Rezension über:

Reginald of Durham: The Life and Miracles of Saint Godric, Hermit of Finchale. Edited and Translated by Margaret Coombe (= Oxford Medieval Texts), Oxford: Oxford University Press 2022, CXVI + 940 S., ISBN 978-0-19-964179-6, GBP 165,00
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Rezension von:
Ralf Lützelschwab
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Lützelschwab: Rezension von: Reginald of Durham: The Life and Miracles of Saint Godric, Hermit of Finchale. Edited and Translated by Margaret Coombe, Oxford: Oxford University Press 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 4 [15.04.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/04/37169.html


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Reginald of Durham: The Life and Miracles of Saint Godric, Hermit of Finchale

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Die Vita Godrics von Finchale (Vita Sancti Godrici) gehört zu den herausragenden hagiographischen Quellen des 12. Jahrhunderts. Der Forschung war sie durchaus bekannt, wurde bisher aber fast ausschließlich in Hinblick auf die darin beschriebenen Aspekte materieller Kultur ausgewertet. Aufgrund der Komplexität des Stils und der partiellen "Dunkelheit" der Sprache blieb dies aber nur eine Episode. Bereits 1845 hatte Joseph Stevenson für die Surtees Society die lateinische Edition vorgelegt - sprachlich durchaus zuverlässig, wenn auch nicht ganz den heutigen editorischen Standards entsprechend. [1] Nach 180 Jahren bestand die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Revision nicht zuletzt deshalb, weil in diesem Zeitraum zusätzliche Handschriften der Vita und damit verbundenes hagiographisches Material zu Tage gefördert werden konnten.

Die Bedeutung der Vita liege, so die Editorin Margaret Coombe durchaus treffend, "in its piercing criticisms of, and its allegiances to, contemporary figures, ingeniously enclosed within a hagiographical framework" (XXVI). In einer umfangreichen, über 100 Seiten umfassenden Einleitung wird nicht nur auf die Person Godrics und Reginalds und den historisch-religiösen Kontext, in dem sie sich bewegten, eingegangen, sondern auch auf das "Nachleben" des (niemals offiziell kanonisierten) Heiligen und auf die Handschriften, die seine Vita überliefern.

Über Reginald von Durham ist über die Tatsache hinaus, dass er Godrics Biograph war und als Benediktinermönch in Durham lebte, nur wenig bekannt. Aufgrund eines Eintrags im Liber Vitae ist ein Eintritt in das Priorat Durham Mitte/Ende der 1140er Jahre wahrscheinlich. Seine Verfasserschaft für immerhin drei Werke gilt als gesichert. Neben der Vita S. Godrici ist dies ein Libellus Cuthberti und eine Vita S. Oswaldi. Die vorliegende Vita verdankt sich eigenen Erlebnissen Reginalds mit Godric. Dieser hatte rund 60 Jahre in einer Einsiedelei in Finchale, drei Meilen außerhalb von Durham auf bischöflichem Jagdgrund gelegen, verbracht. Die Mönche von Durham trugen für das körperliche Wohlergehen des in seinen letzten Lebensjahren immer schwächer werdenden Einsiedlers Sorge. Reginald gehörte zum Kreis derer, die um und mit Godric lebten, der zum Zeitpunkt seines Todes am 21. Mai 1170 ein sehr alter Mann gewesen sein muss.

Reginalds rund 140.000 Worte umfassende, ausgesprochen opulent geratene und dem von 1153-1195 als Bischof von Durham amtierenden Hugh du Puiset gewidmete Vita ist nicht nur für den engeren Kreis der Hagiographieexperten, sondern auch für all diejenigen Historiker von Interesse, die sich mit der Geschichte Englands und Northumberlands beschäftigen. Immer wieder werden Ereignisse von lokaler und nationaler Bedeutung beschrieben, begleitet von einer Fülle klar identifizierbarer Namen und Orte. So gibt die Vita Einblick in das Durham des 12. Jahrhunderts, ein mächtiges Bistum, das über ein außergewöhnliches Maß an Unabhängigkeit verfügte. Der Vita beigefügt sind 240 posthume Wunder, die sich an Godrics Grab ereignet haben sollen. Sie ist damit die zweitumfangreichste Mirakelsammlung nach derjenigen des 1170 ermordeten Hl. Thomas Becket.

Die Verehrung Godrics präsentiert sich eher unspektakulär und scheint (wenige Ausnahmen bestätigen die Regel) mehr oder weniger auf Durham und Nordengland beschränkt (vgl. zur Herkunft der in den Mirakeln genannten Pilger die Liste im Appendix 1, 879-885). Nutznießer der von Godric bewirkten Wunder scheinen vor allem Frauen gewesen zu sein: Von 243 geheilten Pilgern waren 164 (67,5%) weiblichen Geschlechts. Diese "Affinität" zu Frauen steht in starkem Kontrast zum Hl. Cuthbert, der an seinem Schrein in der Kathedrale von Durham keine Frauen duldete.

Die Vita, entstanden im Zeitraum zwischen 1161 und 1181, ist heute noch in einer Handschrift, entstanden Ende des 12. Jahrhunderts in Durham, überliefert (Oxford, Bodleian Library, MS Laud Misc. 413). In den beiden Bibliothekskatalogen der Kathedralbibliothek Durham von 1391 und 1416 ist sie nachweisbar, und einige ex libris zeigen, dass der Band bis ins 16. Jahrhundert hinein Durham wohl nicht verließ. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wurde die Handschrift 1633 William Laud als Geschenk zu seiner Ernennung zum Erzbischof von Canterbury überreicht. Aus dem Privatbesitz Lauds gelangte sie durch Schenkung an die Bodleian Library.

Sicher: Die Chronologie Reginalds ist streckenweise inkonsistent, der Stil uneinheitlich und inhaltlich lagert sich das Wunderbare immer wieder an harte, nachprüfbare Fakten an. Aus den Ausführungen Coombes wird deutlich, dass in der Vita S. Godrici nicht nur eine Person in der 1. Person Singular spricht, sondern sich mehrere auktoriale Stimmen identifizieren lassen. Wahrscheinlich ist, dass die Vita S. Godrici von zwei Personen nahezu zeitgleich, vom jeweils eigenen Standpunkt aus, entworfen worden sein muss, was dann die Rede in der 1. Person Singular innerhalb des Textes durch mindestens zwei unterschiedliche Stimmen und die daraus resultierenden offensichtlichen Wiederholungen verständlich werden ließe. Daran, dass Reginald als "Hauptautor" fungierte, besteht freilich keinerlei Zweifel.

Reginalds Prosa ist zwar nicht als "provincial and narrow" (XLV) zu charakterisieren (Coombe wendet sich zu Recht explizit gegen dieses Verdikt einiger Historiker), doch eines wird nach jeder noch so oberflächlichen Lektüre deutlich: Sein Stil beruht sehr viel stärker auf der Sprache der Psalmen als auf der Rhetorik klassisch-antiker Autoren. Für ihn zählen Rhythmus und Reim - und so scheint die Bemerkung, Reginald sei "perhaps more of a musicologist than a chronicler" (XLVII) gewesen, durchaus treffend. Dies gilt insbesondere für die Vorworte, in denen Reginald die Ebene des anspruchslosen stilus simplex hinter sich lässt und ein Arsenal an colores rhetorici in Stellung bringt, das dem unmittelbaren Verständnis nicht in jedem Fall förderlich ist. In Verbindung mit einem Hang zur Verwendung von Gerundien, Präsenspartizipien und der Freude daran, für irreguläre Verben eigene Vergangenheitsformen zu kreieren, entsteht so streckenweise eine Prosa, die sehr viel mehr auf Euphonie denn auf inhaltliche Stringenz und klare Gedankenführung setzt.

Die vorliegende Edition beruht auf der Transkription des codex unicus "with minimal editorial alteration" (CXIII). Die Kapitelnummerierung, Incipits, Explicits, Rubriken folgen ebenso wie Personen- und Ortsnamen der Vorlage, "since these owe much to the manner in which they would have been pronounced to the scribe at the shrine and can perhaps be of use to students of Northumbrian names and dialect" (CXIV). Das (zurückhaltende) Einfügen moderner Interpunktion fördert das Verständnis ungemein. Dies gilt unbedingt auch für die Übersetzung, die sowohl einen genauen und trotzdem lesbaren Text liefert, als auch der Vorgabe gerecht wird, tatsächlich für jedes lateinische Wort ein englisches Äquivalent zu finden. Nicht immer ließ sich diese innerhalb der Oxford Medieval Texts gepflegte Praxis durchhalten, schon gar nicht dort, "where a double meaning was intended by Reginald" (CXIV). Daraus resultierende strittige Übersetzungen werden in den Fußnoten erläutert, so etwa, wenn mit Blick auf die früheren Handelsreisen Godrics vor seiner eremitischen Existenz davon die Rede ist, er habe sich "sepius de Britannia in Scotiam" begeben. Die Übersetzung wartet hier mit einem "frequently travelling to and fro between Brittany and Scotland" auf (57) und begründet dies völlig korrekt damit, dass die Bretagne häufiger auch als Britannia in den Quellen erscheine.

Weshalb auf die Erstellung von Indices verzichtet wurde, wird nicht recht ersichtlich, schon gar nicht vor dem Hintergrund zweier Verweise im Vorwort auf die Bedeutung der Vita als Fundgrube für Themen der materiellen (und spirituellen) Kultur. Dieser kleine Wermutstropfen schmälert aber in nichts die Bedeutung dieser Neuedition samt Übersetzung, die ihre Bedeutung für lange Zeit hin behalten dürfte.


Anmerkung:

[1] Reginald of Durham: Libellus de Vita et Miraculis Sancti Godrici, Heremite de Finchale, auctore Reginaldo Monacho Dunelmensi (Surtees Society, 20), ed. Joseph Stevenson, London 1845.

Ralf Lützelschwab