Rezension über:

Nicole Bériou / Christoph T. Maier (eds.): Philip the Chancellor and Eudes of Châteauroux. Nine Sermons on Crusade and Heresy, 1226-1231 (= Oxford Medieval Texts), Oxford: Oxford University Press 2024, LXXXV + 201 S., ISBN 978-0-19-892139-4, GBP 130,00
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Rezension von:
Ralf Lützelschwab
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Lützelschwab: Rezension von: Nicole Bériou / Christoph T. Maier (eds.): Philip the Chancellor and Eudes of Châteauroux. Nine Sermons on Crusade and Heresy, 1226-1231, Oxford: Oxford University Press 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 11 [15.11.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/11/39886.html


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Nicole Bériou / Christoph T. Maier (eds.): Philip the Chancellor and Eudes of Châteauroux

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Innerhalb der deutschen Wissenschaftslandschaft sind Predigten Teil einer unterschätzten Gattung. Noch immer ist nur ein Bruchteil der nach Hunderttausenden zählenden Sermones erschlossen. Sie harren, verborgen in europäischen Bibliotheken, nach wie vor einer Breiten- und Tiefenerschließung, die diesen Namen verdient. Zwar ist das Wirken der "Medieval Sermon Studies Society" mit ihrer Fachzeitschrift (Medieval Sermon Studies) nicht hoch genug zu rühmen, doch handelt es sich dabei "nur" um einen internationalen Zusammenschluss von rund 200 an der Thematik interessierten Personen, die in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl von Projekten angestoßen und zum Abschluss gebracht haben. Was fehlt, sind ausfinanzierte Langzeitprojekte, deren Ziel darin bestehen müsste, die Quellenbasis zu erweitern, denen mit anderen Worten - horribile dictu - daran gelegen sein sollte, (lateinische) Quellencorpora zu erschließen und in (kritischen) Editionen zugänglich zu machen. Die wissenschaftspolitische Großwetterlage ist, wie sie ist. In Zeiten rasant schwindender Lateinkenntnisse, in denen solide philologische Kenntnisse durch "fresh looks" auf die immer gleichen, möglichst in Übersetzung vorliegenden Quellen ersetzt zu werden drohen, ist die vorliegende Edition von neun Predigten, die sich thematisch mit dem Kreuzzug gegen die Albigenser in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts auseinandersetzen, nur zu begrüßen.

Acht Predigten stammen von Philip dem Kanzler (1160/1185-1236), ein Sermo von Eudes de Châteauroux (c. 1190-1273). Beide gehörten zu den bekanntesten Predigern ihrer Zeit und hinterließen umfangreiche Predigtcorpora. In Philips Fall sind dies ca. 600 Texte. Eudes werden gar mehr als 1100 Predigten zugeschrieben. Lediglich fünf von Philips Sermones sind thematisch im Umfeld des Albigenserkreuzzugs 1226 zu verorten. Drei lassen sich auf Ende Januar/Anfang Februar datieren, auf eine Zeit also, in der Verhandlungen zwischen Ludwig VIII. und dem französischen Klerus über die Finanzierung des geplanten Kreuzzugs stattfanden. Eine weitere Predigt wurde in Bourges am 17. Mai 1226 kurz vor dem Aufbruch der vom König angeführten Kreuzfahrer gehalten. Am 21. August 1226 folgte anlässlich einer Prozession in St. Victor in Paris ein Sermo, in dem göttlicher Beistand auf ein Heer herabgerufen wurde, das dabei war, Avignon zu belagern. Eudes, einer der Nachfolger Philips als Kanzler der Pariser Universität, nutzte seine Predigt zur Anwerbung von Kreuzfahrern für den Albigenserkreuzzug 1226.

In einer umfangreichen Einleitung werden nicht nur die beiden Predigerpersönlichkeiten knapp vorgestellt, sondern es wird auch das Phänomen der gegen Häresien in Europa gerichteten Kreuzzüge kompetent erläutert. Im Languedoc hatte das Papsttum bereits in den letzten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts immer wieder versucht, den breit um sich greifenden häretischen Bewegungen Herr zu werden. Mittel der Wahl waren zunächst Zisterzienserprediger, deren sermoniale Fähigkeiten sich jedoch in engen Grenzen hielten. Auf Unterstützung vor Ort konnten sie nicht immer zählen: die Grafen von Toulouse, Lehnsherren des französischen Königs, lavierten zwischen den Fronten, wenn sie nicht gar offen (wie bei Raymond VI. der Fall) die Oppositionsbewegung unterstützten, der sehr schnell das Etikett "häretisch" angeheftet wurde. "Häretiker" prangerten Missstände innerhalb der Kirche an (im Grunde stand dabei die Mischung aus Simonie und klerikalem Machtmissbrauch zur Debatte, mit der sich auch die großen Konzilien von 1179 und 1215 befassten), wilderten aber auch auf dogmatischem Terrain und zogen dabei einige der zentralen Lehrsätze der Kirche massiv in Zweifel.

Innocenz III. ging das Problem im Languedoc systematischer als seine Vorgänger an. Erfolgreich war seine bischöfliche Ernennungspolitik, durch die er zum Kampf gegen häretische Bewegungen entschlossene Männer ins Amt brachte, am prominentesten wohl den 1206 zum Bischof von Toulouse ernannten Fulko. Doch diese Politik brauchte Zeit - Zeit, die man nicht hatte. 1207 wurde Raymond VI. von Toulouse exkommuniziert, ein Jahr später der päpstliche Legat Peter von Castelnau ermordet. Der Papst setzte sich ins Einvernehmen mit dem englischen und französischen Herrscher und verkündete 1208 offiziell einen Kreuzzug gegen die Albigenser, in dem sich letzterer nur widerwillig engagierte. Offizieller Führer der sporadisch stattfindenden Kampagnen war Simon de Montfort. Erst Ludwig VIII. sollte sich 1226 unumschränkt den Absichten und Zielen verschreiben und aktiv am Kreuzzug teilnehmen. Von Anbeginn an problematisch war die Tatsache, dass die Teilnehmer am Kreuzzug nur 40 Tage lang anwesend sein mussten, um den versprochenen Plenarablass zu erhalten. An eine professionelle Verstetigung der Kampfhandlungen war unter dieser Prämisse kaum zu denken. Die Erfolge waren deshalb wenig mehr als "isolated military victories" (xxi). Offiziell endete der Kreuzzug 1229 im Frieden von Paris.

Die edierten Sermones folgen der Chronologie - vom 18. Januar 1226 bis zu 21. Mai 1231. Der Präsenz von Merkmalen der gesprochenen Sprache wird dabei besondere Beachtung geschenkt. Damit wird ein methodischer Dauerbrenner innerhalb der Predigtforschung verhandelt: das Verhältnis von real gehaltener und post festum verschriftlichter Predigt (xxxvii-lxxiii), ein Verhältnis, das "never straightforward" (xxxvii) ist. Predigten, die in ihrer schriftlichen Form auf konkret gehaltene Predigten zurückgehen, sollten nicht als "historical records" missverstanden werden, dienten sie doch hauptsächlich als Inspirationsmaterial für andere Prediger. Sie durchliefen im Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit einen (mitunter) grundlegenden Wandel, wurden gekürzt bzw. um Passagen erweitert; nicht zuletzt auch mit der Absicht, Texte reicher, stringenter und rezeptionsfähiger zu machen.

Die Autoren machen auf besondere Charakteristika bei den edierten Predigten aufmerksam und suchen nach Oralitäts- bzw. Verschriftlichungsmarkern. Zu ersteren gehören direkte Anreden an das Publikum, Verweise auf konkrete, historisch belegbare Predigtanlässe oder auf die rhetorische Struktur der entfalteten Argumente. Eine Diskussion von Struktur und Inhalt der neun Predigten findet sich xvl-lxxii, gegliedert (in absteigender Ordnung) nach der Nähe zur gesprochenen Version der Predigt - beginnend mit dem Sermo Philips des Kanzlers in St. Victor (21. August 1226), endend mit seiner vor Ludwig VIII. und den Kreuzfahrern in Bourges am 17. Mai 1226 gehaltenen Predigt, deren Inhalt fast jeden Bezug zum konkreten Ereignis vermissen lässt und so in den Rubriken einiger Handschriften völlig nachvollziehbar auch als Musterpredigt für das Fest der Kreuzerhöhung erscheint.

Sechs Predigten Philips haben sich in zwei Handschriften aus Avranches (Bibliothèque municipale 132) und Troyes (Médiathèque 1099) erhalten, eine weitere stammt aus einer Pariser reportationes-Handschrift (BnF, nouv. acq. lat. 338). Die von Eudes de Châteauroux stammende Predigt ist in zwei Handschriften aus Arras (Bibliothèque municipale 876) und Orléans (Médiathèque 203) überliefert. Bisher lagen lediglich die Predigten 1 und 7 in einer gedruckten Edition vor. [1] Der kritische lateinische Text wurde auf Grundlage jeweils beider Codices erstellt. Die Edition folgt der orthographischen Gestalt der Handschriften, Normalisierungen erfolgten mit Blick auf die Buchstaben y/i, v/u, i/j und t/c. Abkürzungen wurden durchgängig aufgelöst. Eine moderne Interpunktion erleichtert die Lektüre. Der Gliederung dienen auch Paragraphen, die den Text in thematische Sektionen unterteilen. Die Übersetzung bleibt sehr nah am lateinischen Text, was - die Editoren räumen dies selbst ein - mitunter "may sound a little artificial" (lxxxv). Leitlinie war die Nähe zum "orginal flow of the Latin text" (lxxxv).

Die neun edierten Predigten bilden eine Vielzahl historischer Situationen ab. Sie sind einerseits Zeugnisse des Austauschs zwischen Predigern und Zuhörern, schaffen andererseits aber auch eine Verbindung zwischen Klerikern, die auf ihre eigenen Erfahrungen als Prediger gegen Häresien zurückgreifen konnten, und solchen, die lediglich nach Inspiration für ihre eigenen zu haltenden Sermones suchten. Sicher, die Texte dürfen keinesfalls als exakte historische Aufzeichnungen real gehaltener Predigten missverstanden werden, doch gehören sie zu den authentischsten Zeugnissen des zeitgenössischen Diskurses der Häresiebekämpfung.

Von der zuverlässigen Edition mit ihrem profunden Kommentar werden an erster Stelle Predigt- und Kreuzzugsforscher profitieren, darüber hinaus aber auch all diejenigen, die sich mit der Politik- und Kulturgeschichte des 13. Jahrhunderts beschäftigen.


Anmerkung:

[1] Nikolaus Wicki: Die Philosophie Philipps des Kanzlers. Ein philosophischer Theologe des frühen 13. Jahrhunderts, Fribourg 2005, 181-188 (sermo 1); Marie-M. Davy: Les sermons universitaires parisiens de 1230-1231. Contribution à l'histoire de la prédication médiévale, Paris 1931, 153-160 (sermo 7).

Ralf Lützelschwab