Raphael Beuing / Wolfgang Augustyn (Hgg.): Schilde des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (= Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München; Bd. 46), Passau: Dietmar Klinger Verlag 2019, IX + 413 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-3-86328-172-4, EUR 49,00
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Im März 2016 fand in München die Tagung Schilde des Spätmittelalters statt, die vom Bayerischen Nationalmuseum gemeinsam mit der Forschungsstelle Realienkunde des Zentralinstituts für Kunstgeschichte und der Gesellschaft für Historische Waffen- und Kostümkunde organisiert wurde. Die Tagungsbeiträge sind, ergänzt um zusätzliche Texte, in das vorliegende Buch eingeflossen, das als vierter Band der Schriftenreihe der Forschungsstelle Realienkunde erschienen ist. Innerhalb der Reihe, die sich bereits intensiv mit dem Inkarnat in der Malerei von der Antike bis zum Mittelalter beschäftigt hat (2012 und 2017) und 2015 die Bedeutung von Corpus - Inventar - Katalog für die materielle Überlieferung von Kunstwerken ausgelotet hat, liegt damit der erste Band vor, der einer einzigen Objektgruppe gewidmet ist.
Die insgesamt 26 Textbeiträge wurden nicht eigens nach inhaltlichen Schwerpunkten oder methodischen Zugängen gegliedert. Sie lassen sich jedoch grob in drei Gruppen unterteilen: 1. historische Analysen verschiedener Schildtypen, ihrer Herstellung und ihres Gebrauchs; 2. Bestandsaufnahmen von Schilden in einzelnen Museen bzw. aus spezifischen historischen Kontexten; 3. kunsttechnologische Untersuchungen zur Konstruktion und farblichen Fassung ausgewählter Exemplare. Der folgende Querschnitt durch die Inhalte des Bandes erfolgt entlang dieser drei Zugangsarten.
Raphael Beuings Beitrag zu den verschiedenen Schildformen, ihren Verwendungsweisen und Bezeichnungen ergänzt das kurze Vorwort der Herausgeber um eine Einführung, in der auch der bisherige Forschungsstand Erwähnung findet. [1] In dem unmittelbar anschließenden Text gehen Cornelius Berthold und Ingo Petri der Frage nach, auf welche Weise der Schild im Kampf Verwendung fand und wie dies anhand unterschiedlicher Quellen für den Zeitraum vor der Verbreitung von Fechtbüchern (ab dem 14. Jahrhundert) belegt werden kann. Kritisch wird hier etwa der dokumentarische Wert von bildlichen Darstellungen hinterfragt, die sich nicht nur an der materiellen Kultur ihrer Zeit orientieren, sondern immer auch künstlerischen Konventionen und Strategien unterliegen. Fabian Brenker fokussiert in seinem Beitrag jene Schilde des europäischen Mittelalters, die in Sperrholztechnik ausgeführt wurden, und stellt diese Technik in einen größeren historischen Rahmen (97-111). Mit Herbert Schmidts Text gerät gegen Ende des Bandes nochmals der Buckler dezidiert in den Blick (363-370) [2], während Robyn D. Radways Analyse von grafischen Darstellungen einer Flügeltartsche (auch Husaren- oder ungarische Tartsche genannt) mit Flügelemblem erneut die Frage nach dem Verhältnis von Realität und Fiktion aufwirft (377-386).
Im ersten Teil seines Artikels geht auch Dirk H. Breiding zunächst auf die Geschichte des europäischen Schildes ein, um dann einen Überblick über die spätmittelalterlichen Schilde des Philadelphia Museum of Art zu geben (77-95). Die so eingeleitete zweite Gruppe der Bestandsaufnahmen wird durch Raphael Beuing ergänzt, der in seinem zweiten Beitrag zum Tagungsband die Schilde des Bayerischen Nationalmuseums katalogartig vorstellt (147-173). Die verbleibenden Texte dieser Gruppe widmen sich dagegen museumsübergreifend historischen Schildkonvoluten wie den Erfurter Setzschilden (Karsten Horn, 113-123), den Zwickauer Pavesen (Matthias H. Herzer, 243-260) und den Pavesen der 1881 aufgelösten Rüstkammer von Klausen (Krista Profanter, 275-301). Frühere Forschungen zu den beiden zuletzt genannten Schildgruppen werden hier überprüft und um neue Erkenntnisse ergänzt. [3] Darüber hinaus zeigt sich an all diesen Bestandsaufnahmen bereits ein besonderer Vorzug der gesamten Publikation, in der viele bisher wenig bekannte oder fotografisch dokumentierte Objekte vorgestellt werden.
Dieses Lob gebührt nicht zuletzt den kunsttechnologischen Untersuchungen und experimentellen Rekonstruktionsversuchen zu einzelnen Schilden, die den größten Raum innerhalb des Bandes einnehmen. Ausgewählte Objekte aus Museen in Deutschland, der Schweiz, Österreich und den USA werden in diesen Beiträgen eingehend behandelt. Es ist bedauerlich, dass es der begrenzte Rahmen einer Rezension nicht erlaubt, an dieser Stelle ins Detail zu gehen. Es sei aber zusammenfassend hervorgehoben, dass mit diesen Studien Ergebnisse von teils nicht publizierten Diplomarbeiten oder museumsinternen Restaurationskampagnen eine größere Öffentlichkeit erreichen. Der Blick auf die verwendeten Holzarten und deren Bearbeitung sowie die farbliche Fassung lässt immer wieder die Nähe zur Tafelmalerei der Zeit bzw. zur farblichen Fassung von Skulptur aufscheinen (so etwa im Beitrag von Anja Alt, 199). Von Daniela Karl wird diese Parallelität über die Analyse von drei Schilden des Bayerischen Nationalmuseums hinaus (175-190) bis zu den Schilden der Stifterfiguren im Naumburger Dom (51-67) zurückverfolgt. In verschiedenen Texten wird außerdem eine Umnutzung von Kampfschilden in Totenschilde in Erwägung gezogen. Aus diesem Grund ist es besonders zu begrüßen, dass auch dieses Themenfeld, das am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg von 2014 bis 2017 intensiv erforscht wurde, eigens mit einem Beitrag von Elisabeth Taube und Astrid Roth im Tagungsband vertreten ist. Die Autorinnen stellen darin einige zentrale Erkenntnisse zu den Memorialtafeln vor, die sich zu einer eigenständigen Gattung (ohne militärischen Nutzen) entwickelt hatten (387-402).
Der Band hält eine Fülle an Informationen zu Schilden des (Spät-)Mittelalters und der Frühen Neuzeit, ihrer Beschaffenheit, ihren Namen und ihrer Verwendung bereit. Eine alternative Anordnung der Beiträge hätte die Navigation durch diesen 'Thesaurus' an manchen Stellen sicherlich erleichtert. Jedoch ist dies ein geringer Einwand angesichts der von den Autorinnen und Autoren und nicht zuletzt den beiden Herausgebern unternommenen Erschließung und Präsentation von Schilden aus sich einander ergänzenden fachlichen Perspektiven. Ein Personen- und ein Ortsregister runden den Band ab und ermöglichen die gezielte Suche nach einzelnen Objekten.
Anmerkungen:
[1] Diese ist überschaubar und hat, wie etwa die umfangreichen Studien von Helmut Nickel: Der mittelalterliche Reiterschild des Abendlandes, Berlin 1958, und Jan Kohlmorgen: Der mittelalterliche Reiterschild. Historische Entwicklung von 975 bis 1350 und Anleitung zum Bau eines kampftauglichen Schildes, Wald-Michelbach 2002, zeigen, einen Schwerpunkt in der Zeit vor dem im Tagungsband primär untersuchten Zeitraum.
[2] Herbert Schmidt hat mit 'The Book of the Buckler' bereits 2015 eine umfassende Studie zu dieser Schildform vorgelegt.
[3] Vgl. z. B. Vladimir Denkstein: Die Zwickauer Pavesen böhmischen Ursprungs, in: Sächsische Heimatblätter 4 (1958), 535-563; und Oswald Graf Trapp: Klausener Tartschen, in: Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde NF 3 (1930), 156-166.
Julia Saviello