Hans von Dohnanyi: "Mir hat Gott keinen Panzer ums Herz gegeben". Briefe aus Militärgefängnis und Gestapohaft 1943-1945. Herausgegeben von Winfried Meyer, München: DVA 2015, 352 S., 5 s/w-Abb., ISBN 978-3-421-04711-3, EUR 24,99
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Mit diesem Buch setzt Meyer seine Auseinandersetzung mit der Person Hans von Dohnanyi fort. Versehen sind diese Briefe mit einem Vorwort von Ulla Hahn, der Schwiegertochter Hans von Dohnanyis, und einem Nachwort seines Sohnes Klaus von Dohnanyi.
Die Briefe und Kassiber sind ergänzt um zeitgeschichtliche Darstellungen und kenntnisreiche Kommentierungen Winfried Meyers, so dass man einen ausgezeichneten Blick auf diese Phase des Lebens von Dohnanyi erhält.
Gleichwohl stellt sich die Frage: Braucht es dieses Buch? Braucht es diesen außerordentlich detaillierten, sehr intimen Einblick in Herz und Seele von Hans von Dohnanyi? Ganz zweifellos war er lange Jahre nach dem Krieg eine unterschätzte Figur des Widerstandes. Dohnanyi war, gemeinsam mit seinem Chef Hans Oster, spätestens nach seiner Einziehung zum Amt Ausland/Abwehr und damit unter dem Schutz von Admiral Wilhelm Canaris, ein zentraler Knotenpunkt der Netzwerke in diesem Widerstandsegment. Auch seine Rolle als "Archivar" ist unter Kennern bekannt, nicht zuletzt weil sie ihm - ungerechterweise - später zum Vorwurf gemacht wurde, worüber dieses Buch auch Auskunft gibt. Weniger bekannt ist vielleicht sein aktives Mittun an den Attentatsversuchen: So brachte er z.B. mit dem Auto seines Schwiegervaters die Bombe, mit der Hitlers Flugzeug im März 1943 zum Absturz gebracht werden sollte, zum Flughafen. Das war einer der zahlreichen vergeblichen Versuche, Hitler umzubringen. Bekannt wiederum ist auch dank einer gründlichen Untersuchung Winfried Meyers seine Rolle in einer größeren Aktion zur Judenrettung noch 1942. [1] Zudem war er durch seine nahe Verwandtschaft mit Dietrich Bonhoeffer einer der Menschen, die die innere Seite des Widerstandes immer wieder reflektiert haben. Darüber gibt Bonhoeffers Weihnachtsgeschenk 1942 "Nach 10 Jahren" [2] wichtige Auskunft. Dieser Rechenschaftsbericht wäre so nicht entstanden ohne das stete Gespräch im Verwandten- und Freundeskreis des Bonhoeffer-Dohnanyi-Umfeldes und insbesondere der beiden Personen Bonhoeffer und Dohnanyi. Bis heute ist dies ein unterschätztes Dokument der Reflektion des Widerstandes.
Doch schon in der großen Bonhoefferbiographie von Eberhard Bethge (1967) wird die Bedeutung Dohnanyis angesprochen und spätestens in den 1980er und 1990er Jahren widmeten sich zahlreiche Wissenschaftler diesem Umfeld. Dabei schälte sich die Rolle Hans von Dohnanyis klar heraus. Besonders zu nennen ist hier der Arbeitskreis um den Heidelberger Sozialethiker Heinz Eduard Tödt sowie die daraus hervorgegangenen biographischen Veröffentlichungen: die große Doppelbiographie von Marikje Smid über das Ehepaar Dohnanyi und die Untersuchung des Strafverfahrens gegen Hans von Dohnanyi (von der Verfasserin dieser Zeilen). [3] Hinzu kam später die erwähnte Arbeit von Winfried Meyer über die Aktion U7, in der er mit großer Detailliebe diese Aktion zur Rettung zahlreicher Juden präzise beschrieben hat. Außerdem wird Dohnanyis Rolle deutlich in der unendlichen Fülle der biographischen Veröffentlichungen weiterer Protagonisten seines Umfeldes, angefangen von seiner Zeit im Reichsjustizministerium über seinen persönlichen Freundes- und Verwandtenkreis bis hin zu seinem militärischen Umfeld.
Alles dies ist im Grunde seit mindestens zehn Jahren gründlich erarbeitet. Auch die Briefe spielen darin eine wichtige Rolle. Bekannt ist seitdem auch die Rolle Christine von Dohnanyis, denn nicht nur die Briefe, auch ihre - hier nicht veröffentlichten - eigenen Nachkriegsberichte spiegeln die große Bedeutung, die diese Frau für das Tun ihres Mannes hatte. Ihre klare Durchdringung der Ereignisse, der juristischen Verfahren wie der Widerstandsaktionen, zeigt, wie tief sie involviert war. So hat man von der historischen Bedeutung beider Personen bereits einen genauen Eindruck gewinnen können.
Reitet die Veröffentlichung der Briefe also auf der Welle "Hitler sells" - wie Ulrich Herbert es vor einiger Zeit so trefflich auf den Punkt brachte? Das ist ganz eindeutig nicht der Fall. Man kann an diesen Briefen lernen, aus welchem Stoff die - wenn man sie denn nicht Helden nennen will - tapferen Frauen und Männer beschaffen waren, die im Dritten Reich nicht nur die Erkenntnis des Bösen hatten, sondern aus dieser Erkenntnis auch Konsequenzen gezogen haben, die eingestanden sind für das, was sie einmal als richtig erkannt haben, auch um den Preis ihres Lebens.
Wie also ist der Stoff beschaffen, aus dem diese Menschen sind? Zunächst und vorweg, sie sind keine Stoiker. Hans von Dohnanyi litt sehr unter den Bedingungen der Haft: "[...] ein Mittelding zwischen großer trüber Müdigkeit und einer inneren Erregung, die mich nicht stillsitzen läßt", unter der Trennung von seiner Familie und schon nach wenigen Wochen unter Krankheiten, die sicher auch seelisch bedingt waren: "[...] das Bein [...] wie ein Baumstumpf". Etwas ruhiger wurde er, als seine Frau, die am 5. April 1943 mit verhaftet worden war, am 30. April 1943 entlassen wurde. Gerade für die Inhaftierung seiner geliebten Frau verantwortlich zu sein, drückte ihm fast das Herz ab. Aber das Leiden war "die andere Seite" seiner tiefen Liebe zu seiner Frau und den Kindern, der engen Verbundenheit auch zur weiteren Familie und zum Freundeskreis - ein Hinweis darauf, dass es nicht Ungebundenheit war, die Menschen in den Widerstand gegen das System trieb.
Eine weitere Kategorie bildet zweifellos die Bildung. Hans von Dohnanyi war bekannt als vorzüglicher Jurist, aber die Briefe zeigen, dass seine Interessen weit darüber hinausgingen: Literatur, Kunst, Musik, Geschichte, Naturwissenschaften, auch an die Meteorologie traute er sich heran. Er entwickelte seine große zeichnerische Begabung im Gefängnis fort und versuchte sich an Gedichten. Aus alledem bildeten sich politische Überzeugungen, ein Eingebettetsein in die christlich-abendländische Kultur, die im diametralen Gegensatz zum Nationalsozialismus stand.
Wirklichen Halt gab ihm sein Glaube: "Die Bibel ist das einzige Buch bei dem ich länger ausharre". Immer wieder schildert und bedenkt er seine Situation in christlichen Metaphern, aber auch Zweifel werden artikuliert: "Es gehört viel dazu, sich dabei seinen Glauben zu bewahren". Dass der Glaube ein bedeutendes Motiv seines Handelns war, reflektiert im steten Gespräch mit Dietrich Bonhoeffer, ist auch aus der Zeit vor seiner Haft bekannt. Preußisch-protestantisch unterkühlt spielt der Glaube im Zwiegespräch mit seiner Frau in den Briefen eine große Rolle.
Hätte man Hans von Dohnanyi selbst gefragt, so wäre einem wohl die Antwort zuteil geworden, die von ihm überliefert ist: "es ist einfach der zwangsläufige Gang eines anständigen Menschen".
Das also kann man bei der Lektüre dieses Buches lernen: Bildung, Glaube, Halt in einem passenden Umfeld und das Quäntchen Zufall führen einen Menschen an eine Situation heran. Es ist dann an ihm sehenden Auges die Situation zu ergreifen, sich verantwortlich zu fühlen, etwas zu tun und andere einzubinden. Dafür ist die Person Hans von Dohnanyis ein Vorbild und das zeigen diese sehr persönlichen Briefe.
Anmerkungen:
[1] Winfried Meyer: Unternehmen Sieben. Eine Rettungsaktion für vom Holocaust Bedrohte aus dem Amt Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht, Frankfurt am Main 1993.
[2] Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung. Werkausgabe, Band 8: Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Herausgegeben von Christian Gremmels, Eberhard Bethge und Renate Bethge in Zusammenarbeit mit Ilse Tödt, München 1998, 19ff.
[3] Marikje Smid: Hans von Dohnanyi - Christine Bonhoeffer. Eine Ehe im Widerstand gegen Hitler, Gütersloh 2002; Elisabeth Chowaniec: Der »Fall Dohnanyi« 1943-1945. Widerstand, Militärjustiz, SS-Willkür, München 1991.
Elisabeth Chowaniec