Geschenkideen für Weihnachten

Christoph Mauntel (Tübingen/Konstanz)


Harald Jähner, Höhenrausch. Das kurze Leben zwischen den Kriegen, Berlin 2022.

Die zwanziger Jahre wurden oft erzählt - ohne dass ein Mediävist hier einen fundierten Überblick hätte, traf Harald Jähners Buch jedoch genau meinen Geschmack, denn es geht weniger um die politische Geschichte zwischen Parlamentsdebatten und Straßenschlachten. Die Hauptrollen in diesem Buch spielen vielmehr Wohnkonzepte, Frisuren, Geschlechterrollen, der herbeigesehnte heftige Straßenverkehr, die Entwicklung der Photographie und die jeweils angesagten Tänze. Die Fokussierung auf die Hauptstadt Berlin mag zwar auch diesem Buch eine Schlagseite geben, die die Repräsentativität der geschilderten Phänomene für ganz Deutschland zweifelhaft scheinen lässt, aber sogar darauf weist Jähner selbst hin. Zahlreiche Verweise auf andere Bücher sind es zweifellos Wert, einmal nachzublättern, so etwa August Sanders Bildband "Antlitz der Zeit" (1929), der versuchte, gesellschaftliche Gruppen durch scheinbar typisierte Einzelportraits photographisch festzuhalten.

Für alle Bildaffinen: Das moderne Äquivalent zu Sander Typologien wären die "Exactitudes" von Ari Versluis und Ellie Uyttenbroek (2015), die zeigen, wie absurd die Vorstellung ist, durch Kleidung Individualität ausdrücken zu wollen. Wir gruppieren uns nur.


 

Seb Falk, The Light Ages. The Surprising Story of Medieval Science, London 2020.

Kennen Sie John Westwyk? Nein? Macht nichts. Der Mönch bäuerlicher Herkunft ist der Protagonist von Seb Falks Buch über die Wissenskultur im spätmittelalterlichen England - nicht, weil man John kennen müsste (uns ist 'nur' ein astronomischer Traktat von ihm überliefert), sondern weil er für Falk der perfekte Führer durch die Welt der Wissenschaft ist. Die wenigen Dinge, die wir über John wissen, bettet Falk geschickt in ein Panorama der Wissens(schafts)welt des 14. Jahrhunderts ein: Klöster als Innovationszentren, Universitäten als Lehr- und Forschungseinrichtungen, transkulturelle Kontakte als Motoren des Wissenstransfers, Kreuzzüge als medizinische Herausforderung... Kurzum: Falk zeigt, wie eng Religiosität und Wissenschaft verbunden waren, was im 14.Jahrhundert denkbar und sagbar war, und - natürlich - dass das Mittelalter gar nicht so finster war.


 

Steve Noon (Hg.), Die Geschichte einer Straße. Eine Reise durch die Jahrtausende, München 2018.

Wer auch immer diese Idee hatte, sie ist genial und von Illustrator Steve Noon wunderbar umgesetzt: Auf 13 doppelseitigen Abbildungen sehen wir immer wieder eine Ansicht derselben Straße, allerdings zu verschiedenen Zeitpunkten. Von der Steinzeit bis in die Gegenwart entfaltet sich auf diese Weise ein Panorama des geschichtlichen Wandels der Lebens- und Wohnformen, der Architektur, des Handwerks, des Essens und vieles anderen mehr. Was als Wimmelbuch für Kinder beworben wird, ist doch viel mehr: Eine kleine, bunte Lehrstunde über Wandel und Kontinuität menschlicher Gesellschaften.


 

Laurent Binet, Eroberung, Hamburg 2020.

Für Fans kontrafaktischer Geschichte dürfte Laurent Binets Roman "Eroberung" (frz. Original: Civilizations) ein guter Tipp sein - wenn auch sicher kein geheimer mehr: Das Buch gewann in Frankreich den "Grand Prix de l‘Académie française" und wird nun auch verfilmt.

Der Roman erzählt das Scheitern der sogenannten 'europäischen Expansion': Kolumbus kehrt nie aus der 'Neuen Welt' zurück, dafür überqueren die Inka den Atlantik und erobern - Stück für Stück - Europa. Geschickt machen sie sich die politischen und religiösen Wirren zu Nutze und spielen die europäischen Parteiungen gegeneinander aus. Auch der Inka-Kult um die Sonne gewinnt zunehmend Anhängerinnen und Anhänger und als Zeichen des Triumphs bauen die Eroberer – verrückte Idee! – eine (Sonnen-)Pyramide in den Hof des Louvre in Paris.