Felix Brahm / Eve Rosenhaft (eds.): Slavery Hinterland. Transatlantic Slavery and Continental Europe, 1680-1850 (= People, Markets, Goods: Economies and Societies in History; Vol. 7), Woodbridge: Boydell Press 2016, XII + 261 S., ISBN 978-1-78327-112-2, GBP 17,99
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
David M. Lewis: Greek Slave Systems in their Eastern Mediterranean Context, c.800-146 BC, Oxford: Oxford University Press 2018
Peter Hunt: Ancient Greek and Roman Slavery, Hoboken, NJ: Wiley-Blackwell 2018
Mary Ann Fay (ed.): Slavery in the Islamic World. Its Characteristics and Commonality, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2019
Géza Dávid / Pál Foder (eds.): Ransom Slavery Along the Ottoman Borders. Early Fifteenth - Early Eighteenth Centuries, Leiden / Boston: Brill 2007
Monique Dondin-Payre / Nicolas Tran: Esclaves et maîtres dans le monde romain. Expressions épigraphiues de leurs relations, Rom: École française de Rome 2017
Denise Klein (ed.): The Crimean Khanate between East and West (15th-18th Century), Wiesbaden: Harrassowitz 2012
Rebekka Habermas / Alexandra Przyrembel (Hgg.): Von Käfern, Märkten und Menschen. Von Käfern, Märkten und Menschen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013
Cihan Yüksel Muslu: The Ottomans and the Mamluks. Imperial Diplomacy and Warfare in the Islamic World, London / New York: I.B.Tauris 2014
2012 konnten Felix Brahm und Eva Rosenhaft die Internationale Konferenz "The Slave Business and its Material and Moral Hinterlands in Continental Europe" durchführen, deren Ergebnisse nun in Form eines Sammelbandes vorliegen. Felix Brahm war und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Kolonial- und Globalgeschichte am Deutschen Historischen Institut in London und Eva Rosenhaft Professorin für German Historical Studies an der Universität in Liverpool. Die Universität Liverpool fungierte bei der damaligen Veranstaltung zusammen mit dem ebenfalls dort angesiedelten Internationalen Sklavereimuseum als Gastgeber. Die Stadt Liverpool ist somit eine ausgezeichnete Wahl, wenn es um einen Ort für einen Workshop mit einem Bezug zur Sklaverei geht. Zumal dort auch noch das 2006 gegründete Centre for the Study of International Slavery (CSIS), ein International Slavery Studies MA und die von der Liverpool University Press herausgegebene Reihe "Liverpool Studies in International Slavery" existiert...
Wie man dem Titel der Publikation (und auch der damaligen Konferenz) entnehmen kann, stehen die Interaktionen zwischen dem atlantischen Sklavenhandel und mitteleuropäischen Regionen im Vordergrund des Interesses. Dabei geht es weniger um ein direktes Engagement im wirklichen Handel mit Sklaven, sondern vielmehr um die indirekten Beziehungen und vor allem um die Profite aus dem auf dem Rücken der Sklaven errichteten europäischen Weltwirtschaftssystem. In ihrer Einleitung beziehen sich die beiden Autoren auf ein Buch von Eric E. Williams (1911-1981), der nicht nur langjähriger Premierminister von Trinidad, sondern auch ein interessanter Historiker war. (6-7) In seinem 1944 erschienenen Werk "Capitalism and Slavery" (Chapel Hill: University of North Carolina Press) stellte er die These auf, dass (1) das Investitionskapital der Industrialisierung aus dem Gewinn der Sklavenarbeit in der Karibik stammte, und (2) die Diskussionen um die Abschaffung der Sklaverei just in dem Moment in Großbritannien intensiver wurden, als die Gewinne zurückgingen und man vor diesem Hintergrund die Sklaverei als eine überholte und moralisch zu verwerfende Form der Zwangsarbeit anprangern konnte. Viele revisionistische Studien haben in den letzten 15 Jahren die Verflechtungen zwischen dem europäischen "Aufstieg" und dem durch die Sklaverei erwirtschafteten Kapital bestätigt. Die Interdependenzen existierten selbst in den entlegensten Provinzen Nord- Mittel- und Osteuropas. Klaus Weber, der in Frankfurt an der Oder Wirtschafts- und Sozialgeschichte lehrt, hat diese Zusammenhänge in einem 2009 erschienenen Aufsatz [1] sehr schön am Beispiel der Netzwerke deutscher Finanziers, Kaufleute, Reeder und Fabrikanten in den drei wichtigen Kolonialhandelshäfen Cadiz, Bordeaux und London einerseits und der schlesischen Leinenproduktion andererseits gezeigt. Insgesamt trug dieser Handel, so sein Fazit, "wesentlich zur proto-industriellen Entwicklung der Gewerberegionen bei". (Weber 2009, 54)
Für die Regionen, die auf solche und ähnliche Weise indirekt an dem europäischen Sklavereihandelssystem beteiligt waren, verwenden die Herausgeber den Begriff "Hinterland". Konkret verstehen sie darunter die etwas abseitig von dem "eigentlichen" Sklavenhandel gelegenen Heimatgebiete der involvierten Kaufleute und Finanziers. Diese blieben bei ihren Geschäften stets auf Distanz zu der menschlichen Ware aus Afrika. In der Regel investierten sie in Anteile an übergeordneten kommerziellen Unternehmen und nicht den Warenverkehr selbst. Dies erlaubte es ihnen auch, eine gewisse moralische Reserviertheit der Sklaverei gegenüber zu behalten.
Die Forschung hat sich bisher auf die politischen und ökonomischen Netzwerke in Hafenstädten wie Liverpool, Bordeaux, Nantes, Saint Malo, Bristol oder La Rochelle sowie Großstädte wie London oder Paris und deren direkten Verbindungen zum Sklavenhandel konzentriert. [2] Eine interessante Ausnahme stellt die Schweiz dar. Hier entstand in Folge einer öffentlichen Diskussion im Nationalrat und im Bundesrat eine Reihe von Untersuchungen über die Verstrickung Schweizer Geschäftsleute und Firmen in den Sklavenhandel. [3] Womit wir bei den Beiträgen des Bandes sind. Peter Haenger, der 1996 mit einer Dissertation über "Sklaverei und Sklavenemanzipation an der Goldküste. Ein Beitrag zum Verständnis von sozialen Abhängigkeitsbeziehungen in Westafrika" (Basel 1997) an der Universität Basel promoviert wurde und aktiv an der oben genannten Aufbereitung beteiligt war, zeigt in seinem Artikel die Geschäfte, die eine Kaufmannsfamilie aus Basel im Rahmen des Handels mit Sklaven über den Atlantik tätigten. Die Firma Christoph Burckhardt & Cie. betrieb auf dieser Basis einen florierenden globalen Handel nicht nur mit Textilien, Baumwollprodukte und Färbemittel, sondern auch mit den Kolonialwaren Zucker, Kaffee und Kakao.
2011 entdeckten Craig Koslofsky und Robert Zaugg im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin ein Manuskript mit dem Titel "Reisebeschriebung und Lebenslauf von Johann Peter Oettinger". Es handelt sich um die tagebuchartigen Aufzeichnungen des Schiffsarztes Johann Peter Oettinger (1666-1746), die dieser zwischen 1662 und 1696 während seiner Fahrten in dem Heiligen Römischen Reich, in den Niederlanden, in Westindien und Afrika niedergeschrieben hat. Sie geben uns zum einen einen tiefen Einblick in die Weltsicht einer aus einem deutschen Hinterland stammenden Einzelperson, die viel in der Welt herumgekommen ist. Zum anderen kann man sehr viel über die Verknüpfungen zwischen solchen Personen und den Aktivitäten der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie (bzw. nach 1692 Brandenburgisch-Afrikanische-Amerikanische Compagnie) erfahren, in dessen Diensten Oettinger eine Zeit lang stand.
Der Sklavenhandel in Liverpool ist, wie gesagt, recht gut erforscht. Alexandra Robinson gelingt es jedoch, am Beispiel der globalen Geschäftsaktivitäten der Familie Earle in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die faszinierenden Verbindungen zum italienischen Livorno und dessen Hinterland zeigen. Der Beitrag von Anke Steffen und Klaus Weber greift das Thema des weiter oben beschriebenen Artikels auf und zeigt uns noch einmal sehr schön die indirekten Verflechtungen zwischen der schlesischen Textilproduktion und dem Atlantischen Sklavenhandel. Rebekka von Mallinckrodt, die einen der begehrten ERC Consolidator Grants für ein bis 2020 laufendes Projekt über "The Holy Roman Empire of the German Nation and its Slaves" eingeworben hat, verdeutlicht am Beispiel einer Petition eines afrikanischen Sklaven an den Preußischen König Friedrich II. aus dem Jahre 1780, in dem dieser um seine Freilassung bittet, dass Sklaverei selbst in diesem Teil von Europa nicht verschwunden war. Sie existierte realiter und in den Köpfen der Leute. Rebekka von Mallinckrodt schlägt am Ende ihres Beitrages - sinnvollerweise, wie ich finde - vor, Sklaverei und Leibeigenschaft künftig nicht mehr als zwei voneinander vollkommen unabhängig zu betrachtende Formen starker asymmetrischer Abhängigkeiten zu betrachten, sondern beide zusammen zu denken und miteinander in Bezug zu setzen. Einen besonderen Fall schildert Daniel Hopkins. Es handelt sich um die Karriere von Julius Philip Benjamin von Rohr, einem 1735 in Merseburg geborenen deutscher Botaniker in Diensten der dänischen Kolonialpolitik. 1757 schickte man ihn als Landvermesser nach Dänisch-Westindien. Er blieb dort in unterschiedlichen Funktionen bis zu seinem Lebensende. Seine Berichte, Briefe und Aufzeichnungen gewähren uns auch hier einen interessanten Einblick in die Wahrnehmungen eines Hinterländlers. Darüber hinaus zeigt sein Lebenslauf auch, dass in vielen Fällen das koloniale Personal aus entlegenen Regionen stammte.
Das letzte Beispiel kommt von Anne Sophie Overkamps, die zurzeit als Mitarbeiterin an der Universität Tübingen tätig ist und gerade ihre Promotion "Ein Eldorado der Fleißigen, ein Zion der Gläubigen, ein Ort der Bildung - das Wuppertal und seine Kaufmannsfamilien, 1760-1840" abgeschlossen hat. Am Ende ihres Aufsatzes, der aus ihrer Dissertation hervorgegangen ist, zieht sie folgendes Fazit: "Important lines of continuity in the material relations between continental Germany and Latin America can be seen stretching from the eighteenth into the early nineteenth century, and in practice Wupper Valley industry continued to benefit from the traffic in and exploitation of enslaved Africans." (184) Ein spannender Beitrag von Sarah Lentz über das Engagement der deutschen Schriftstellerin Therese Huber (1764-1829) für die Abschaffung der Sklaverei sowie einige abschließende Gedanken von Catherine Hall, der bekannten (nun bereits emeritierten) Sklavereiforscherin am University College London, runden den gelungenen Sammelband ab.
Den beiden Herausgebern ist es gelungen, Fallstudien zusammenzubringen, die sehr deutlich die Interaktion zwischen des außerhalb Europas praktizierten Transatlantischen Sklavereisystems und dem europäischen Hinterland aufzeigen. Damit lenken sie den Blick erfreulicherweise einmal weg von den üblicherweise im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden Nationen, die ganz aktiv am Handel mit Sklavinnen und Sklaven beteiligt waren.
Anmerkungen:
[1] Klaus Weber: "Deutschland, der atlantische Sklavenhandel und die Plantagenwirtschaft der Neuen Welt (15. bis 19. Jahrhundert)", in: Journal of Modern European History 7/1 (2009), 37-67.
[2] Liverpool: David Richardson / Suzanne Schwarz / Anthony Tibbles (eds.): Liverpool and Transatlantic Slavery, Liverpool 2007; Bordeaux: Éric Saugera: Bordeaux, port négrier. Chronologie, économie, idéologie, XVIIe-XIXe siècles, Biarritz et al. 1995; Nantes: Olivier Pétré-Grenouilleau: Nantes au temps de la traite des Noirs, Paris 1998; Saint Malo: Alain Roman: Saint-Malo au temps des négriers, Paris 2001; Bristol: Madge Dresser: Slavery Obscured: The Social History of the Slave Trade in an English Provincial Port, London 2001; La Rochelle: Jean-Michel Deveau: La traite rochelaise, Paris 1990; London: Nuala Zahedieh: The Capital and the Colonies: London and the Atlantic Economy, 1660-1700, Cambridge 2020; Paris: Allan Potofsky: "Paris-on the Atlantic from the Old Regime to the Revolution", in: French History 25 (2011), 89-107.
[3] Niklaus Stettler / Peter Haenger / Robert Labhardt: Baumwolle, Sklaven und Kredite: Die Basler Welthandelsfirma Christoph Burckhardt & Cie. in revolutionärer Zeit (1789-1815), Basel 2004; Thomas David / Bouda Etemad / Janick Marina Schaufelbuehl: Schwarze Geschäfte. Die Beteiligung von Schweizern an Sklaverei und Sklavenhandel im 18. und 19. Jahrhundert, Zürich 2005; Hans Fässler: Reise in Schwarz-Weiss: Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei, 2. Aufl. Zürich 2006.
Stephan Conermann