Geschenktipps (nicht nur) zu Weihnachten

Susanne Rau / Monika Frohnapfel-Leis / Lisa Woop, Erfurt


Sanjay Subrahmanyam: Europe's India. Words, People, Empires, 1500-1800, Cambridge / London 2017
Einseitige Betrachtungsweisen - von einer Region oder Zivilisation auf die andere - halten wir heute, postkolonial sensibilisiert, für unangebracht. Was also bewegte Sanjay Subramanyam, ein Buch über "Europas Indien" zu schreiben? Der in Indien (University of Delhi und Delhi School of Economics) sozialisierte, an der UCLA (Los Angeles) sowie am Collège de France (Paris) lehrende Historiker, von Haus aus Wirtschaftshistoriker, hat dieses Jahr ein neues Buch über die europäischen Vorstellungen über Indien vorgelegt. Subramanyam ist auch bekannt als Vertreter eines verflechtungsgeschichtlichen Ansatzes zwischen Europa und Indien, der sich bei ihm bisweilen auch schon in der Umkehrperspektive "Wie die Welt Portugal entdeckte" manifestiert hat.

Das Buch handelt von der Perspektive, die der Seeweg nach "Indien" für den Austausch von Waren und Ideen mit Europa eröffnete. Im damaligen Sprachgebrauch handelte es sich um Ost-Indien, im 19. Jahrhundert sprach man von Vorder-Indien, beides de facto etwas größer als das britische Indien oder die heutige Republik. In der Bezeichnung der - in politischer wie religiöser Hinsicht ziemlich heterogenen - Region schwingt immer schon eine Vorstellung mit, die sich primär aus der eigenen, also der europäischen Perspektive ergibt. Akteure dieses europäisch-indischen Austauschs waren Händler, bald auch Botschafter, Missionare, Soldaten und Gelehrte, die aus unterschiedlichen Motivationen nach Südasien reisten und Wissen über diese Weltregion produzierten, indem sie Manuskripte und Objekte mit nach Europa brachten, aber auch eigene Texte anfertigten und Sammlungen der Objekte anlegten. Deutlich wird hier dreierlei: dass europäische Vorstellungen stark von den Kontakten und Objekten abhingen, die mitgebracht wurden, dass es bereits in der Frühen Neuzeit recht unterschiedliche Vorstellungen von "Indien" in Europa gab und dass sich diese Vorstellungen im Lauf der drei Jahrhunderte durchaus wandelten. Freilich wurden auch Texte geschrieben oder Bilder gemalt von Menschen, die selbst nie in Indien waren.

In einer wissensgeschichtlichen Perspektive zeigt Subrahmanyam, dass es kein wahres oder richtiges Wissen über "Indien" gab, welches sich von Phantasien europäischer Orientalisten abgrenzen ließe; vielmehr ist auch Wissen immer ein Wissen, das in einem bestimmten Kontext entsteht. In einer "connected history" lässt sich aber auch zeigen, wie der Osten (Indien) durch den Westen (Europa) allmählich verstanden wurde und wie er ihn sich angeeignet hat. Was Indien damals von Europa dachte, würde man gerne noch wissen. Auch dies wird in dem Buch, gegen Ende, thematisiert. Schon früh kamen Inder nach Europa, doch erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts hinterließen sie schriftliche Spuren oder eigene Erzählungen. Auch durch die Europäer, die sich in Indien aufhielten, begann man sich ein Bild von Europa zu formen. So zeigt das Buch einerseits, dass Verflechtungsgeschichten nicht immer symmetrisch sind; und andererseits, dass interkulturelles Verstehen keine leichte Aufgabe ist, weil jede Begegnung mit dem Anderen immer schon in einer historischen Tradition steht. Da es ein Buch über Verstehen und Nicht-Verstehen ist, andererseits auch genügend Abenteuergeschichten liefert, eignet es sich m.E. besonders als Weihnachtslektüre. Ich selbst las es, um mich auf die nächste (wissenschaftlich motivierte) Indien-Reise vorzubereiten.

Neil MacGregor: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten. München 2011.
2010 präsentierte der Leiter des British Museum bei BBC Radio 4 eine 100-teilige Serie mit dem Titel "A History of the World in 100 Objects". Das ungewöhnliche Unterfangen, die Geschichte der Dinge übers Hören zu vermitteln, wurde von einem Band mit demselben Titel im Oktober 2010 begleitet. Dieses Werk besticht nicht nur durch wunderschöne Illustrationen von einzigartigen Objekten, sondern auch durch eine Art Geschichte zu schreiben, die Historiker nur selten anwenden: über Objekte. Beginnend mit einem steinernen Schneidewerkzeug der Oldowan-Kultur, über die Statur Ramses II., einem hebräischen Astrolabium und einen hawaiianischen Federhelm bis zur Kreditkarte, zeichnet er eine fragmentarische Geschichte der Menschheit von vor über 2 Millionen Jahren bis heute nach und stellt dabei ein paar der einmaligen Stücke des British Museum vor. Dass das im Titel des Buches vermittelte Projekt ein unmögliches Unterfangen darstellt und es so bei einem Versuch Geschichte zu schreiben bleiben muss, stellt MacGregor selbst zu Beginn des Buches klar. Dass er aber seinem Publikum Möglichkeiten aufzeigt, in welcher Weise uns Objekte Geschichte vermitteln können, und dementsprechend nicht als Quellen zweiter Klasse gelten dürfen, erschließt sich dem Leser bereits auf den ersten Seiten.

Pierre Rosanvallon: Die gute Regierung, Hamburg 2016
Politikgeschichte, zumal politische Ideengeschichte, gehört derzeit vermutlich nicht zu den nachgefragtesten Themenfeldern der Geschichtswissenschaft. In Zeiten jedoch, in denen die westliche Demokratie in die Krise geraten scheint und sich vielerorts Autokraten aufzuschwingen wissen, greift selbst eine Stadt- und Raumhistorikerin zu einem politikgeschichtlichen und gegenwartsdiagnostischen Werk. Der französische Intellektuelle, Historiker und Professor am Collège de France hat mit dem Buch "Die gute Regierung" (frz. Le bon gouvernement, 2015), für das ihm vor einem Jahr auch der Bielefelder Wissenschaftspreis verliehen wurde, eine brillante Geschichte der Demokratie seit etwa der Französischen Revolution, als der Vorrang noch der Legislativen gegeben wurde, vorgelegt. In einer detaillierten Geschichte des Regierens zeigt er, wie die Macht allmählich auf die Exekutive übertragen wurde - in manchen Ländern, schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts, begleitet von einer Präsidialisierung. Dies ändert den Gestaltungsmodus und die Mitwirkungsmöglichkeiten gewaltig. Eine wichtige analytische Unterscheidung nimmt Rosanvallon zwischen sog. Genehmigungsdemokratien und Betätigungsdemokratien vor. Genehmigungsdemokratien herrschen dort, wo sich die demokratische Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger mehr oder weniger auf die Wahl eines Repräsentanten reduziert. Eine solche Wahl ist ein Akt der Beglaubigung von Mächtigen. Genehmigungsdemokratien können leicht autokratische Züge annehmen. Eine Betätigungsdemokratie dagegen stärkt die Bürgerbeteiligung und drängt die Macht der - nicht gewählten - Exekutive zurück.

Normalerweise fordern Historiker/innen nicht zu Revolutionen auf. Aber dieses Buch ist eine Gegenwartsdiagnose, indem es zeigt, wie wir geworden sind, was wir sind. Und was wir tun könnten, um es zu ändern.

Daniel Rosenberg / Anthony Grafton: Die Zeit in Karten. Eine Bilderreise durch die Geschichte. Aus dem Englischen von Cornelius Hartz, Darmstadt 2015.
Wer sich fragt, ob man die Zeit malen oder zeichnen kann, ist bei Rosenberg und Grafton in guter Gesellschaft. In dem reich bebilderten und schön ausgestatteten Band unternehmen die beiden den erfolgreichen Versuch, kartographische und sonstige Darstellungen der Zeit im Laufe der Jahrhunderte zu versammeln. Beim Blättern in diesem anregenden Buch verblüfft der schier ungeheure Einfallsreichtum historischer Autoren und Künstler, die mit ihren Vorstellungen von Zeit im räumlichen Ausdruck das doch scheinbar nicht Darstellbare so federleicht und mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, so zumindest der Eindruck, festgehalten haben. Gerade die Zusammenschau von Zeitkarten und graphischen Lösungen wie Zeittabellen, Zeitleisten und Zeitkreisen macht deutlich, wie technischer Wandel die Art und Weise der Darstellung beeinflusst und verändert hat. Dennoch werden manche Lösungen wie z.B. die Zeit als Strom oder als Spirale lange beibehalten. Dass man kann die Zeit graphisch darstellen kann, glaubt man ohne weiteres am Ende dieser Bilderreise!