Leonhard Horowski: Das Europa der Könige, Berlin 2016
Horowskis Wälzer ist ideal für die Zeit zwischen den Jahren. Auf deutlich über 1000 Seiten Text erweckt der Autor die ständische Gesellschaft der Frühen Neuzeit neu zum Leben. Horowskis Kenntnisse reichen bis zu den letzten Details hinab, und er erspart seinen Lesern kein einziges davon. Doch dies hat Methode, denn erst die Verästelungen ständischer Gewohnheiten machen diese wirklich verständlich. Ich empfehle das Buch als besonders weihnachtsgeeignet jedoch vor allem wegen seiner Präsentation: Horowski spielt die Absurditäten seines Personals voll aus, ohne die frühneuzeitlichen Könige und ihre adelige Entourage jemals der Lächerlichkeit preis zu geben. So gelingt das Paradox: Unterhaltung am Puls der Forschung.
Kingsley Amis: The Alteration, New York 1976
Meine Empfehlung zum Reformationsjubiläum. Die inhaltlich gewagte, literarisch jedoch phantasievolle und häufig respektlos witzige Imagination eines Europas, in dem es die Reformation nie gegeben hat und Martin Luther schließlich Papst wurde. Auch wenn Amis' Geschichtsbild offensichtlich von einer protestantismusfreundlichen Fortschrittstheorie geprägt ist, so ist die Imagination eines zurückgebliebenen altgläubigen Europas voller Kastraten und ohne technologischen Fortschritt doch äußerst vergnüglich. Ein Hauch von steam punk als Alternative zur Publikationswelle des Jubiläumsjahres.
Mary Doria Russell: The Sparrow, 1996
Die Forschung zum Jesuitenorden entwickelt sich rasant; alle möglichen Dimensionen der Geschichte werden untersucht, der Überblick geht leicht verloren. Deshalb hier als Empfehlung das Buch mit der wohl ungewöhnlichsten Fragestellung: Wie würden Jesuiten bei Außerirdischen missionieren? Der Roman bietet im Gewand von science fiction in Wahrheit tiefe Einblicke in vergangene Kulturbegegnungen. Vielleicht kein literarisches Meisterwerk, aber nichtsdestotrotz basiert das Buch auf einem klaren Verständnis des Ordens und ist geprägt von einem feinen Gespür dafür, wie die Jesuiten in der totalen Fremde unbekannter Kulturen vorgingen. Kein schlechter Einstieg in einen komplexen Gegenstand.
Philipp Felsch: Der lange Sommer der Theorie. Geschichte einer Revolte, 1960-1990, München: Beck 2015
Ein methodisch anregendes Stück Ideengeschichte, und zugleich eine Gelegenheit, um etwas selbstkritisch und mit ironischer Distanz historisierend auf die gegenwärtige Leidenschaft für theoretische Entwürfe und konzeptionelle 'turns' zu blicken. Getragen von einer grundlegenden Sympathie für den Lebensstil und das Denkmodell von 'Theorie', schreibt Felsch kurz, präzise, amüsant und mit zahlreichen anekdotenhaften Vignetten die Geschichte des modernen Theoriekarusells zwischen Adorno und Postmoderne. Eine leichtfüßige Betrachtung über Schwergängiges.
Elena Favilli/Francesca Cavallo: Good Night Stories For Rebel Girls. 100 Aussergewöhnliche Frauen, München 2017
Von Kleopatra bis zu Ruth Bader Ginsburg und wild illustriert: historische Exempla für junge Mädchen, jeweils knapp zum Vorlesen beschrieben. Dabei stehen nicht die großen historischen Errungenschaften der Frauen im Zentrum, sondern ihr Mut, Durchhaltevermögen und Eigenwille. Für alle Vorlieben gibt es Vorbilder für Künstlerinnen und Extremsportlerinnen, für Philosophinnen und Wohltäterinnen, für Piratinnen und Kriegerinnen. Das Buch sollte vielleicht nicht die einzige Quelle für historisches Wissen von Mädchen bleiben, ist aber ein Schmuckstück für jeden Kinderbuchschrank.