Claus Oberhauser: Diplomatie aus dem Untergrund. Die merkwürdige Karriere des Alexander (Maurus) Horn(e) (1762-1820), Wien: Böhlau 2021, 326 S., eine s/w-Abb., ISBN 978-3-205-21438-0, EUR 55,00
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Faszinierend wirkt das Leben und Wirken des Protagonisten, eines kaum mehr bekannten Akteurs der zweiten Reihe allemal: sorgsam in vielen Archiven recherchierte Zeugnisse rastloser Geschäftigkeit, fast schon Stoff für eine Operette, jedenfalls reichlich Material bereits für zeitgenössische Verschwörungstheorien. Ebensolche kamen just im Revolutionszeitalter gerade entlang solcher Karrieren auf, Horn wurde sogar selbst "eine Skandalfigur der europäischen Diplomatie" (16). Ob derlei verständlicher gerät, wenn man einen längst cineastisch überlagerten Begriff wie "Geheimagent für die britische Krone" (19) ohne genauere Definition einsetzt, mag zu bezweifeln sein: Nicht aber, dass dieser Lebenslauf eines schottischen Benediktinermönches, der von Regensburg ausgehend insbesondere im Süden des (einstigen) Alten Reiches mit Inkunabeln sowie mit Informationen handelte, allerlei Aufschlüsse ermöglicht. Folgerichtig fragt die Einleitung vor allem nach "Informationsgewinnungsnetzwerken" (26). Was Horn eigentlich gewesen sei, ist eines von vier benannten "Problemfeldern"; ein zweites die Bedeutung seiner buchhändlerischen Aktivitäten, ein drittes Horns Verwicklung in den Tiroler Aufstand, ein viertes seine Selbststilisierung (36f.). Sicheren Stand beim Blick auf diese teils höchst diskret betriebenen Praktiken soll ein chronologischer, doch von breiter angelegten Kapiteln gestützter Aufbau schaffen.
Die Untersuchung wendet sich zunächst dem jungen Horn zu: offenkundig einer jener aufklärungsaffinen Benediktiner, die zuletzt in die Aufmerksamkeit der Forschung gelangt sind, mit kirchengeschichtlichen Neigungen. Über seine antiquarischen Interessen geriet er mitten in die politische Gegenwart, gemeinsam mit dem Grafen Görtz publizierte er im Jahre 1792 eine Geschichte der "Bewaffneten Neutralität" - und diente sich britischen Diplomaten an. Als Basis seines Wirkens baute er systematisch die bald von aufgeklärten Zeitgenossen bewunderte Bibliothek seines Klosters aus. Seine rastlosen, auch publizistischen Mühen gegen die Mediatisierung verhinderten freilich nicht, dass beide Opfer der Säkularisation wurden. Bald war Horn in eine zeitgenössische Verschwörungstheorie verwickelt. Dass er John Robison bei dessen vehementer Schrift gegen die Illuminaten aus dem Jahre 1797 als Buchzulieferer diente, "ist aufgrund mehrerer Indizien zwar plausibel, jedoch nicht erweisbar" (91). Sodann gerät die "Affäre Drake" in den Blick. Francis Drake, der britische Gesandte beim Regensburger Reichstag und in Bayern, war in weitreichende Pläne eines Aufstandes gegen Napoleon involviert, mit ihm wiederum in nicht genau zu rekonstruierender Weise eben auch Horn - dessen Profilierungsversuche nach einem "Leben im Untergrund in völliger Abgeschiedenheit unter ungeklärten rechtlichen Voraussetzungen" (114) im April 1806 zur Aufnahme in den diplomatischen Dienst Großbritanniens führten.
Auch im Weiteren erhascht der Leser spannende Blicke auf Horn und seine rastlosen Aktivitäten, die zwischen Diplomatie und Spionage changieren. Dabei gab sich das Foreign Office mit dem, was es als von Horn wiedergegebene Gerüchte auffasste, keineswegs zufrieden, sondern verlangte nach belastbareren Informationen (126f.). Überaus emsig verstand Horn seine bewährten Kontakte einzusetzen - etwa zu den Thurn und Taxis, deren Streben nach Protektion der britischen Krone er durch seine Fürsprache unterstützte (133). Deutlich wird, wie er "als Teil eines entstehenden Geheimdiensts operierte: Horn hatte die Aufgabe die öffentliche Meinung in seinen Jahren in Regensburg zu beeinflussen" (141). Den Tiroler Aufstand betrieb er gerade durch die insgesamt nicht genau zu rekonstruierende, aber in Gestalt einzelner Zahlungsverfügen klar nachweisbare Verteilung britischer Subsidien mit. Hier wehrten sich in seiner Vorstellung fromme Naturbuschen aus den Bergen gegen gottlose Revolutionäre (143f.). Es liegt wohl in der Natur der Quellen, dass dabei "lediglich ein rudimentäres Bild von Horns möglicher Einmischung" entstehen kann (158).
Rund um das Projekt eines antinapoleonischen Alpenbundes um Erzherzog Johann, das Metternich im Jahre 1813 kassierte, lassen sich ebenfalls Horns Spuren feststellen - immerhin "eher eine tragende Nebenrolle" (186), allerdings mit fatalen Konsequenzen: "Seine Indiskretionen hatten ihn ins Abseits befördert" (185), Horn wurde aus Österreich verwiesen. Schon im Jahre 1812 versetzte ihn das Foreign Office in den Ruhestand, doch im Jahr darauf erhielt Horn, worauf er intensiv hingearbeitet hatte, eine Instruktion Castlereaghs für weitere Erkundigungen in Deutschland. Es war wohl eher ein Testballon, selbst die eigenen Leute reagierten misstrauisch auf den allzu rührigen Horn (189), der vielerorts Verschwörungen gegen seine Person witterte. In Regensburg agierte er eher ungeschickt, selbst die englischstämmige Königin von Württemberg empfahl einen Abzug Horns (202), der enormen Wert darauf legte, als offizieller Diplomat betrachtet zu werden statt als rühriger Geheimagent (203). Für das Foreign Office war er jedenfalls nicht länger nützlich, an den süddeutschen Höfen bald offenkundig Persona non grata: auf weitere Initiativen Horns reagierte Castlereagh nicht mit neuerlicher Anstellung oder weiteren Aufträgen, doch immerhin gewährte er Auslagenersatz und eine Pension (207).
In einem eigenständigen, englischsprachigen Kapitel legt Eric Marshall White dar, worin Horn sich nunmehr wieder betätigte: im Handel alter Drucke. Mit großem Geschick hatte er einst die Bibliothek seines Klosters gepflegt und durch den Erwerb zahlreicher Inkunabeln erweitert. Durch kundige Tauschgeschäfte gelangte er an begehrte Erstausgaben, Kontakte mit Durchreisenden und Korrespondenzen bis hin nach Frankreich setzte er offenkundig derart klug ein, dass er bald zum weithin bekannten Makler wurde. Britischen Interessenten wie dem Earl Spencer verschaffte er ersehnte Raritäten wie eine Gutenberg-Bibel; die Sonderkonjunktur durch die Auflösung von Klosterbibliotheken im Zuge der Säkularisation wusste Horn zu nutzen - sogar mit Direktmarketing per Zeitungsinserat (229). Er blieb bis ans Ende seines Lebens im Geschäft, im Jahre 1813 vermittelte er eine weitere Gutenberg-Bibel aus Prag, die sich mittlerweile in Kalifornien befindet (231); die letzte belegte Transaktion betraf einen Cicero-Druck aus dem Jahre 1466.
Auch mit diesem Metier indes geriet Horn in polemische Kritik. Damit lautet das Fazit an, das ihn geradezu als Anti-Diplomaten zeigt: jedenfalls insofern, als Diskretion nicht die bevorzugte Praxis Horns war, der vielmehr "mit vielen über vieles" redete und daraus seine Erfolge erzielte (239) - indes wohl auch seine Misserfolge. Als wesentliche Faktoren seiner Karriere gelten hier seine deutschen Sprachkenntnisse, das Prestige der Regensburger Benediktiner und eben seine weitreichende Vernetzung aus Mönchtum, Buchhandel und Politik. So habe er zu einem "Diplomaten im Untergrund" werden können, einerseits ein "Aufschneider", andererseits ein eifriger Gewinner von Informationen (241).
Dem Resümee folgt eine Edition klug ausgewählter Ego-Dokumente. Horns Autobiographie aus dem Jahre 1810 und weitere kleinere Texte belegen unter anderem, wie sehr er sich selbst als uneigennütziger Streiter in einem "War of Opinion" (255) sah: einer der zahlreichen Kontexte, deren Erwähnung zu den Verdiensten dieser einfühlsamen Biographie eines weithin Vergessenen zählt.
Georg Eckert