Gerhard Paul: Mai 1945. Das absurde Ende des »Dritten Reiches«. Wie und wo die Nazi-Herrschaft wirklich ihr Ende fand, Stuttgart: Theiss 2025, 336 S., 60 s/w-Abb., ISBN 978-3-534-61010-5, EUR 28,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Katrin Hammerstein: Gemeinsame Vergangenheit - getrennte Erinnerung? Der Nationalsozialismus in Gedächtnisdiskursen und Identitätskonstruktionen von Bundesrepublik Deutschland, DDR und Österreich, Göttingen: Wallstein 2017
Johannes Tuchel / Uwe Neumärker: Der 20. Juli im "Führerhauptquartier Wolfschanze", Berlin: Lukas Verlag 2021
Matthias Uhl / Thomas Pruschwitz / Jean-Luc Leleu u.a. (Hgg.): Die Organisation des Terrors. Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1943-1945. Hg. im Auftrag des Deutschen Historischen Instituts Moskau, München / Zürich: Piper Verlag 2020
Johannes Hürter / Thomas Raithel / Reiner Oelwein (Hgg.): »Im Übrigen hat die Vorsehung das letzte Wort
«. Tagebücher und Briefe von Marta und Egon Oelwein 1938-1945, Göttingen: Wallstein 2021
Richard Lakowski: Ostpreußen 1944/45. Krieg im Nordosten des Deutschen Reiches, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2016
Jost Dülffer / Gottfried Niedhart (Hgg.): Frieden durch Demokratie? Genese, Wirkung und Kritik eines Deutungsmusters, Essen: Klartext 2011
Jürgen Peter Schmied (Hg.): Kriegerische Tauben. Liberale und linksliberale Interventionisten vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, Göttingen: V&R unipress 2019
Christopher Clark: The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914, 2013
Mit diesem Buch möchte der Verfasser zu einem neuen historischen Arbeitsfeld, einer visual history, beitragen. Den inhaltlichen Rahmen, liefern ihm die in vielem bizarren letzten beiden Wochen des 'Dritten Reiches' nach Hitlers Tod. Jedem Kapitel ist zur Illustrierung des Textes mindestens eine zeitgenössische Fotografie beigefügt - so zum Beispiel das Foto der ersten Begegnung deutscher Militärs im Mercedes mit britischen Vorposten mit weißer Fahne am 4. Mai 1945, das Bild von Großadmiral Karl Dönitz, wie er, mit Glacéhandschuhen in der Hand, in das Flensburger Polizeipräsidium abgeführt wurde, oder auch die Aufnahme von der Verfrachtung deutscher Gestapoangehöriger aus Flensburg.
Der sehr detaillierte Begleittext, bisweilen eher eine Art Reportage als eine wissenschaftliche Untersuchung, gibt zu verstehen, dass für die britische Seite am dringendsten war, dass deutsche Stellen ihr bei der Abwicklung des Waffenstillstandes halfen. Immer wiederkehrende deutsche Träume von einem militärischen Zusammengehen deutscher Truppen mit westalliierten Streitkräften gegen die Rote Armee blieben dagegen utopisch.
Bekanntlich legitimierte sich die Regierung Dönitz durch Hitlers Testament, das der Diktator kurz vor seinem Selbstmord verfasst hatte. Ihr Amtssitz wurde eine kleine Enklave im Flensburger Stadtteil Mürwick. Anzeichen einer politischen Neuorientierung wies sie nicht auf: Auch nach der deutschen Kapitulation hielt man an der juristischen Fortexistenz des 'Dritten Reiches' fest. Dönitz selbst blieb ein Verehrer des 'Führers', und die meisten von ihm ernannten Minister hatten der Regierung bereits unter Hitler angehört. Nur Himmler, der sich eifrig um einen Ministerposten bewarb, ging leer aus - dies wohl vor allem zwei Gründe: Zum einen hatte Hitler mit ihm als "Verräter" in letzter Minute gebrochen, nachdem er hinter dessen Rücken mit den Westmächten zu verhandeln versucht hatte. Zum anderen galt Himmler in dem "unpolitischen" Kabinett Dönitz als untragbar (83). Das angeblich makellose Verhalten der deutschen Streitkräfte im Krieg blieb bei alledem ein unangefochtener Glaubenssatz.
Ein Hauptanliegen des neuen Regimes war, durch die Einhaltung einer rigorosen Disziplin einer zweiten Novemberrevolution vorzubeugen: Todesurteile wegen Fahnenflucht wurden auch noch ein paar Tage nach der deutschen Kapitulation verhängt. Ein Gedenkstein an die Opfer wurde erst 1999 errichtet. Verbreitet, so zeigt der Verfasser, war auch die Erwartung, dass es in Kürze zu einem Krieg zwischen der UdSSR und den Westmächten kommen würde. Die wohl einzige Denkschrift, die in der Regierung Dönitz entstand, sprach sich für spätestens Sommer 1945 für einen "Angriff" der Westmächte mithilfe deutscher Truppen aus (147)! Doch stattdessen wurde die "Regierung" Dönitz am 23. Mai von britischen Truppen unter demütigenden Bedingungen verhaftet. Dönitz musste sich im Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunal verantworten, kam aber mit einer Gefängnisstrafe davon.
Verstreut im Text erwähnt der Verfasser allerlei kuriose Vorkommnisse - wie zum Beispiel den Diebstahl von Dönitz' Marschallstab, die Festnahme eines Zivilisten, der wie Hitler aussah, oder die Verschrottung der U-Boote, die sich zu Kriegsende in der Flensburger Förde versammelt hatten. Zweifellos liefert der Verfasser in diesem Buch trotz zahlreicher solcher Trivia eine eindrucksvolle und authentische Wiedergabe der Mentalität, mit der prominente deutsche Zeitzeugen aus der NS-Zeit auf die "Stunde Null" reagiert haben.
Klaus Schwabe