Erika Fischer-Lichte / Daniela Hahn (Hgg.): Ökologie und die Künste, München: Wilhelm Fink 2015, 282 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-7705-5775-2, EUR 29,90
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Ökologie als zentrales Thema unserer Zeit ist spätestens seit den 1990er-Jahren in den Kunstwissenschaften angekommen. [1] Trotzdem gibt es noch Neuland zu entdecken: So stellt Suzaan Boettger ihrem 2016 erschienenen Beitrag über "Environmentalist Criticism of Visual Art" die Bemerkung voran, dass sich, im Gegensatz zur Literaturwissenschaft, die ökokritische Analyse im Bereich der visual arts erst in den Anfängen befinde. [2] In diesem Kontext ist der für die deutschsprachige Ökokritik bedeutsame Band zu sehen.
Hervorgegangen ist Ökologie und die Künste aus einer Vortragsreihe im Rahmen des Graduiertenkollegs InterArt 2013 an der Freien Universität Berlin. Die Beiträge bilden ein breites Spektrum ab, mit all den Vorzügen und Nachteilen, die sich aus einem solchen Projekt ergeben, das, von wenigen Ausnahmen abgesehen, durch die unterschiedliche akademische Provenienz der Beiträger und Beiträgerinnen additiv-interdisziplinär aufgestellt ist. Eingebunden wurden Kunst-, Literatur- und Kulturwissenschaften, Wissenschaftsphilosophie und -geschichte, aber auch künstlerische und praxisorientierte Bereiche (Landschaftsarchitektur, Stadt- und Regionalplanung, Performancekunst).
Da Ökologie als tertium comparationis die Beiträge zusammenhält, wird der Begriff von Daniela Hahn in der Einleitung notwendigerweise recht weit gefasst. Sie sieht Ökologie als "ein[en] Komplex aus den Materialitäten einer sich krisenhaft wandelnden natürlichen Umwelt und den wissenschaftlichen, technischen, politischen und kulturellen Diskursen über Umwelt - ein[en] Komplex, der Antworten auf Fragen sucht, 'wie die Welt im Inneren beschaffen ist, wie sie sein soll und wie sie vermutlich werden wird.'" (9) Nach einem kurzen historischen Überblick zum Verhältnis von Ökologie und Künsten widmet Hahn sich vor allem der Verbindung von bildender Kunst und Umwelt, so z.B. in der Analyse der Coverabbildung (Thomas Doyle, Firing for Effect, 2010), oder wenn sie sich für einen systematischen Ansatz auf die sechs Kategorien (Re/View, Re/Form, Re/Search, Re/Use, Re/Create, Re/Act) von Andrew Brown (Art & Ecology Now, 2014) bezieht.
Die anschließenden Beiträge sind in vier Bereiche untergliedert: Im Zentrum von "Umweltkunst - Landschaftskunst" steht die Environmental Art. Annette Jael Lehmann zeichnet deren Entwicklung seit den 1960er-Jahren nach und untersucht Projekte von Alan Sonfist sowie von Newton und Helen Mayer Harrison. Sonfists Installation Colony of Army Ants (1972), die auch Lehmann in ihrem Überblicksartikel erwähnt, wird von Etienne Benson einer kritischen Revision unterzogen, indem Konzeption und Scheitern des Projekts dokumentiert und in einen größeren systemischen Kontext gestellt werden. Sonja Dümpelmann geht in einem historischen Überblick der Verbindung von Technologie und Natur am Beispiel des Flughafens als Landschaftskunst nach.
Den Auftakt zu "Ökologische Praktiken" bilden Beschreibungen eigener und fremder Projekte einer grünen Stadtplanung von Friedrich von Borries, Moritz Ahlert und Benjamin Kasten. Die Ausführungen sind praxisnah, aber auch schlagwortbehaftet: In urbaner Natur sollen sich "Erlebnisinteresse, Wildniswünsche und Biodiversität miteinander verbinden", Ergebnis sei ein "neuartiger Hybrid aus Wildnis und hyperfunktionaler Programmierung" (98). Der Zusammenhang zwischen achteinhalb Seiten Text und zwölfseitigem Abbildungsteil erschließt sich nicht auf Anhieb, ist aber wohl im Rahmen von "assoziativen Verknüpfungen" (102) gedacht. Performance steht im Mittelpunkt der Texte von Baz Kershaw und Annette Arlander. Kershaw untersucht drei Produktionen (Green Shade von 2004, The Iron Ship von 2000 und A Meadow Meander aus den Jahren 2011-13) als "Öko-Lakunen" und bedient sich dabei der Überlegungen von Gregory Bateson (Steps to an Ecology of Mind, 1972). Stellenweise wäre eine detailliertere Beschreibung der Projekte einem besseren Verständnis zuträglich gewesen. Arlander erläutert ihr Landschaftskonzept, um anschließend darzustellen, was es bedeutet, Landschaft zu performen. Konkret dokumentiert sie ihre eigene künstlerische Praxis in Year of the Rabbit - With a Juniper gemäß der Leitfrage: "Wie können wir die wechselseitige Abhängigkeit zwischen menschlichen Wesen und ihrer Umwelt, zwischen Performer und Landschaft, zwischen mir und einem Wacholder, aufzeigen [...]?" (144)
"Natur-Ästhetiken" versammelt Aufsätze über das Element Wasser. Hartmut Böhme schließt an seine Kulturgeschichte des Wassers (1988) mit Überlegungen zu Flutkatastrophen an. Der modernen Variante eines Risikomanagements, das materiellen Schaden kompensiert, stellt er die Heilung des symbolischen Schadens einer Katastrophe gegenüber. Mareike Vennen geht zunächst der Wissensgeschichte des Aquariums nach, um sich dann Tue Greenforts Arbeit Linear Deflection (2008), die sogenannte 'Killerquallen' zeigt, zuzuwenden. Die Vorfahren der ausgestellten Rippenquallen wurden einst im Rahmen des maritimen Warenverkehrs in das ihnen fremde Terrain der Kieler Bucht eingeschleppt. Bisher wurden sie in einer Art Horrornarrativ zur Bedrohung stilisiert, da sie in die Region eingefallen seien. Die Installation trägt dazu bei, deutlich zu machen, "dass vermeintlich isolierte Phänomene nur im Geflecht ihrer räumlichen und zeitlichen Zusammenhänge zu verstehen sind." (194) Jens Soentgen präsentiert eine ökologische Kulturgeschichte des Mineralwassers: Ausgangspunkt ist die Verknüpfung eines eigentlich unnatürlichen und aus ökologischer Perspektive fragwürdigen Produkts mit Begriffen wie ursprünglich, unberührt, rein usw. Es wird gezeigt, wie die Kohlensäure ins (Trink-)Wasser kam und kommt, wodurch eine Infragestellung der üblichen Dichotomie von natürlich versus unnatürlich bewirkt wird.
"Ökologische Szenarien" eröffnen mit Benjamin Bühlers Überlegungen zum Recycling-Diskurs. Gesichtet wird eine Materialflut: Vom Konzept des ökologischen Kreislaufs in Fiktion und Sachliteratur (Beispiele von Commoner, Amery, Huxley, Callenbach, Fleischer) über die Idee vom Raumschiff Erde, den Anthropozän-Begriff und das Biosphäre 2-Projekt geht er über zu künstlerischen Auseinandersetzungen mit Müll (Rauschenberg, Kabakov, Muniz) und verweist im Schluss auf den Menschen als ökologischen Störfaktor in Narrativen der "Populärkultur" (Roland Emmerichs The Day after Tomorrow, 2004, und - ebenfalls unter diesem Begriff subsumiert - Cormac McCarthys The Road, 2006). Aus medienwissenschaftlicher Perspektive beschäftigt sich Alexa Weik von Mossner in ihrem Aufsatz ebenfalls mit Emmerichs Film, den sie im Kontext anderer Klimawandelnarrative in Sachbuch und Dokumentarfilm ansiedelt. Nach dem "Beitrag der Literatur zu historischen und aktuellen ökologischen Debatten" (257) fragt kenntnisreich Evi Zemanek, indem sie der Gattung "Ökotopie" nachgeht und insbesondere untersucht, welche Rolle der Kunst fiktionsintern in den ausgewählten literarischen Gesellschaftsentwürfen zukommt.
Was die den einzelnen Untersuchungen zugrunde liegenden Wissenschaftskonzepte betrifft, lässt sich naturgemäß eine Diskrepanz zwischen eher empirischen Darstellungen und systematischen Analysen feststellen. Nichtsdestotrotz ermöglicht der Band durch seine spezifische Zusammenstellung kenntnis- und aufschlussreiche Einblicke in unterschiedliche Disziplinen und legt damit einen wichtigen Grundstein für weiteres, interdisziplinär ausgerichtetes Forschen im Bereich der deutschsprachigen Ökokritik.
Anmerkungen:
[1] Im Bereich der deutschsprachigen Literaturwissenschaft zuletzt: Benjamin Bühler: Ecocriticism. Grundlagen - Theorien - Interpretationen, Stuttgart 2016; Gabriele Dürbeck / Urte Stobbe (Hgg.): Ecocriticism. Eine Einführung, Köln (u.a.) 2015.
[2] Vgl. Suzaan Boettger: Within and Beyond the art world. Environmentalist criticism of visual art, in: Handbook of Ecocriticism and Cultural Ecology, hg. v. Hubert Zapf, Berlin 2016, 664-681.
Claudia Schmitt