The Chronicle of Constantine Manasses. Translated with Commentary and Introduction by Linda Yuretich (= Translated Texts for Byzantinists; Vol. 6), Liverpool: Liverpool University Press 2018, xvii + 320 S., ISBN 978-1-78694-151-0, GBP 95,00
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Konstantinos Manasses Verschronik. Übersetzt, kommentiert und mit einer Einleitung versehen von Anneliese Paul und Andreas Rhoby (= Bibliothek der griechischen Literatur; Bd. 87), Stuttgart: Anton Hiersemann 2019, XIII + 338 S., ISBN 978-3-7772-1902-8, EUR 164,00
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Nachdem die Verschronik von Konstantin Manasses durch die Forschung lange Zeit nur am Rande berücksichtigt wurde, liegen nun zwei kurz hintereinander publizierte Übersetzungen in bekannten Reihen vor: Linda Yuretich hat für die "Translated texts for Byzantinists" eine englische (auf ihre Masterarbeit von 1988 zurückgehende), Anneliese Paul und Andreas Rhoby für die "Bibliothek der griechischen Literatur" eine deutsche Übertragung vorgelegt.
Zunächst ein paar Worte zum vermutlich nur Wenigen näher bekannten Autor und seinem Werk: Geboren wurde er wohl zwischen 1115 und 1120 und starb nach 1175. Neben seiner Tätigkeit als Rhetoriklehrer, im Rahmen derer er einige Lehrstücke produzierte, war er vor allem Auftragsautor für das Kaiserhaus und die Aristokratie, für die er mehrere Reden, Gedichte und Kunstbeschreibungen sowie einen Roman schrieb, zudem verfasste er eine Beschreibung seiner Reise nach Jerusalem. Der hier übersetzte Text ist seine wohl zwischen 1140 und 1153 entstandene und der Sebastokratorissa Irene gewidmete Verschronik, in der die Geschichte von der Entstehung der Welt bis zum Herrschaftsantritt der Komnenoi 1081 nach größtenteils erhaltenen Quellen (genannt seien das Alte Testament, Herodot, Dionysios von Halikarnassos, Malalas, Johannes Antiochenus, Georgios Monachos, Kedrenos, Zonaras sowie eine mit Skutariotes gemeinsame Quelle) behandelt ist. Die Beliebtheit des Textes, bei dem es sich um die erste nachweisbare Verschronik der byzantinischen Literatur handelt, wird in der Folgezeit durch die große Zahl der Handschriften (über hundert), mehrere Benutzer (darunter Glykas und Planudes) und daran anknüpfende Werke (eine anonyme Fortsetzung und eine Prosaparaphrase, die teilweise ebenfalls fortgesetzt wurde) sowie die vormodernen Übersetzungen, von denen die nach 1331 entstandene mittelbulgarische die prominenteste ist, bezeugt.
Die Bedeutung dieser Chronik für byzantinistische Fragestellungen ist selbsterklärend, aber auch für die Altertumswissenschaft ist sie nicht ganz ohne Wert: Als historische Quelle ist sie weitgehend unergiebig, da die meisten Informationen in anderen Werken ausführlicher und besser überliefert sind und das gebotene Sondergut meist von geringer Zuverlässigkeit ist. Überlieferungsgeschichtlich bietet sie als zusätzlicher Zeuge für ihre Vorlagen eine gewisse Ergänzung, auch wenn sie gerade in dem Fall, wo sie einen wesentlichen Beitrag leisten könnte (die Lücke bei Malalas für das dritte Jahrhundert), versagt, da auch Manasses die Kaiser von Macrinus bis Carinus auslässt. Den größten Wert hat sie für Aspekte der Rezeptionsgeschichte (siehe etwa die Bezeichnung des Kaisers Michael III. als zweiter Nero in Vers 4955), zumal sie als positiv aufgenommene Auftragsarbeit und Anreger für spätere Werke gleichermaßen als repräsentativ für ihre Zeit wie maßgebend für die literarischen Vorlieben der Folgezeit gelten kann (was wiederum Rückschlüsse auf Fragen der Überlieferung zulässt). Vor allem eine Untersuchung des anekdotischen Materials mit Blick auf die Veränderungen gegenüber den Vorlagen dürfte sich als ergiebig erweisen.
Im grundlegenden Aufbau sind sich Yuretich und Paul / Rhoby ähnlich: Ausführliche Einleitungen (Yuretich 1-19, Paul / Rhoby 1-61) informieren über Autor und Werk, daraufhin folgt die Übersetzung (Yuretich 21-262, Paul / Rhoby 63-264) als umfangreichster und wichtigster Teil der Bände, wobei in beiden Fällen kein Originaltext geboten wird und sich der Kommentar auf erklärende Anmerkungen beschränkt, die bei Yuretich als Fußnoten unter dem Text stehen, wohingegen Paul / Rhoby sie dem Text folgen lässt (265-326). Zum Schluss folgen Register (Yuretich 274-320, Paul / Rhoby 327-338). Die Literaturliste ist bei Yuretich dazwischen angeordnet (263-271), während sie bei Paul / Rhoby über das Abkürzungsverzeichnis (IX-XIV) sowie über die Anmerkungen der Einleitung zu erfassen ist.
Den Ähnlichkeiten im Aufbau stehen aber wesentliche Unterschiede in teilweise zentralen Punkten gegenüber, so dass keiner der beiden Ausgaben definitiv der Vorzug gegeben werden kann. Ein erster Aspekt betrifft die Einleitungen: Wie schon die Seitenangaben (Yuretich 1-19, Paul / Rhoby 1-61) zeigen, ist Paul / Rhoby deutlich ausführlicher, was sich meistens als Vorteil erweist. In Bezug auf die Vita des Manasses (Yuretich 1-3, Paul / Rhoby 4-7) stimmen beide Kapitel in den gebotenen Informationen weitgehend überein und gehen nicht wesentlich über das jeweils andere hinaus. Ähnlich ist es in dem Kapitel zu den Quellen (Yuretich 8-9, Paul / Rhoby 9-12), wobei Yuretich hier zu einer größeren Vorsicht neigt, Werke als direkte Vorlagen anzunehmen, sowie in dem zum Stil (Yuretich 9-10, Paul / Rhoby 47-51) und der Zusammenfassung (Yuretich 17, Paul / Rhoby 57-58). Bei der Frage der Entstehungszeit (Yuretich 3, Paul / Rhoby 7-9) geht Paul / Rhoby in der Genauigkeit der Diskussion und der Verarbeitung der Literatur deutlich über Yuretich hinaus. Das ist auch bei der Behandlung des Inhalts der Chronik (Yuretich 7, Paul / Rhoby 14-37) der Fall, wobei hier aber von Paul / Rhoby stellenweise mehr als notwendig geboten wird. Umgekehrt sind die Ausführungen von Yuretich zur Wirkungsgeschichte des Manasses (Yuretich 4-6 und 10-17, Paul / Rhoby 51-57), insbesondere zur mittelbulgarischen Übersetzung, detaillierter. Nicht oder nur am Rande bei Yuretich behandelt sind folgende bei Paul / Rhoby mit einem eigenen Abschnitt gewürdigte Themen: Die frühneuzeitliche Forschungsgeschichte (1-3), das Sprecher-Ich in der Verschronik (12-14), die zentralen Motive darin (37-46). Außerdem werden die drei Buchepigramme zu Manasses in deutscher Übersetzung geboten (58-61).
Beide Übersetzungen (Yuretich 21-262, Paul / Rhoby 63-264) sind lesbar und zuverlässig und stellen daher nützliche Beiträge zur Erarbeitung der Chronik dar, weichen aber in zwei wesentlichen Punkten voneinander ab: Erstens ist bei Paul / Rhoby das Versschema beibehalten, während Yuretich den Text vollends zu Prosa umformt. Dadurch ist der Text bei Paul / Rhoby besser nutzbar, wenn man nach einem konkreten Vers sucht oder diesen zitieren will; andererseits ist der Text als Ganzes bei Yuretich durch die Ergänzung von Zwischenüberschriften besser gegliedert. Zweitens bleibt die mittelbulgarische Fassung bei Paul / Rhoby außerhalb der Einleitung (53-55) unberücksichtigt, während Yuretich eine Übersetzung bietet, die aber umständlich in der Benutzung ist: So wird nämlich nicht deren gesamter Text geboten, sondern die 3106 begleitenden Anmerkungen (die oft, aber nicht nur aus entsprechenden Passagen bestehen) verzeichnen die Abweichungen, Ergänzungen und Auslassungen gegenüber der griechischen Vorlage. Um die Inhalte zu erfassen, muss man also ständig zwischen dem Text und den Anmerkungen wechseln und sich zudem darauf verlassen, dass die dadurch höhere Fehleranfälligkeit sich nicht zu stark bemerkbar gemacht hat. [1] Leider unberücksichtigt bleiben in beiden Fällen die zusätzlichen 78 Verse, in denen die Kaiser von Macrinus bis Carus geschildert werden; zwar handelt es sich wahrscheinlich um eine spätere Ergänzung (Paul / Rhoby 35 mit Anm. 144, bei Yuretich wohl nicht vermerkt), doch hätte man diesen bislang fast vollkommen unbeachteten Abschnitt byzantinischer Literatur so besser zugänglich und bekannter machen können.
Der Kommentarteil (Yuretich 21-262 als Anmerkungen, Paul / Rhoby 265-326) bleibt in beiden Fällen eher dünn. Sieht man von den soeben genannten Übersetzungen der mittelbulgarischen Version bei Yuretich ab, handelt es sich neben gelegentlichen Querverweisen zu großen Teilen um einfache Sacherklärungen wie Regierungsdaten oder sogar Umschriften von Namen (Paul / Rhoby 279 zu 1829: "Kassios: Cassius"), deren Nutzen fraglich erscheint, zumal die Angaben nicht immer systematisch und durchgehend geboten werden. Grundsätzlich ist festzustellen, dass Paul / Rhoby insgesamt häufiger durch derart extrem banale Einträge auffällt, dafür aber auch deutlich mehr Angaben von weiterführendem Wert hat (etwa 280 zu 1969, 281 zu 2054). Somit hat der Kommentar von Yuretich vor allem für diejenigen einen Wert, die sich mit der mittelbulgarischen Fassung auseinandersetzen, während der von Paul / Rhoby bei der Einordnung von Sondergut ebenso wie dem Verständnis der Chronik als literarisches Werk (etwa 280 zu 1928 über den Sprachgebrauch) hilft.
Die Register (Yuretich 274-320, Paul / Rhoby 327-338) stellen gewissermaßen ein Problem für sich dar. Bei Yuretich wird auf den entsprechenden Vers, bei Paul / Rhoby hingegen auf die jeweilige Seite verwiesen. Da aber der einzelne Vers bei Yuretich (wo die Stellenangabe im Textblock nur zu Beginn jedes zehnten Verses geboten wird) nur umständlich zu finden ist, wäre hier die Seitenangabe nützlicher gewesen. Umgekehrt hätte es sich bei Paul / Rhoby angeboten, auf die einzelnen Verse zu verweisen, um somit die gesuchte Stelle noch schneller und einfacher ermitteln zu können. Nützlich ist hingegen das bei Yuretich gebotene Register der Glossen der mittelbulgarischen Fassung (Yuretich 273) sowie das kleinteilige Inhaltsverzeichnis (Yuretich VII-XII gegenüber Paul / Rhoby V). Zu erwähnen ist noch, dass bei Paul / Rhoby nur Personennamen erfasst sind, dafür aber auch die Einleitung und der Kommentar abgedeckt sind (eine deutliche Trennung zwischen Text und Forschungsbeitrag wäre allerdings hilfreich gewesen), wohingegen Yuretich auch geographische Namen (Völker, Länder, Städte) aufnimmt und nur den Text des Manasses erfasst.
Die Literatur (Yuretich 263-271, Paul / Rhoby IX-XIV und Anmerkungen) ist in beiden Werken größtenteils erfasst, [2] wobei die Lücken bei Yuretich insgesamt etwas größer sind und bei P/R auch auf mehrere im Druck befindliche Werke hingewiesen wird. Druckversehen und kleinere Irrtümer sind ebenfalls nur selten anzutreffen und meist unproblematisch (am schwerwiegendsten sind einige Mängel in der Erklärung der Ämterbegriffe bei Yuretich 272). Bei Paul / Rhoby fiel noch eine Eigenwilligkeit des Verlages auf, der das Rezensionsexemplar nicht weniger als zehnmal gestempelt hat.
Somit ist zusammenfassend zu sagen: Beide Ausgaben stellen trotz mancher Einwände im Detail einen insgesamt gelungenen Versuch dar, einen bislang nur wenig bekannten und beachteten Text in das Blickfeld der Forschung zu rücken und ihn besser zugänglich zu machen, zumal die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen dazu führen, dass sie sich eher ergänzen als einander überflüssig machen. Geboten werden somit zwei für den Byzantinisten nützliche und für den Altertumswissenschaftler interessante Bände zu einem Text, der für beide Fächer noch manche ergiebige Anregung bieten kann. [3]
Anmerkungen:
[1] Definitiv nicht korrekt sein kann etwa 107, Anm. 1077: "Greek only: He had ruled the empire of the Romans for eight months. For Romans read Greeks." Wie kann der Satz einerseits nur in der griechischen Fassung vorkommen, dann aber die mittelbulgarische Fassung im Wortlaut davon abweichen?
[2] In keiner der Ausgaben berücksichtigt sind B. Bleckmann: Die Reichskrise des III. Jahrhunderts in der spätantiken und byzantinischen Geschichtsschreibung, München 1992 (Diss. Köln 1991), wo 454 die behandelten Passagen verzeichnet sind; S. Trovato: Antieroe dai molti volti. Giuliano l'Apostata nel medioevo bizantino, Udine 2014 (Diss. Udine 2011), insbesondere 417-421, und die in neugriechischer Sprache verfasste Monographie von M. Augerinou-Tzioga zur Chronik des Manasses (Thessaloniki 2013). Die bei Paul / Rhoby 265 angeführte (und bei Yuretich nicht zitierte) Kaisertabelle von Kienast ist jetzt nach der wesentlich überarbeiteten Neuauflage (2017) zu zitieren.
[3] Rezensionen zu Yuretich: R. Brendel, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 67 (2019), 863-865 (wo 864 die Bezeichnung von Irene als "Kaiserwitwe" zu korrigieren ist, da ihr Mann nur Sebastokrator war); D. Samara, in: Bryn Mawr Classical Review September 2019, Nr. 20 (https://bmcr.brynmawr.edu/2019/2019.09.20/). Zu Paul / Rhoby sind bislang keine Rezensionen bekannt.
Raphael Brendel