Rudolf Jaworski / Jan Kusber (Hgg.): Erinnern mit Hindernissen. Osteuropäische Gedenktage und Jubiläen im 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts (= Mainzer Beiträge zur Geschichte Osteuropas; Bd. 4), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2011, 292 S., ISBN 978-3-643-10816-6, EUR 29,90
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Rudolf Jaworski und Jan Kusber stellen die Untersuchung verschiedener Gedenktage in Mittel- und Osteuropa in den Fokus ihres Sammelbandes, der aus einer Tagung des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz hervorgegangen ist. Anlässlich der Systemwechsel in Osteuropa beschäftigen sich die einzelnen Verfasser mit Über- und Umschreibungen der Erinnerung in Osteuropa und dem Wandel medialer Inszenierung anhand der Untersuchung unterschiedlicher Gedenktage und Jubiläen. Die zentrale Frage ist, wie sehr die offiziellen Jubiläen und Gedenktage vor 1989 tatsächlich die Erinnerungskultur prägten oder ob sie nur ein Spiegelbild der jeweils herrschenden Geschichtspolitik gewesen sind. Der Zeitrahmen der einzelnen Untersuchungen reicht von 1918 bis zur Gegenwart, auch wenn Jaworski in seinem einführenden Beitrag darauf hinweist, dass längerfristige historische Entwicklungslinien und gesamteuropäische Faktoren die Bewertung der einzelnen Gedenktage prägten. Der Band ist regional aufgebaut, der Schwerpunkt des Sammelbandes liegt auf russischen beziehungsweise sowjetischen und polnischen Gedenktagen, neben den genannten Ländern werden auch das Baltikum und Mitteleuropa, anhand von Beispielen aus Estland, der Slowakei, Ungarn und Rumänien, mit einbezogen.
Jaworski weist in seiner einordnenden Betrachtung darauf hin, dass jährliche Gedenktage einen Überblick über Wandel und Kontinuität von Erinnerungsstrategien in einem kurzen Zeitraum ermöglichen und der stete Wandel Osteuropas durch Okkupationen, Kriege und Systemwechsel einen völligen Austausch der Symbolhaushalte und somit viele Diskontinuitäten mit sich gebracht habe.
Julia Röttjer untersucht den Wandel des Feiertages der Oktoberrevolution in der Sowjetunion bis hin zu seiner Ersetzung in der Russischen Föderation durch den "Tag der nationalen Einheit". Werner Benecke widmet sich in seinem Beitrag dem 9. Mai als sowjetischem Feiertag im Wandel der historischen Zäsuren und betont, dass der 9. Mai als authentischer Feiertag erlebt werde, seine Bedeutung nicht verloren habe und als einziger Feiertag das Ende der Sowjetunion überdauert habe. Jan Kusber untersucht Stadtjubiläen im postkommunistischen Russland und stellt eine antiwestliche Ausrichtung der neuen russischen Geschichtspolitik fest. Während sein Beitrag sich sehr intensiv mit den Stadtjubiläen Moskaus 1997 und St. Petersburgs 2003 beschäftigt, kommen entsprechende Veranstaltungen in der Peripherie beziehungsweise in der Provinz leider nur am Rande zur Sprache.
Witold Molik beschäftigt sich mit den Feierlichkeiten des Völkerfrühlings in Posen und Großpolen 1948 und benennt drei wichtige Faktoren, die im Vordergrund dieser sozialistischen Masseninszenierung gestanden hätten: die Mobilisierung der Massen, die Bindung der Regierungselite an die Bevölkerung und die Ablenkung, die mit dem Massenspektakel intendiert worden sei. Izabella Main untersucht die Diskrepanz, die in der Volksrepublik Polen zwischen den beiden Maifeiertagen - 1. und 3. Mai - bestand, und geht der Frage nach, wie sie über die Jahrzehnte von der Partei getilgt werden sollten. Der Gegensatz zwischen säkularen und religiösen Feiertagen wird in diesem Beitrag stark betont, und auch die Strategie der Verdrängung seitens der Machthaber als Instrument der Geschichtspolitik wird von der Verfasserin behandelt. Edmund Dmitrów widmet sich dem Wandel der Gedenktage anlässlich des Warschauer Aufstands und führt vor Augen, dass dieser primär als antikommunistisches und antisowjetisches Ereignis erinnert worden sei und die Erinnerung an ihn somit immer im Widerspruch zur Parteiführung gestanden habe. So verwundert es nicht, dass sich der 1. August als zentraler Gedenktag an den Warschauer Aufstand nach 1989 zum wichtigsten Staatsfeiertag entwickelt hat, auch wenn der Verfasser kritisch anmerkt, dass der Aufstand heute eher verherrlicht als kritisch erinnert werde.
David Feest setzt sich in seinem Beitrag mit der vergessenen Revolution von 1940 in den baltischen Staaten auseinander und vertieft dies konkret am Beispiel Estlands. Er hält fest, dass die Okkupation einen wichtigeren Stellenwert als die sozialistische Revolution erfahren habe, und konstatiert darüber hinaus, dass die Revolutionsfeiern nur dadurch eine gleichsam geborgte Legitimität hätten erhalten können, indem sie in beliebte Massenveranstaltungen wie das Sängerfest integriert worden seien. Letztendlich schlug die Revolution von 1940 keine tiefen Wurzeln, und die Erinnerung an sie hat das Jahr 1989 nicht überstanden.
Elena Mannovó beschäftigt sich mit den Uminterpretationen des Slowakischen Nationalaufstands von 1944. Éva Kovács verbindet zwei Revolutionsmythen sowie deren Gedenktage miteinander und zeigt, wie der 15. März 1848 Pate für den 23. Oktober 1956 stand und von Teilen der Bevölkerung auch immer miteinander verbunden und zusammen erinnert wurde. Hans-Christian Maner widmet sich den vielen Umdeutungen des 23. August 1944 in Rumänien und verfolgt, wie der Tag des Staatsstreichs über die Jahrzehnte hinweg unterschiedlich interpretiert und erinnert wurde.
Die Autoren beschäftigen sich intensiv mit ausgewählten Gedenktagen und Jubiläen in Mittel- und Osteuropa und füllen so in einem ersten Schritt teilweise die von Jaworski konstatierte Forschungslücke. Der Sammelband hätte noch gewonnen, wäre die geografische Schwerpunktsetzung etwas ausgeglichener gewesen, aber die Vielfalt der besprochenen Gedenktage und ihrer Wandlungsprozesse zeichnet dem Leser ein anschauliches Bild vom Einfluss der Systemwandel in Mittel- und Osteuropa auf die jeweiligen Erinnerungs- und Gedenkkulturen.
Cordula Kalmbach