Rezension über:

Christoph Nonn: Köln in der Weimarer Republik 1918-1933 (= Geschichte der Stadt Köln; Bd. 11), Köln: Greven-Verlag 2024, XIII + 492 S., ISBN 978-3-7743-0456-7, EUR 60,00
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Rezension von:
Holger Löttel
Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, Bad Honnef-Rhöndorf
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Holger Löttel: Rezension von: Christoph Nonn: Köln in der Weimarer Republik 1918-1933, Köln: Greven-Verlag 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 11 [15.11.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/11/40768.html


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Christoph Nonn: Köln in der Weimarer Republik 1918-1933

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Es waren bemerkenswerte Szenen, die sich am 6. Juli 1922 in der Kölner Stadtverordnetenversammlung abspielten. Zur Debatte stand ein Antrag der SPD-Fraktion, den Kaiser-Wilhelm- und den Hohenzollernring nach Walther Rathenau und Matthias Erzberger umzubenennen, die beide politisch motivierten Morden zum Opfer gefallen waren. Während die Unabhängigen Sozialdemokraten noch weitergingen und die Entfernung sämtlicher Plätze, Gebäude und Büsten mit dynastischem Bezug forderten, vertrat das Zentrum einen integrativen Ansatz, der die Spuren der monarchischen Vergangenheit nicht verwischte (dafür sollte die im Zuge der Grüngürtelplanung neu gestaltete Kanalstraße den Namen Rathenaus tragen). Diese Linie verfolgten auch die Liberalen, die sich erkennbar dagegen wehrten, die Hohenzollern als Symbolfiguren des Deutschen Reichs erinnerungspolitisch zu entsorgen. Weil hier aus Anlass der Straßennamen über das Wesen der Republik selbst gestritten wurde, erhitzten sich die Gemüter. Als der kommunistische Stadtverordnete Josef Neuhauser vorschlug, mit der Kammachergasse den stadtbekannten Rotlichtbezirk in Hohenzollernstraße umzubenennen, fielen Worte wie: "Schurke, Sauhund, dreckiger Misthaufen, elender aufgewärmter Leichnam". [1] Bevor die Handgreiflichkeiten eskalieren konnten, schloss Oberbürgermeister Adenauer die Sitzung (22-24).

Man kann aus dieser Episode die politische Verrohung und die Unversöhnlichkeit der im Rat versammelten Gruppierungen herauslesen. Ebenso sehr lässt sie sich aber auch als Ausdruck einer "Fundamentalpolitisierung" (25) der Stadtgesellschaft verstehen, die sich die Republik, auf die sich im Grundsatz alle Beteiligten beriefen, anverwandelte. Christoph Nonn favorisiert diese zweite Deutung, zumal die Parteien gewissermaßen eine 'kölsche Lösung' fanden und einen demokratischen Kompromiss erzielten, indem unter anderem der Königsplatz in Rathenauplatz umbenannt wurde, die Ringnamen aber erhalten blieben (28).

Nonns Buch über die Weimarer Jahre schließt die vorletzte Lücke in der aufwändig gestalteten Köln-Reihe des Greven Verlags. [2] Im Vergleich zu Thomas Mergels Vorgängerband über das Kaiserreich ist seine Darstellung weniger als vergleichende Stadtgeschichte in der "Urbanisierungsepoche" [3] konzipiert, sondern liest sich über weite Teile als lokalhistorische Studie zur politischen Kultur der ersten deutschen Demokratie. Zwar enthält das Buch ausführliche und informative Kapitel über Wirtschaft und Technik, Bildung und Kultur, Geselligkeit und Konsum. Der Fokus liegt aber auf dem Werden und Vergehen der Republik von Weimar, betrachtet durch die Linse des Kölner Fallbeispiels.

Eine wesentliche Rolle in der städtischen Politik spielte der langjährige Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der noch im Ersten Weltkrieg in Amt und Würden gelangt war. Während Nonn die zeitgenössischen Selbstinszenierungen des Stadtoberhaupts präzise herausarbeitet, wirkt sein Anschreiben gegen den vermeintlich fortwirkenden Adenauer-Mythos etwas bemüht. [4] Dass Adenauer nicht der alleinige Vater des "neuen Köln" war, wie Nonn insistiert (129-142), ist keine spektakuläre Erkenntnis. Die städtebaulichen Modernisierungsprojekte dieser Zeit wurden nicht nach einem Masterplan abgearbeitet, sondern gestalteten sich situativ und dynamisch; sie waren abhängig von kontingenten Faktoren wie der Niederlegung des Festungswalls, der britischen Besatzung oder der Entschuldung infolge der Hyperinflation. Dass der "umtriebig[e]" (68) Oberbürgermeister der Stadt "seinen Stempel" aufdrückte" (10), steht auch für Nonn außer Zweifel. Im Kontext der hier gewählten Darstellungsschwerpunkte ist die Frage nach der Haltung Adenauers zur republikanischen Staatsordnung ohnehin interessanter. Der Befund fällt nicht ganz eindeutig aus: Mit Blick auf seinen autoritären Führungsstil und sein exekutiv orientiertes Politikverständnis sieht Nonn ihn der wilhelminischen Epoche verpflichtet (331). Aus der Perspektive des Jahres 1933 indes gehört er "natürlich" (433) zu jenen überzeugten Weimarer Demokraten wie Wilhelm Sollmann, Hertha Kraus und Bernhard Falk, deren Kölner Karriere nach der Machtübernahme Hitlers endete. Um das politische Wirken Adenauers in diesen Jahren angemessen zu umfassen, muss der Blick über den lokalen Horizont hinausweisen und etwa seine Mandate im Preußischen Staatsrat und im Reichsvorstand der Zentrumspartei miteinbeziehen. Obgleich er bei der städtischen Verfassungsfeier am 11. August 1922 "durch Abwesenheit [glänzte]" (336), sprach er sich nur wenige Wochen später auf dem Münchener Katholikentag unmissverständlich dafür aus, die Zukunft "auf dem Boden der heutigen Reichsverfassung" zu gestalten. [5]

In München hatte Adenauer erkennen müssen, wie reserviert, ja feindselig prominente katholische Würdenträger der parlamentarischen Demokratie begegneten. Demgegenüber positionierte sich die SPD klar als republikanische Partei, indem sie am Verfassungstag eine Feier in den rechtsrheinischen Arbeiterhochburgen ausrichtete. Das Zentrum zog erst 1925 mit einer eigenen Veranstaltung nach. Drei Jahre später beteiligte sich die Stadt am Verfassungsfest der SPD und des Reichsbanners in Köln-Deutz, an dem auch Zentrum und DDP unter dem Dach einer "Republikanischen Arbeitsgemeinschaft" teilnahmen. Das zehnjährige Verfassungsjubiläum wurde schließlich 1929 als großes Volksfest gemeinsam begangen. Nonn sieht hier Fortschritte auf dem "Weg zur Gemeinsamkeit der Demokraten", gerade weil sich die Parteien in der Tagespolitik hart angingen und auch im Kommunalwahlkampf nichts schenkten (348-357).

Die Stabilisierungserfolge der mittleren und späten 1920er Jahre waren also nicht nur vordergründig, wurden durch die Weltwirtschaftskrise aber dennoch zunichte gemacht. Obwohl die republiktreuen Parteien bis 1933 eine Mehrheit im Stadtrat behielten, verloren sie, wie die Ergebnisse der Reichstagswahlen 1930 und 1932 nahelegen, rapide an Zustimmung. Zugleich schwand das "Vertrauen in demokratische Lösungen" (416) in der politischen Mitte: Während sich an der Basis der SPD die Stimmen mehrten, die eine Annäherung an die KPD forderten, favorisierten Teile des Zentrums - unter anderem auch Adenauer - Koalitionsversuche mit der NSDAP, um die radikale Rechte zu domestizieren (eine, wie sich bald herausstellte, "gefährliche Unterschätzung").

Neuere Darstellungen, die gleichfalls die Vitalität der Republik betonen, haben die Kette einzelner Entscheidungen herausgearbeitet, die in den 30. Januar 1933 mündete. [6] Nonn hingegen macht vor allem eine spezifische Mentalität der Wähler aus, die den demokratischen Staat zwar nicht unbedingt ablehnten, sich aber ebenso wenig mit ihm identifizierten. Politik verstanden sie in erster Linie als Dienstleistung zur Gewährung guter Lebensbedingungen. Unter dem Krisendruck der frühen 1930er Jahre optierten sie für eine "Alternative zum demokratischen Angebot", von der sie annahmen, sie würde sich "bei Nichtgefallen" wieder umtauschen lassen. Das aber sollte sich als "fatal" herausstellen (441).

Dieses Urteil fällt Nonn immerhin für eine katholische Industriestadt wie Köln, in der die Zustimmung für die NSDAP lange Zeit unter dem reichsweiten Durchschnitt blieb. Die rasche Liquidation der Demokratie im Frühjahr 1933 spricht allerdings auch dort für sich. Obwohl Nonns Darstellung ihrem zeithistorischen Betrachtungshorizont verpflichtet bleibt, ist die Warnung, dass gewachsene Stabilität nicht vor rapider Destabilisierung schützt, unverkennbar. Unter den vielen exzellenten Werken der "Geschichte der Stadt Köln" zählt dieser Band zweifellos zu den aktuellsten und lesenswertesten.


Anmerkungen:

[1] Verhandlungen des Rates der Stadt Köln vom Jahre 1922, 411 (abrufbar unter: https://digital.ub.uni-koeln.de/view/retro_2872489-6_005439).

[2] Nur der Band über "Köln nach 1945" steht noch aus. Vgl. https://www.greven-verlag.de/themenwelt-geschichte-der-stadt-koeln.aspx.

[3] Thomas Mergel: Köln im Kaiserreich 1871-1918, Köln 2018, 203. (https://www.sehepunkte.de/2020/02/33915.html).

[4] Als Beleg für diesen Mythos bezieht sich Nonn etwa auf den Ausstellungskatalog "Konrad der Große" des Kölnischen Stadtmuseums (Mainz 2017), der aber viele Facetten der Stadtgeschichte abbildet und sogar einen Beitrag mit dem Titel: "Es gab nicht nur Adenauer" enthält (67-71).

[5] Aufzeichnung vom 9.11.1922, in: Hugo Stehkämper: Konrad Adenauer als Katholikentagspräsident, Mainz 1977, Nr. 8, 117-120, hier 119. Das Zitat stammt aus einer nachträglichen Betrachtung des Katholikentags.

[6] Vgl. Jens Bisky: Die Entscheidung. Deutschland 1929 bis 1934, Berlin 2024; Volker Ullrich: Schicksalsstunden einer Demokratie. Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik, München 2024.

Holger Löttel