Rezension über:

Lyndal Roper: Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525. Aus dem Englischen von Holger Fock und Sabine Müller, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2024, 672 S., 7 Farb-, 41 s/w-Abb., ISBN 978-3-10-397475-1, EUR 36,00
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Rezension von:
Peer Frieß
Zorneding
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Peer Frieß: Rezension von: Lyndal Roper: Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525. Aus dem Englischen von Holger Fock und Sabine Müller, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 7/8 [15.07.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/07/39661.html


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Diese Rezension ist Teil des Forums "500 Jahre Bauernkrieg" in Ausgabe 25 (2025), Nr. 7/8
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Lyndal Roper: Für die Freiheit

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Das Buch beginnt erfrischend unkonventionell. Statt einer regionalen Gliederung, wie sie noch Günther Franz gewählt hat, oder einer thematischen Strukturierung à la Peter Blickle oder Thomas Kaufmann entscheidet sich Lyndal Roper für ein chronologisches Vorgehen. Anders als Gerd Schwerhoff geht sie dabei aber nicht wirklich streng chronologisch vor, sondern gliedert das schwer zu überblickende Bauernkriegsgeschehen in die von Herbst 1524 bis in den Sommer 1525 reichenden vier Jahreszeiten. Die Ereignisse in Salzburg und in Tirol Ende 1525 und Anfang 1526 werden damit zwar marginalisiert, die Orientierung am Jahreslauf schafft dafür aber eine Nähe zur unmittelbaren Lebenserfahrung der bäuerlichen Bevölkerung, die bei vielen anderen Darstellungen des Bauernkrieges eher zu kurz kommt. Und genau um dieses unmittelbare Erleben der Betroffenen scheint es der Autorin zu gehen, lautet doch eine der zentralen einleitenden Fragen: "Wie fühlt es sich an, an einem Aufstand teilzunehmen?" (17). Natürlich ist der Autorin bewusst, dass die Quellenlage eine historisch-kritische Beantwortung dieser Frage nicht zulässt. Das versucht sie auch gar nicht, sondern benützt das in der Geschichtsdidaktik entwickelte Instrument der "historischen Imagination" (18) dazu, möglichst viel über die Handelnden und die Welt, in der sie lebten, herauszufinden.

Der Leser erfährt dann auch Manches. Allerdings werden die konkreten Arbeitsbedingungen auf dem Land, die Bedeutung menschlicher Arbeitskraft, die Abhängigkeit von den Unbilden der Witterung, das Ausgeliefertsein gegenüber der Willkür der Herrschenden, gegenüber Hunger, Krankheit, Überfällen und Plünderungen eher gestreift. So schlecht, dass man deswegen einen Aufstand gewagt hätte, sei die Lage auch gar nicht gewesen. Selbst die Leibeigenschaft, die vor allem Frauen betroffen habe, sei eher eine Frage des Status' denn ein ernsthaftes Problem gewesen - so Roper (78). Sehr viel größeren Raum nimmt die Auseinandersetzung mit der reformatorischen Bewegung ein. Denn der vorherrschende Eindruck der Landbevölkerung sei gewesen, dass die Verhältnisse nicht christlich seien und deshalb verändert werden müssten (96). Martin Luthers Denkschrift "Von der Freyheyt eynis Christenmenschen" und seine Kritik am Mönchtum sind für Lyndal Roper folgerichtig wesentliche Impulse für die Erhebung der Bauern. Die zahlreichen Missstände insbesondere im Bereich der geistlichen Herrschaften "und die daraus entspringenden Gefühle brachten 1524 das Fass zum Überlaufen" (43). Im Weiteren sind es dann allerdings eher die radikaleren Reformatoren Balthasar Hubmaier, Andreas Karlstadt und Thomas Müntzer, die in den Fokus der Darstellung rücken. Ob Müntzer tatsächlich der bedeutendste Theologe gewesen war, den der Bauernkrieg hervorgebracht hat (97), sei dahingestellt. Richtig und wichtig ist allerdings der Hinweis darauf, dass viele Hundert Geistliche, meist einfache Dorfpfarrer und Prädikanten, nicht nur die neue Lehre verkündeten, sondern sich aktiv am Bauernkrieg beteiligten. Die enge Verbindung der reformatorischen Bewegung mit der in ihrem Ursprung stärker auf die Abmilderung existenzieller Belastungen ausgerichteten Erhebung der Bauern wird in diesen Akteuren unmittelbar greifbar. Die in publizistischer Hinsicht wirkmächtigste Ausprägung dieser Verbindung - und auch das arbeitet Lyndal Roper überzeugend heraus - entstand mit den "Zwölf Artikeln" Anfang März 1525 in der Reichsstadt Memmingen (154-166). Welches Gewicht die Autorin diesem Dokument beimisst, zeigt sich nicht nur in der Wahl des (deutschen) Titels. [1] Sie stellt ihrem Buch auch die Freiheitsforderung des dritten Artikels als Motto voran und fügt den gesamten Text der Zwölf Artikel in buchstabengetreuer sowie in einer an den heutigen Sprachgebrauch angepasster Diktion am Ende an.

Im Gegensatz zu anderen Autoren analysiert Roper die Zwölf Artikel aber nicht eingehender. Auch in einer Reihe anderer Aspekte unterscheidet sich das Buch Lyndal Ropers von denen anderer Historikerinnen und Historiker zum Thema. Das Erste, was ins Auge fällt, sind die überdurchschnittlich zahlreichen sachlichen Fehler. Um einige herauszugreifen: Hans Müller aus Bulgenbach hat nicht dabei geholfen, den Seehaufen, den Allgäuer Haufen und den Baltringer Haufen aufzustellen, das haben sie allein geschafft (53). Beim Tausch von Leibeigenen wurden die Menschen in der Regel eben nicht von einem Ort zum anderen geschickt, sondern blieben auf ihrem Hof und wechselten den Leibherrn (86). Einzelne Bauernhaufen riefen die Einwohner von Dörfern, an denen sie vorbeizogen, sehr wohl dazu auf, sich den Aufständischen anzuschließen (130) und drohten mit Gewalt, wenn nicht Folge geleistet wurde. Die reformatorischen Ideen, die vor dem Bauernkrieg in Memmingen kursierten, waren nicht nahe an der orthodoxen evangelischen Lehre, die gab es damals noch gar nicht (154). Mit dem Moment der Übergabe der 10 Artikel der Memminger Bauern an den städtischen Rat war die Christliche Vereinigung nicht in die drei Haufen (Baltringer, Allgäuer und Seebauern) gespalten. Bei der Übergabe der Forderungen hatten sich die drei Haufen nämlich noch gar nicht zur Christlichen Vereinigung verbunden (157). In Memmingen trafen sich auch nicht Tausende Bauern aus ganz Oberschwaben, sondern gerade mal 50 (211). Die Stadt war auch nicht das Hauptquartier der Bauern (267). Das Kloster Weissenau ist nicht über mehrere Wochen von Johann Wetzel geführt worden (238, 366). Einen schwäbischen Haufen gab es nicht (268). Anfang Juli 1525 wurden die letzten Gruppen des Hegauer Haufens besiegt, nicht der Seehaufen (434) usw. Ob diese und alle anderen Fehler auf die Autorin, die Übersetzer oder das Lektorat zurückzuführen sind, ist letztlich sekundär. Sie trüben leider das Bild eines engagiert geschriebenen Buches.

Gravierender als diese handwerklichen Schwächen erscheint die sich durchziehende Tendenz zur Pauschalisierung, die sich u.a. darin zeigt, dass wiederholt das Bild einer einheitlichen, homogenen, das ganze Aufstandsgebiet umfassenden Bewegung gezeichnet wird. So hätten sich auf dem Höhepunkt des Bauernkriegs hunderttausende Menschen zusammengeschlossen, um "eine neue Welt" zu schaffen" (9, 13). Die Klosterkritik Luthers habe ganz allgemein ein "Machtvakuum" geschaffen (42). Die Bauern begegnen sich generell unter dem Motto der "Brüderlichkeit", was für Lyndal Roper ein ganz zentraler Topos ist, dem man immer wieder begegnet und der zu sehr pointierten Thesen führt, z.B.: "Brüderlichkeit hatte eine kollektive Loyalität unter den Männern geschaffen, und der Ausschluss von Frauen war ein Teil des Kitts, der sie zusammenhielt" (350). Eng verbunden damit ist die Fokussierung auf Klöster und das Mönchtum als Institution, in denen Roper - der Eindruck entsteht zumindest - das Hauptfeindbild der Bauern zu erkennen glaubt (384). Dass die zahlreichen Plünderungen von Klöstern einfach auch logistische Gründe hatten, weil dort leicht zu erobernde Vorräte vorhanden waren, tritt demgegenüber in den Hintergrund. Problematisch erscheint es auch, dass innerhalb der einzelnen Kapitel räumlich und zeitlich in einer Weise gesprungen wird, die es für den nicht versierten Leser schwierig macht, den Überblick zu bewahren. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass lokal bzw. regional richtige Feststellungen als allgemeingültige Aussagen missverstanden werden. So stimmt die Feststellung, dass die Vermehrung der Schafherden den Getreideanbau beeinträchtigte, zwar für Thüringen und Franken, für die anderen Aufstandsgebiete spielte das aber keine Rolle (94). Es ist auch richtig, dass es im Mai 1525 keine flächendeckende Erhebung der Bergleute gegen die Obrigkeit gab. Das aber als eine der Ursachen für das Scheitern des Bauernkriegs anzugeben, führt den Leser in die Irre, denn es gab auch keine flächendeckende und einheitliche Erhebung der Bauern gegen die Obrigkeit (463). Das alles ist schade, hätte es doch ein gutes Buch werden können, das mit neuen Interpretationsmethoden neue Erkenntnisse hervorbringt. Entstanden ist dagegen eine in Teilen spekulative Erzählung, die zu oft holzschnittartig generalisiert und sich streckenweise eher als Interpretation der reformatorischen Bewegung denn als Beschreibung des Bauernkrieges liest.


Anmerkung:

[1] Die englischsprachige Ausgabe trägt den Titel: "A Summer of Fire and Blood. The German Peasants' War".

Peer Frieß