Alfried Wieczorek / Gaëlle Rosendahl / Donatella Lippi (Hgg.): Die Medici. Menschen, Macht und Leidenschaft, Regensburg: Schnell & Steiner 2013, 414 S., ca. 300 Abb., ISBN 978-3-7954-2634-7, EUR 34,95
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Nach über dreieinhalb Jahrhunderten Familiengeschichte der Medici (ausgehend von der Begründung ihres Aufstiegs unter Giovanni di Bicci (1460-1429)) erlosch am 9. Juli 1737 mit dem letzten Großherzog Gian Gastone die männliche Linie der Familie. Nach seinem Tod fiel das Großherzogtum Toskana mit dem Frieden von Wien 1738 an das Haus Habsburg-Lothringen. Der Aufstieg der Medici von Bankiers und Financiers der königlichen Häupter und Päpste bis zum Papstthron selbst und bis in den höchsten Adel gilt - trotz mancher Rückschläge - als eines der eindringlichsten Beispiele erfolgreicher Familien- und Bündnispolitik. Und selbst der letzte Erfolg der Medici wirkt bis heute nach. Es sind eben nicht die Lothringer, sondern die Medici, die untrennbar mit Florenz verbunden sind und deren Spuren die Stadt noch heute prägen, ja geradezu dominieren.
Die ehemalige Haupt- und Residenzstadt profitiert nicht zuletzt von der Anziehungskraft der Pretiosen, die das spätere Großherzogshaus im Laufe seines Aufstiegs ansammelte und die trotz des Dynastiewechsels bis heute als kulturelles Erbe in Florenz verblieben sind. Das Verdienst dafür gebührt Anna Maria Luisa de' Medici (1667-1743), Kurfürstin von der Pfalz, die, als ihr Mann Johann Wilhelm 1716 nach einer glücklichen, aber kinderlosen Ehe gestorben war, nach Florenz zurückkehrte, um ihren Lebensabend in der Heimat zu verbringen.
Als ihr Bruder Gian Gastone 1737 kinderlos starb, war sie es, die als letzte Medici im patto di famigila das Vermächtnis ihres Hauses sicherte. Der Vertrag verpflichtete den neuen Großherzog Franz Stephan von Lothringen und dessen Nachfolger dazu, dass die umfangreichen Kunstsammlungen der Medici Florenz niemals verlassen dürften. In erheblichem Maße ist das heutige (und noch überaus greifbare!) Bild der Medici als Kunstförderer und -sammler also der Weitsichtigkeit der Kurfürstinwitwe zu verdanken. Ihr 270. Todestag bot den Anlass für eine Ausstellung in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, mit der an die Verbindungen zwischen der Kurpfalz und der Toskana erinnert werden sollte.
Der hier anzuzeigende Katalog erschien als Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, die die Medici "nicht nur über ihre bedeutenden Kunstschätze präsentiert[e], sondern als Menschen mit oft widersprüchlichen Persönlichkeiten, unerwarteten Charakteren, außergewöhnlichen Leidenschaften und folgenschweren Krankheitsgeschichten". (11) So zumindest lautete das erklärte Ziel der Herausgeber und Organisatoren.
Nach den für einen Katalog üblichen Geleitworten gliedern sich die einzelnen Beiträge in zehn Unterkapitel, die im Großen und Ganzen die Chronologie vom Aufstieg im 14. Jahrhundert bis zum Aussterben der Dynastie nachzeichnen. Den Einstieg bieten je kurze biografische Skizzen, denen dann Essays zu größeren Themenbereichen folgen, die entweder eng mit dem Medici verbunden sind (so etwa zur Kirche San Lorenzo, den Medicikapellen oder der Medici-Bank) oder aber dazu dienen, die einzelnen Protagonisten der Kapitel in einen größeren historischen und kulturellen Kontext einzuordnen. So etwa wenn es um das Waffenhandwerk zur Zeit Giovannnis de' Medici oder um die Sprachpolitik Cosimos I. und seine Einflussnahme auf die questione della lingua geht.
Insgesamt ist das Themenspektrum also sehr heterogen und der Versuch einer Verzahnung der einzelnen Mitglieder der Medici-Familie mit dem historischen und kulturellen Umfeld, das ihre Herrschaft prägte, steht im Vordergrund. Es ist eben diese Konzeption, die ein Gesamturteil über den Band recht schwierig macht. Statt zu beurteilen, ob der Katalog als Begleitband für ein breiteres Publikum geeignet ist (angesichts der medialen Verzahnung - es gab eine eigens produzierte Dokumentation auf ARTE - ist das aus Sicht der Herausgeber sicherlich eine zentrale Frage gewesen), soll im Folgenden sein wissenschaftlicher Wert für die Auseinandersetzung mit den Medici bewertet werden.
Hier ist zunächst auf große Unterschiede zwischen den einzelnen Beiträgen hinzuweisen. Nicht alle Essays sind so gelungen (und vor allem lesefreundlich) wie derjenige von Tobias Daniels über die Pazzi-Verschwörung (111-117) und der von Silke Leopold, die die Bedeutung des florentinischen Musiktheaters für die Entstehung der Oper nachzeichnet (327-335). Ähnliches gilt für die Beiträge anderer Spezialistinnen und Spezialisten: so etwa von Christina Strunck zu Christiane von Lothringen (323), von Volker Reinhardt zu den Medicipäpsten Leo X. und Clemens VII. (149-157) oder von Maria Teresa Guerra Medici zur Erziehung adeliger Mädchen in der Renaissance (309-314).
Im Großen und Ganzen ist jedoch festzustellen, dass die Beiträge sehr allgemein gehalten sind und auf Schwerpunktsetzungen oder Verweise auf die aktuelle wissenschaftliche Diskussion und neue Forschungsergebnisse verzichten. Entsprechend knapp gehalten sind auch die Literaturangeben, die am Ende jedes Beitrags stehen. Auf ein Gesamtverzeichnis der herangezogenen Literatur am Ende des Bandes wurde leider verzichtet.
Thematisch sehr speziell und gerade deswegen interessant sind die Beiträge, die die Krankheiten der Medici behandeln, die im Rahmen bioarchäologischer, forensischer und anthropologischer Untersuchungen der Gebeine einzelner Familienmitglieder zu Tage traten (siehe dazu die Beiträge von Donatella Lippi). Eben hier treten die einzelnen Medici - wie in der Einleitung angekündigt und von den Herausgebern ja angestrebt - tatsächlich in den Vordergrund. Demgegenüber mutet der Beitrag über den Calcio Storico Fiorentino, eine historische und bis heute jährlich von den Stadtteilen organisierte Vorform des heutigen Fußballs (übrigens verfasst vom Presidente del Consiglio Comunale di Firenze), eher wie ein Beitrag für das Stadtmarketing an.
Der Katalog ist als Begleitband zu einer Ausstellung erschienen, die nach Angaben der Reiss-Engelholm-Museen mit über 100.000 Besuchern [1] tatsächlich ein breiteres, historisch interessiertes und vermutlich auch italophiles Publikum erreichte. Genau für diese Zielgruppe ist er konzipiert. Gerade diesem - vermutlich mit den Medici kaum vertrauten - Publikum dürfte eine übersichtliche Stammtafel fehlen, die das Erschließen des Bandes erleichtert hätte. Aus wissenschaftlicher Perspektive gilt: Für diejenigen, die mehr erwarten als knappe biografische Skizzen und allgemein gehaltene Beträge zu Italien und Florenz in der Frühen Neuzeit, ist der Band wenig geeignet.
Anmerkung:
[1] http://www.medici2013.de/aktuell/einzelansicht/article/arrivederci-medici-willkommen-wittelsbacher.html (Zugriff am 23.10.2013).
Sebastian Becker