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Bettina Braun / Henning Jürgens: 500 Jahre Reformation - II. Einführung, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 11 [15.11.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/11/forum/500-jahre-reformation-ii-238/

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500 Jahre Reformation - II

Einführung

Von Bettina Braun / Henning Jürgens

"Für eine Bilanz der wissenschaftlichen Erträge des Reformationsjubiläums ist es noch zu früh." - so hieß es im ersten Forum der sehepunkte zur Reformation vor einem Jahr, und diese Aussage gilt durchaus auch ein Jahr später noch. [1] Denn auch nach Ablauf des Jubiläumsjahrs 2017 und damit der sogenannten "Lutherdekade" kann man konstatieren: Die Zahl der Neuerscheinungen zum Themenfeld Reformation und Luther reißt nicht ab. Fast ließe sich mit den Worten des alttestamentlichen Predigers (Pred 12,12) in Luthers Übersetzung seufzen: "Des vielen Büchermachens ist kein Ende". Erneut konnte die Redaktion 17 einschlägige Rezensionen zu einem Themenschwerpunkt zusammenfassen. Angesichts der Vielzahl der Veröffentlichungen zum Gesamtthema muss jede Auswahl willkürlich ausfallen. Aber es lassen sich doch einige Schwerpunkte und Tendenzen in der vorliegenden Zusammenstellung erkennen.

Größere Gesamtdarstellungen zur Epoche oder zur Person Martin Luthers (oder anderer Reformatoren) befinden sich nicht unter den Neuerscheinungen - eine Folge der Publikationsstrategie der Verlage, solche Titel möglichst frühzeitig bereits vor dem Jubiläum auf den Markt zu bringen. Es ist auch kaum zu erwarten, dass solche Überblicke in den allernächsten Jahren erscheinen werden, denn der Markt dafür dürfte erschöpft sein. Das ist insofern bedauerlich, als sie von den zahlreichen im Umfeld des Jubiläums publizierten Detailuntersuchungen profitieren und diese bündeln könnten.

Direkt im Jubiläumsjahr erscheinen hingegen aus naheliegenden Gründen die Ausstellungskataloge zu der gerade in diesem Fall nicht mehr zu überblickenden Fülle von Ausstellungen. Längst sind diese Kataloge weit mehr als nur Handreichungen für die Besucher einer Ausstellung. Jedenfalls bei den größeren Ausstellungen stellen sie vielmehr eigenständige Publikationen dar, die in ihren beigegebenen Aufsätzen den aktuellen Forschungsstand konzis zusammenfassen und oft ganz hervorragende Einleitungen zum jeweiligen Thema bieten. Gerade im Bereich der universitären Lehre sind sie deshalb höchst gewinnbringend einzusetzen. Im Zusammenhang des Reformationsjubiläums wurden neben den Katalogen zu den drei nationalen Sonderausstellungen [2] vor allem Kataloge mit regionalen oder lokalen Bezügen vorgelegt. Diese erlauben eine Verortung des Großereignisses "Reformation" vor Ort und erleichtern so gerade den nicht-professionellen Besuchern bzw. Lesern den Zugang zum Thema. Neben Regionen wie Brandenburg oder Württemberg, bei denen der Zusammenhang zur Reformation offensichtlich ist, lassen sich so auch Bezüge zum Reformationsgeschehen in einem Land wie Bayern entdecken, wo man dies vielleicht nicht ohne weiteres vermuten würde.

Überhaupt stellen Regionalstudien einen Schwerpunkt der jüngsten Forschung dar. [3] Dass selbst für Kernterritorien der Reformation dazu noch längst nicht alles gesagt ist, machen vor allem die Arbeiten zu Thüringen deutlich, die z.B. die Klöster oder die Armenfürsorge behandeln und - lange vor 1517 ansetzend - die Veränderungen durch die Reformation im Detail nachverfolgen und dabei deren Charakter als Epochengrenze relativieren. Mit der Arbeit zu Kurfürst Johann dem Beständigen liegt eine weitere Studie zu Kursachsen vor. Bezieht man die seit 2014 von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften betriebene Edition der Akten zur Kirchenpolitik der sächsischen Kurfürsten mit ein, so lässt sich hier eine Renaissance des Forschungsparadigmas "Fürstenreformation" erkennen, nachdem lange Zeit eher die Städte und sozialgeschichtliche Fragestellungen im Mittelpunkt des Interesses standen.

Neben diesen regionalen Zugriffen stehen Arbeiten mit kontinentaler oder gar globaler Perspektive, die die Ausstrahlung der Reformation auf andere Länder thematisieren - ob diese mit dem Begriff "Luther-Effekt" angemessen bezeichnet werden, sei dabei einmal dahingestellt. Zwar gab es unter den nationalen Sonderausstellungen auch eine, die sich mit dem Thema "Luther und die Deutschen" auseinandersetzte. [4] Diese Ausstellung auf der Wartburg thematisierte aber gerade den ambivalenten Charakter dieses Verhältnisses und sparte die heiklen Themen nicht aus. Sie machte deutlich, weshalb sich eine einfache nationale Vereinnahmung des Reformationsgeschehens oder auch Martin Luthers verbietet. Darin lässt sich ein deutlicher Unterschied zum Lutherjubiläum im geteilten Deutschland 1983 erkennen: Das Zurücktreten eines nationalen Bezugs zugunsten einer regionalen oder kontinentalen/globalen Perspektive dürfte nicht nur der vorliegenden Auswahl geschuldet sein, sondern einen tiefergehenden Trend spiegeln.

Reformation ist im Spiegel der in diesem Forum besprochenen Titel fast ausschließlich Luthertum. Diese Lutherzentrierung war in dem Rekurs auf das Datum 1517 bereits angelegt und sie schlägt sich in den Publikationen erkennbar nieder. 1517 ist eben ein "Erinnerungsort" für die lutherischen Kirchen und nicht für die reformierten Kirchen, von anderen Gruppen ganz zu schweigen. Vorgelegt wurden Detailstudien zur Biographie Luthers, vor allem zu seiner Frühzeit, die selbst zu einer der am besten erforschten Persönlichkeiten der Frühen Neuzeit neue Erkenntnisse bieten. Zwei der rezensierten Werke verbinden sogar den lokalgeschichtlichen und den personengeschichtlichen Zugriff, indem sie markante Punkte aus Luthers Biographie, die Romreise und den Auftritt in Worms, zum Mittelpunkt weitreichender Analysen machen.

Aber auch in den Arbeiten, die nicht die Person des Reformators in den Mittelpunkt stellen, ist eine Konzentration auf die Reformation Wittenberger Prägung zu beobachten. So beziehen sich sowohl die Beiträge zur internationalen Rezeption als auch die Forschungen regionaler Vorgänge zumindest im Titel überwiegend auf die lutherische Reformation, obwohl sich diese Engführung beim Blick auf Osteuropa oder andere Weltregionen nur mit Mühe durchhalten lässt.
Wie tiefgreifend die Reformation alle Bereiche der Gesellschaft veränderte, zeigen zwei Beiträge zum Zusammenhang von "Reformation und Recht". Diese fundamentalen Vorgänge gründlich zu erhellen, erscheint umso dringender in einer zunehmend säkularisierten Welt, die mit "Recht" weitgehend nur noch staatliche, d.h. weltliche gesetzliche Normen verbindet und von daher diese Auswirkungen der Reformation zunächst überhaupt nicht im Blick hat. Die Veränderungen für Frauen durch die Reformation, aber auch die Kontinuitäten in Lebensverhältnissen und Strukturen, finden immerhin in einem Sammelband gezielte Behandlung. In den übrigen Publikationen hingegen bedarf es der aufmerksamen Lektüre, um dieses Thema ausfindig zu machen - und manchmal hilft auch diese nicht.

Auffallend ist, dass der Protestantismus bzw. das Luthertum sich in diesen Publikationen mehr oder weniger selbst genügt, während der katholische Gegenpart relativ wenig konturiert wird. Selbstverständlich wird Widerstand gegen die reformatorische Bewegung thematisiert, sei es in der Gestalt Caritas Pirckheimers oder der frühen prominenten Luther-Gegner Cajetan oder Aleander, sei es in Thüringer oder Württemberger Klöstern oder im Rat der Stadt Freiburg. Was aber fehlt, sind systematische Untersuchungen zu Wechselwirkungen zwischen der alten und den neuen Kirchen, die Darstellungen von Entwicklungen, die eben nicht so glatt von einer Kirche zur anderen verliefen, die Thematisierung unklarer Grenzen. Insofern gehen die im Zusammenhang des Jubiläums erschienenen Publikationen eigentlich hinter den in den letzten Jahren erreichten Stand der Forschung zurück, indem hier die Verhältnisse eindeutiger konturiert werden, als es die Forschungen z.B. zu Inter- und Transkonfessionalität oder zu konfessioneller Indifferenz etc. herausgearbeitet haben. [5] Deshalb zu resümieren, der Ertrag der Lutherdekade für die Forschung gehe "gegen Null", wie dies ein Kirchenhistoriker kürzlich getan hat [6], erscheint angesichts der Vielzahl und der Qualität der hier rezensierten Schriften freilich überpointiert.

Anmerkungen:
[1] http://www.sehepunkte.de/2017/10/forum/500-jahre-reformation-i-218/
[2] Der Luthereffekt: 500 Jahre Protestantismus in der Welt, hg. vom Deutschen Historischen Museum, München 2017; Luther! - 95 Schätze - 95 Menschen: Begleitbuch zur nationalen Sonderausstellung, hg. v. d. Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, München 2017; s. auch u. FN 4.
[3] Die Monographie zur Reformation in Litauen von Inge Lukšaite bildet hier einen Sonderfall, da sie 2017 in deutscher Übersetzung erschien, während das litauische Original bereits 20 Jahre alt ist.
[4] Luther und die Deutschen: Begleitband zur Nationalen Sonderausstellung auf der Wartburg 4. Mai-5. November 2017, hg. v. der Wartburg-Stiftung, Petersberg 2017.
[5] Interkonfessionalität - Transkonfessionalität - binnenkonfessionelle Pluralität: Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, hg. von Kaspar von Greyerz, Gütersloh 2003 (SVRG; 201); Konfessionelle Ambiguität: Uneindeutigkeit und Verstellung als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit, hg. von Andreas Pietsch / Barbara Stollberg-Rilinger, Gütersloh 2013 (SVRG; 214); David M. Luebke: Hometown religion: regimes of coexistence in early modern Westphalia, Charlottesville 2016.
[6] https://www.evangelisch.de/inhalte/150129/23-05-2018/bilanz-lutherdekade-forschung

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