textilfärberei, Bildschirmtechnik). Die Kapitel zehn und elf widmen sich dann den (sehr zahlreichen) "Miscellaneous Systems", die sich in keine der vorangegangenen Kategorien einordnen ließen. Kapitel zwölf schließlich bildet eine Zusammenfassung der verschiedenen Ansätze, Farben zu klassifizieren und zu ordnen.
Den Anspruch, das umfassendste Kompendium seiner Art zu bieten, lösen die Autoren mit 167 vorgestellten Farbsystemen mühelos ein - das bisherige Standardwerk von Silvestrini und Fischer [2] führt lediglich 70 an. Entscheidender noch als die größere Annäherung an Vollständigkeit ist allerdings die analytische Durchdringung der einzelnen Systeme, wie sie in solcher Form und solchem Ausmaß bisher überhaupt noch nicht geleistet worden ist. Diese Luzidität zeigt sich bereits in der systematischen Gruppierung und Ordnung der unterschiedlichen Systeme, sie setzt sich fort in den grafischen Veranschaulichungen der Farbordnungen, die von ihren Urhebern nur verbal fixiert worden sind, und findet sich schließlich in der Übersichtlichkeit der Einträge wieder. Jedem Farbsystem ist ein Eintrag gewidmet, der zunächst den oder die Erfinder des Systems vorstellt, danach die Arbeiten zur Farbordnung, woran sich eine Analyse des Systems schließt. Jeder Eintrag umfasst mindestens eine, meist aber mehrere Abbildungen.
Willkommener Nebeneffekt ist, dass so die Schicksale zahlreicher vergessener Erfinder und Gelehrter in den Blick geraten - derart, dass eine statistische Erhebung der vertretenen Berufszweige sinnvoll erscheint, wobei die im Folgenden skizzierte Übersicht die Beschäftigung einer Person mit mehreren Fächern außer Acht lässt. So mag es wenig erstaunen, dass die Naturwissenschaftler - ungerechnet der antiken und mittelalterlichen Gelehrten - mit 54 Persönlichkeiten vertreten sind (darunter zahlreiche Physiker, aber auch vier Botaniker, vier Entomologen, drei Physiologen und ein Ornithologe). Bemerkenswert ist allerdings die Zahl von 20 Psychologen, knapp gefolgt von 19 Drucktechnikern. Dem stehen lediglich 23 Künstler gegenüber (13 Maler, neun Architekten und Designer, ein Goldschmied). Zweifellos gewannen Farbsysteme immer dann an Bedeutung, wenn die Farbreproduktionsverfahren einen Entwicklungssprung erlebten und die Zahl der Möglichkeiten wuchs. Ebenso naheliegend ist die Verbindung zahlreicher Farbsystematiker mit Fortschritten der Textilfärberei, wofür Namen wie Castel, Chevreul und Becke stehen.
Nicht weniger interessant ist es, den Rahmen farbrelevanter Erfindungen abzustecken anhand der zahlreichen Substanzen und Vorrichtungen, die zur Veranschaulichung farbiger Phänomene dienten (z. B. der Munsell-Aquarellkasten von 1906, Abb. 5.56, 114; Ives' Schattierungsstreifen von 1935, Abb. 9.53, 204, oder Blochs Farbenmesser von 1915, Abb. 9.76, 215), oder anhand der praktischen Anwendungen, für welche die verschiedenen Systeme gedacht waren.
So ließen sich weitere solcher "schiefen" Querschnitte durch diese Informationsmenge legen, die von den Verfassern nicht intendiert sind und dennoch Erhellendes bieten. Aber genau diese Möglichkeit ist Ausweis für die inhaltliche Dichte und strukturelle Qualität des Werkes.
Eine Kritik derartig kompendiöser und gründlicher Werke wie des vorliegenden kann nur kleinlich geraten. Im Folgenden sind daher lediglich einige Anmerkungen und Ergänzungen angefügt: Das Natural Color System (109-111) geht nicht nur auf Hering zurück, sondern wäre ohne Ostwalds Vorarbeiten undenkbar. Im Kapitel neun wäre eine Darstellung der Farbordnungsversuche im Zusammenhang mit der Entwicklung der Farbfotografie wünschenswert gewesen, wie sie sich etwa in den Arbeiten Arthur von Hübls oder den Agfa-Farbentafeln manifestiert haben. Das Register schließlich enthält bei weitem nicht alle Textstellen zu einem Autor und die Trennung in Sach- und Personenregister wäre zweckdienlich gewesen. Die Suche hätte überdies erleichtert werden können, wenn die Spalten, nicht die Seiten nummeriert worden wären.
Die Ausstattung des Buches mit Abbildungen ist überaus reich - es enthält 421 Textabbildungen, die Mehrzahl davon in Farbe. Neunundzwanzig davon finden sich noch einmal vergrößert im Tafelteil. Die Druckqualität ist ausgezeichnet - mit den unvermeidlichen Abstrichen, die bei der Reproduktion von Farbmustern im Vierfarbendruck gemacht werden müssen. Allein schon die Abbildungen und das klassisch-übersichtliche Layout machen die Lektüre zum ästhetischen Genuss. Abschließend bleibt nur zu wiederholen, dass mit diesem Buch das vollständigste, gründlichste und analytisch klarste Kompendium über Farbsysteme vorliegt, welches bisher veröffentlicht wurde.
Anmerkungen:
[1] Wilhelm Waetzoldt: "Das theoretische und praktische Problem der Farbenbenennung", in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 4 (1909), 349-399; Walter Gräff: Die Kunstwissenschaft und die Farbe, in: Die Farbe, Nr. 30, Leipzig 1922, 381-400 zusammen mit dem bis dahin unveröffentlichten zweiten Teil wiederabgedruckt in: Mitteilungen der Wilhelm Ostwald Gesellschaft 10 (2005) 3; Paul Frankl: Das System der Kunstwissenschaft, Berlin 1998 (Reprint der Ausgabe von 1938).
[2] Narciso Silvestrini: Hans Peter Fischer. Farbsysteme in Kunst und Wissenschaft, Köln 2002.
Albrecht Pohlmann