Pιnar Emiralioğlu: Geographical Knowledge and Imperial Culture in the Early Modern Ottoman Empire (= Transculturalisms, 1400-1700), Aldershot: Ashgate 2014, XXII + 184 S., ISBN 978-1-4724-1533-2, GBP 70,00
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Kartographische Werke sind nicht nur ein nützliches Hilfsmittel, wenn es gilt, den Weg von A nach B zu finden. Sie sind auch Repräsentationen und Interpretationen der Welt. Sie widerspiegeln das Weltbild, das man sich zu einer gegebenen Zeit in einem bestimmten kulturellen und politischen Umfeld macht und positionieren das Eigene in der Welt. Kartographische Werke und geographisches Wissen sind nicht zuletzt auch politisch relevant. Sie können in Konflikten mit anderen Mächten eingesetzt werden und von Herrschaftsträgern genutzt werden, um Ansprüche auf Territorien zu markieren oder um ihre Ideologie und Weltsicht zu propagieren. Pınar Emiralioğlu will zeigen, dass die wachsende Produktion geographischen Wissens im frühneuzeitlichen Osmanischen Reich in enger Beziehung zu politischen und ökonomischen Interessen der osmanischen Eliten und vor allem zu imperialen Ansprüchen des Staates stand. Zu diesem Zweck rekonstruiert sie die Produktion und Verbreitung von geographischen Werken im Osmanischen Reich.
Der Hauptfokus liegt auf jenen osmanischen Geographen und Kartographen, deren Werke im 16. Jahrhundert in Istanbul kursierten und sich zu einem kanonischen Literaturkorpus verdichteten (Piri Reis, Matrakçı Nasuh, Mustafa b. Ali al-Muvakkit, Seydi Ali Reis, Ali Macar Reis, Seyfi Çelebi). Dabei analysiert die Verfasserin alle verfügbaren geographischen Berichte, die im 16. Jahrhundert in Istanbul zirkulierten (Kartenwerke unterschiedlicher Art und Umfangs, Reiseberichte, Koordinatentabellen, Feldzugsitinerare sowie ergänzend Chroniken). Geographen des 17. und 18. Jahrhunderts (Katib Çelebi, Ebu Bekir b. Behram ed-Dimashki, Seyyid Nuh) werden hingegen nur gestreift. Diese klar abgesteckte Quellenbasis bietet hinreichend Material für Einblicke in die Art und Weise, wie im Osmanischen Reich die Welt wahrgenommen wurde.
Da die Geographen Förderung von Angehörigen des Hofes genossen oder durch die Abfassung ihrer Werke deren Patronage zu erlangen suchten, bettet sie die Verfasserin in einen engen Kommunikationszusammenhang zwischen osmanischer Gelehrsamkeit, imperialer Politik und territorialer Expansion ein. Darüber hinaus schreibt sie den Geographen eine aktive Rolle in der Politik des Hofes zu: Sie haben seine imperialen Ansprüche nicht nur symbolisch und praktisch unterstützt, sondern auch zu deren Formulierung beigetragen.
An Giancarlo Casale [1] anknüpfend behandelt Emiralioğlu das Osmanische Reich als "[...] an active participant of the Early Modern Period and of the 'Age of the Exploration'" und sieht den osmanischen Hof und osmanische Geographen als "[...] indispensable members of the global political, economic, and intellectual networks" (4). Damit fügt sich ihr Buch in eine wachsende Zahl von Studien ein, die das Osmanische Reich in einen globalhistorischen Kontext stellen, statt es als eine abgeschlossene Entität zu behandeln.
Die Studie gliedert sich in eine Einleitung, vier Kapitel und einen Epilog. Kapitel 1 behandelt die Wechselwirkungen zwischen den osmanischen Weltherrschaftsansprüchen und der Entwicklung der geographischen Literatur im 16. Jahrhundert. Stimuliert durch die Hegemonialkonflikte mit dem safawidischen Persien und vor allem den spanischen Habsburgern, erweiterten Piri Reis und Andere das überkommene Wissen muslimischer Geographen durch neue Erkenntnisse der Europäer und eigene Beobachtungen. So vermochten sie das geographische Bewusstsein der Osmanen entscheidend zu verändern und trugen dazu bei, dass das frühe 16. Jahrhundert zum Zeitalter der "Ottoman renaissance in geographical knowledge" wurde (25).
Im zweiten Kapitel werden Schriften wie jene von Mustafa b. Ali al-Muvakkit und Abdüllatif (Latifi) präsentiert, die Istanbul ins Zentrum des Universums stellten und so der osmanischen Reichshauptstadt eine ganz neue Funktion im Weltbild zuwiesen. Diese Konstruktion bediente die imperiale Ideologie des Hofes, der geographische Werke nutzte, um seine imperialen Ansprüche zu artikulieren (58).
Um das Zentrum Istanbul lagerte sich das Mittelmeer an, das - wie im folgenden Kapitel "Charting the Mediterranean [...]" gezeigt - für osmanische Geographen und politische Entscheidungsträger gleichermaßen das Herzstück der Welt war. Auch hier verweist Emiralioğlu auf die osmanisch-spanische Rivalität als Faktor der geographischen Wissensproduktion. War die Kontrolle dieser Gewässer für den Sultan und den Hof entscheidend, um ihrem universellen Herrschaftsanspruch Geltung zu verschaffen, so visualisierten Geographen wie Piri Reis und Ali Macar Reis diesen Anspruch durch die Produktion detaillierter Karten seiner Küsten.
Der osmanische Weltherrschaftsanspruch wurde nicht nur im Mittelmeer herausgefordert, sondern auch durch die Expansion des spanischen Weltreichs im Atlantik und durch die portugiesische Präsenz im Indischen Ozean. Thema des vierten Kapitels sind daher Werke von Piri Reis, Seydi Ali Reis und Seyfi Çelebi, die sich mit der Peripherie der osmanischen Welt im Osten auseinandersetzten, sowie die anonyme Geschichte Westindiens (Tarih-i Hind-i Garbi, Ende 16. Jh.), das einzige frühneuzeitliche osmanische Buch über die Neue Welt. Emiralioğlu argumentiert, dass die osmanischen Eliten zwar ab etwa 1550 zunehmendes Interesse an den Ländern am Indischen Ozean und an den Amerikas zeigten, dass diese Gegenden aber als entlegene Peripherien behandelt wurden. Insbesondere die Darstellung des Indischen Ozeans in den Werken von Piri Reis und Seydi Ali Reis als gefahrenreiches Gewässer liest sie als politische Aussage. Damit sei eine Politik angemahnt worden, die sich auf die Konsolidierung des Erreichten konzentrieren und sich Abenteuern im Indischen Ozean enthalten sollte (117 f., 121).
Erst im Epilog wird der zeitliche Rahmen auf das 17. und 18. Jahrhundert ausgeweitet. Geographen waren nun nicht mehr ausschließlich auf Mäzene am Hof angewiesen, sondern suchten und fanden sie auch bei anderen Persönlichkeiten. Umfangreiche Geographien wandten sich nun an ein breiteres Publikum von Gelehrten, religiösen, politischen und militärischen Amtsträgern, ja sogar an gebildete Handerker und Kaufleute. Die damit einhergehende Beschleunigung der Wissenszirkulation und die gleichzeitige Ausdifferenzierung der geographischen Wissensgebiete markieren laut Emiralioğlu "[...] the beginning of an enlightenment movement in geographical knowledge in the Ottoman Empire" (154). Für den hier zugrundeliegenden Aufklärungsbegriff wird - wie beim Begriff "Renaissance" in Kapitel 1 - nur auf weiterführende Literatur verwiesen.
Emiralioğlus Buch zeigt deutlich, wie die osmanischen Geographen des 16. Jahrhunderts die Welt gemäß der imperialen Vision des Hofes kategorisierten. Istanbul, die Residenz des zum Weltenherrscher stilisierten Sultans stand im Zentrum des Universums, der Mittelmeerraum als Hauptfokus der osmanischen Interessen war das Herzstück der Welt, der Indische Ozean, die Neue Welt und noch mehr Afrika südlich der Sahara waren peripher. Wiederholt hebt Emiralioğlu hervor, dass die Geographen nach der Patronage des Sultans oder von Mitgliedern seines Hofes strebten; um diese zu erlangen, präsentierten sie ihr Wissen und Können (4, 24, 27, 38, 48, 49, 99, 101, 142, 155) und wirkten dabei auf die Formulierung imperialer Politik ein (4, 27, 38, 45, 48, 98, 102, 118, 155). Die letztere Aussage wie auch die Folgerung, "[...] they [die Geographen] became as instrumental to the imperial court as the Ottoman troops in articulating the Ottoman universal claims to the whole world" (155, ähnlich auch 89) scheinen mir aber etwas hoch gegriffen.
Sicher spielten die Geographen bei der Artikulierung der imperialen Selbstsicht und der Weltherrschaftsansprüche des Hofes eine wichtige Rolle. So arbeiteten Piri Reis, Matrakçı Nasuh und Seydi Ali Reis unter der Patronage und im Auftrag von Großwesiren und setzten Akzente, die mit den politischen Vorstellungen ihrer Förderer übereinstimmten. Sie dürften also eher gängige Vorstellungen aufgegriffen und auf die 'Nachfrage' nach einem bestimmten Weltbild reagierten haben, als dass sie aktiv und von sich aus politische Präferenzen äußerten.
Dass Piri Reis' Bahriye (1526) zahl- und detailreichere Karten der südlichen und östlichen Mittelmeerküsten enthält als der westlichen und nördlichen, widerspiegelt sicher die Bedeutung der Levante und Nordafrikas für die osmanischen Ambitionen, mag aber auch mit den Kenntnissen des Autors erklärt werden und weniger damit, dass er den Hof dazu bewegen wollte, seine Politik auf diese Regionen zu beschränken. Auch die veralteten Informationen über das Rote Meer, Arabien und Südafrika unter gleichzeitiger Weglassung des Indischen Ozeans in Ali Macars Atlas-ı Hümayun (ca. 1570) mögen gleichermaßen den Quellen und Kenntnissen des Autors geschuldet sein, wie dem Desinteresse des Hofes an den Gewässern im Osten. Zudem fragt sich, ob bei der Rezeption oder Nicht-Rezeption eines Werkes am Hof neben praktischen, militärisch und politisch-ideologischen Gesichtspunkten auch weitere Faktoren in Betracht kommen, wie sein Unterhaltungswert und seine Verwendbarkeit für geistreichen Zeitvertreib. [2]
Dessen ungeachtet bietet Geographical Knowledge and Imperial Culture wertvolle neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von geographischer Wissensproduktion und imperialer Politik im Osmanischen Reich des 16. Jahrhunderts, die konsequent in einen globalhistorischen Kontext eingebettet werden. Weitere Stärken des schön illustrierten Buches liegen in der Klarheit des Aufbaus und in seiner unkomplizierten Sprache. Es handelt sich um eine hoch informative Studie, die für alle, die sich für frühneuzeitliche Geographie und Imperien interessieren, leicht zugänglich ist.
Anmerkungen:
[1] Giancarlo Casale: The Ottoman Age of Exploration, Oxford 2010.
[2] Vgl. Gottfried Hagen: Ein osmanischer Geograph bei der Arbeit. Entstehung und Gedankenwelt von Kātib Čelebis Ğihānnümā, Berlin 2003, 102-104, 115-119.
Felix Konrad