Aurora Almada e Santos / Yvette Santos (eds.): The League of Nations Experience. Overlapping Readings, Berlin: De Gruyter 2025, VIII + 314 S., 4 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-105658-6, EUR 79,95
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Pieter M. Judson: Habsburg. Geschichte eines Imperiums 1740-1918, 2. Auflage, München: C.H.Beck 2017
Eberhard Kolb / Dirk Schumann: Die Weimarer Republik, 8., überarbeitete und erweiterte Auflage, München: Oldenbourg 2013
Norman A. Graebner / Edward M. Bennett: The Versailles Treaty and Its Legacy. The Failure of the Wilsonian Vision, Cambridge: Cambridge University Press 2011
In den Pariser Friedensverhandlungen 1919 und durch die abschließenden Friedensverträge wurde der Völkerbund aus der Taufe gehoben. Anfang 1920 trat er erstmals zusammen. Lange Zeit war er in der Geschichtswissenschaft eher negativ eingeschätzt worden, weil er seine Hauptaufgabe, die Wahrung des internationalen Friedens, nur unzulänglich erfüllte. In den letzten Jahren ist er ein wenig aus dem Blickpunkt der Forschung geraten, nachdem sich zuvor die Gesamteinschätzung dank der Betrachtung anderer Aspekte seiner internationalen Wirksamkeit etwas zum Positiven gewandelt hatte. Solche anderen Blickwinkel wurden zuletzt eher in Aufsatzform unter die Lupe genommen. So verhält es sich auch mit dem hier zu besprechenden Sammelband, der zehn Beiträge einer portugiesischen Tagung von 2019 in englischer Sprache enthält. Thematisiert werden das Verhältnis des Völkerbunds zu anderen internationalen Organisationen, Einzelleistungen seiner Unterorganisationen und -kommissionen sowie Fragen der Beziehungen einzelner Staaten zum Bund.
Die beiden Beiträge der ersten Sektion widmen sich bereits vor Kriegsende existierenden nichtstaatlichen Organisationen. Philippe Rygiel schildert die durchaus kritische Perspektive des Institut de Droit international, einer 1873 von Völker- und Privatrechtsgelehrten gegründeten internationalen Vereinigung; sie bemängelte, dass der Völkerbund nicht wirklich international, sondern ganz überwiegend europäisch orientiert sei, nicht ein Bund der Völker, sondern der Staaten und schließlich eine Politikveranstaltung und keine des Rechts sei. Rebecca Shriver untersucht die Haltung der 1915 ins Leben gerufenen Women's International League for Peace and Freedom. Anfangs betrachtete die Organisation den Völkerbund durchaus positiv, weil sie ihn für das richtige Instrument hielt, um den internationalen Frieden zu gewährleisten. Aber die wachsende Skepsis im Verlauf der 1920er Jahre ging in eine kontrovers geführte Diskussion über, ob eine europäische Föderation nicht das bessere Instrument wäre; hierin wurde aber bis 1933 keine Einigkeit erzielt, und dann hatte sie sich erledigt.
In der zweiten Sektion sind drei Beiträge versammelt, die sich mit der Frage der Mitgliedschaften im Völkerbund befassen. Dolf-Alexander Neuhaus betrachtet, wie Korea, damals japanische Kolonie, vergeblich darauf hoffte, dass unter dem proklamierten Selbstbestimmungsrecht auch seine Entkolonialisierung auf der Pariser Friedenskonferenz und damit die Aufnahme in den Völkerbund erfolgen würden; aber hier wie in der Folgezeit bis 1933 (und dem japanischen Austritt aus dem Völkerbund) wurde die Hoffnung enttäuscht. Thomas Gidney schildert die nicht leicht nachvollziehbare unterschiedliche Behandlung von Teilen des britischen Empires: Die "alten" Dominions wurden Mitgliedsländer in Genf, und selbst Indien wurde dieser Status zugesprochen, auch wenn dessen Vertreter für die Völkerbundsversammlungen vom Staatssekretär für Indien ausgesucht wurden. Ägypten wurde die Mitgliedschaft nicht zugestanden, während 1922 der Irische Freistaat, formal nun ein Dominion, Mitglied wurde, wodurch übrigens die Nationalbewegung in Irland eine gewisse Spaltung erfuhr. Das britische Insistieren auf den verschiedenen Mitgliedschaften erinnert ein wenig an die Gründung der Vereinten Nationen, als die Sowjetunion auch die Ukraine und Belarus als Mitglieder durchsetzte, um die Stimmenverhältnisse in der Vollversammlung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Anschließend beschreiben Jesús Bermejo Roldán und Quintino Lopes die Bemühungen Portugals, einen Sitz im Völkerbundsrat zu ergattern, also jenem Gremium, das gegenüber der Versammlung einen weit höheren Stellenwert hatte und neben ständigen Sitzen (der Großmächte) auch gewählte und nichtständige Mitglieder kannte. Aber seine wirtschaftliche Instabilität brachte Portugal nicht ausreichend viele Stimmen ein, und selbst der traditionelle Verbündete Großbritannien verweigerte vorerst die Unterstützung, so dass Portugal vorübergehend Anschluss an einen der Blöcke, in seinem Fall des iberisch-südamerikanischen, suchte. Auch darin hatte es keinen Erfolg, bis 1933 nach der Etablierung des Estado novo unter António de Oliveira Salazar und der damit einhergehenden finanziellen Stabilisierung die Wahl Portugals in den Völkerbundrat erfolgte - in einen zu dieser Zeit aber sichtlich schon im Niedergang befindlichen Völkerbund.
Die dritte Sektion mit zwei Aufsätzen betrachtet zwei sehr unterschiedliche Aspekte. Zum einen schildert David Ekbladh unter der bezeichnenden Überschrift "Plowshars into swords", wie nach 1933 verschiedenste Abteilungen und Kommissionen des Völkerbunds ihr Selbstverständnis wandelten und mehr und mehr ihre Arbeit in den Dienst der Verteidigung der liberalen Welt stellten. Davon profitierten insbesondere auch die USA, die trotz ihrer formellen Abwesenheit in Genf inzwischen vielfach mit den technisch und wirtschaftlich relevanten Einrichtungen des Völkerbunds verbunden waren. Zum anderen betrachtet Beert Van Goethem mit der International Labour Organization (ILO) die langlebigste Unterorganisation des Völkerbundes. Sie war 1919 nach Forderungen der internationalen Gewerkschaftsbewegung gegründet worden, aus der Überzeugung, dass nationale und internationale Ungleichheit Kriegsgründe bieten würde. Die Mitgliedsstaaten verpflichteten sich schon in der Satzung als Teil des Versailler Vertrags, "angemessene und menschliche Arbeitsbedingungen für Männer, Frauen und Kinder zu schaffen und aufrechtzuerhalten". Anfänglich war die ILO recht wirksam in ihrem Bemühen, Regierungsvertreter, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen an einen Tisch zu bringen. In der Agonie des Völkerbunds während des Zweiten Weltkriegs und in der Gründungsphase der UN blieb sie zwar eine von deren Sonderorganisationen, trat aber in ihrer Bedeutung gegenüber der zentralen Aufgabe der Vereinten Nationen, nämlich den Frieden zu wahren, deutlich zurück.
Die vierte und abschließende Sektion befasst sich in drei Aufsätzen mit weiteren Unterorganisationen des Völkerbundes. Arne Gellrich und Erik Koenen beschreiben dessen Informationsabteilung. Sie entstand fast experimentell als integraler Teil des Sekretariats, wie in den Anfangsjahren vieles im Völkerbund eher improvisierend gestaltet wurde. Die Autoren betrachten die Personalakten der führenden und teilweise sehr lange dienenden Mitglieder und kommen zu dem Schluss, dass deren nationale Herkunft wesentlich für ihre Kommunikationskanäle war. Martin Bemmann schildert, wie der Völkerbund nach und nach zum Vorreiter der Weltwirtschaftsstatistik wurde. Solche Statistik hatte bereits im 19. Jahrhundert vielfältige Vorläufer. Ihren Ergebnissen mangelte es allerdings an übergeordneten Standards und damit an der Vergleichbarkeit der Daten. Hier setzte die Arbeit der entsprechenden Abteilung des Völkerbunds an, und ihr gelang es, solche Standards und Normen zu entwickeln. Hinzu kam, dass sie sich auch der damals modernen technischen Hilfsmittel bediente, um der Informationsflut Herr zu werden. Schließlich geht Sara Ercolani dem Kampf des Völkerbunds gegen Frauen- und Kinderhandel nach, der über die Grenzen hinweg oft in die Prostitution führte. Auch hier hatte es seit dem 19. Jahrhundert Vorläuferorganisationen in Form von Freiwilligen-Vereinen gegeben; sie hatten sich bereits 1889 international organisiert und schafften es noch vor dem Ersten Weltkrieg auf Kongressen, die mit Staatsvertretern beschickt waren, Konventionen als Grundlage für staatliche Gesetze auf den Weg zu bringen. Der Völkerbund erbte gewissermaßen die betreffende Aufgabe, und es gelang ihm, 1921 und in den Folgejahren von seinen Mitgliedsstaaten Konventionen verabschieden zu lassen.
Die Mehrzahl der Beiträge ist gelungen, zumal sie neben der Literatur aus Archivalien erarbeitet sind. Allerdings zeigt schon die Skizzierung der Inhalte: Es gibt neben dem Völkerbund keinen überwölbenden Zusammenhang der Aufsätze und kaum Bezüge untereinander, anders als das "overlapping" im Titel suggeriert. Es handelt sich vielmehr um die Bearbeitung recht isolierter Einzelaspekte. Folglich haben die Herausgeberinnen neben einer Einleitung, die die Aufsätze in Abstracts vorstellt, auch auf eine Zusammenfassung verzichtet.
Wolfgang Elz