Melanie Panse: Hans von Gersdorffs "Feldbuch der Wundarznei". Produktion, Präsentation und Rezeption von Wissen (= Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften; Bd. 7), Wiesbaden: Reichert Verlag 2012, XII + 284 S., 63 s/w-Tafeln, ISBN 978-3-89500-907-5, EUR 59,00
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In ihrer Kasseler Dissertation untersucht Melanie Panse das 1517 erstmals gedruckte volkssprachliche "Feldbuch der Wundarznei" des Straßburger Chirurgen Hans von Gersdorff aus wissensgeschichtlicher Perspektive. Dieses faszinierende Werk stellt in Text und Bild das medizinische Wissen eines in Feldchirurgie und der Behandlung von Leprösen ausgewiesenen Praktikers "größeren Bevölkerungskreisen" (3) vor. Anlass für die durch den Drucker Johannes Schott besorgte Erstausgabe war mutmaßlich das überwältigende Interesse an der öffentlichen Sektion eine Erhängten in Straßburg im selben Jahr.
In der Einleitung (1-26) skizziert Panse knapp ihre Fragestellung, stellt den Kontext zu aktuellen medizin-, buch- und bildgeschichtlichen Forschungen her, umreißt das Quellencorpus und legt ihre methodische Vorgehensweise dar. In drei Hauptabschnitten wird der Produktion von Wissen im "Feldbuch" nachgegangen (27- 86), seine Präsentation in Text und Bild analysiert (87-142) und schließlich die Rezeption der Inhalte aus verschiedenen Perspektiven bis in das 18. Jahrhundert hinein verfolgt (143-214). 63 schwarz-weiß Tafeln, die vor allem die Holzschnitte des "Feldbuchs" und zweier Vergleichswerke in hervorragender Qualität wiedergeben, runden das Buch ab.
Die Produktion von medizinischem Wissen wird in biographischen, sozialen und wissenschaftsgeschichtlichen Kontexten verortet. Quellenfunde in Straßburg ermöglichen es Panse, den Tod von Hans von Gersdorff vor den 9. Juni 1520 und damit ca. neun Jahre früher als bisherige Annahmen zu datieren. Für die Druckgeschichte des "Feldbuchs" ist das von entscheidender Bedeutung, da Gersdorffs Mitwirkung an der Neuausgabe von 1526 ausgeschlossen werden kann. Die inhaltliche Schwerpunktsetzung auf Anatomie, Aderlass, Traumatologie, Rezepttexte und Leprösenbehandlung wird auf Gersdorffs Tätigkeiten während verschiedener Feldzüge sowie für das Straßburger Antoniterspital zurückgeführt. Außerdem werden die 1497 gedruckte "Chirurgia" des Hieronymus Brunschwig sowie der von Eucharius Rößlin 1513 herausgegebene "Rosengarten" als zeitgenössische Vergleichspunkte eingeführt. Dass Gersdoff nicht allein für das "Feldbuch" verantwortlich zeichnete, sondern der Drucker Schott und der Künstler Hans Wächtlin, der die Holzschnitte anfertigte, ebenfalls erheblichen Einfluss auf seine Gestaltung nahmen, wird präzise dargelegt.
Obwohl Gersdorff bereits in der Vorrede die Bedeutung seiner konkreten Erfahrungen betont, verzichtet er nicht darauf, die verhandelten Wissensbestände durch die Berufung auf traditionelle Autoritäten zu legitimieren. Dass der Deutungsrahmen letztendlich auf theologisch-christlichen und akademisch-medizinischen Vorstellungen des Spätmittelalters beruht, zeigt das Gewicht, das auf der einen Seite Christus und den Heiligen sowie auf der anderen Seite der Vier-Säfte-Lehre zugeschrieben wird. Die Darstellung des medizinischen Wissens ist im "Feldbuch" von strukturierenden Ordnungsprinzipien geprägt, die in der Gliederung etwa weitgehend dem Prinzip a capite ad calcem folgen. Unterstützt werden diese Einteilungen nicht nur durch die vielfältige typographische Gestaltung des Werkes sondern auch durch Erschließungshilfen wie eine knappe Inhaltszusammenfassung und das Inhaltsverzeichnis.
Die Präsentation des Wissens ist vom engen Ineinandergreifen von Text und Bild gekennzeichnet. Illustrationen dienen dabei unter anderem als Gliederungshilfen, die mittels der Darstellung des Autors oder verschiedener Heiliger auch legitimierende Funktion einnehmen. Auf inhaltlicher Ebene stehen Text und Bild gleichberechtigt nebeneinander. Bei der Beschreibung chirurgischer Instrumente, Apparaten und Behandlungsweisen ist das Bild dem Text überlegen und rückt dementsprechend in den Vordergrund, während bei anatomischen Darstellungen der erläuternde Text im Mittelpunkt steht. Möglichkeiten und Grenzen beider Medien werden im "Feldbuch" ausgetestet. Zu bedauern ist, dass der Mangel an Quellen hier keine Möglichkeiten bietet, mehr über die Zusammenarbeit von Autor, Drucker und Holzschneider zu erfahren. Panse enthält sich jeglicher Spekulation, unterscheidet präzise zwischen den drei Akteuren und weist nachdrücklich auf die Bedeutung der verschiedenen Text und Bilder prägenden Traditionen hin. Die Gesamtanlage des Werkes deutet sie als die Präsentation medizinischen Wissens in der Volkssprache für jedermann.
Die Rezeption des "Feldbuchs" wird im dritten Teil der Arbeit nachgezeichnet. Die kompakte Zusammenstellung von Wissen und Gesundheit verlor offenbar nicht an Attraktivität. Die weitere Druckgeschichte zeigt das bis in das 17. Jahrhundert anhaltende Interesse an dem "Feldbuch", wobei Änderungen und Ergänzungen an Inhalt und Form in unterschiedlichem Umfang vorgenommen wurden. Die jeweilige Höhe der Auflage wird allerdings nicht thematisiert. Daneben existierten einige von Hand angefertigte Abschriften, die nicht das Gesamtwerk, sondern vornehmlich die Ausführungen zum Aderlass und die Rezepttexte kopierten. Die kodikologische Analyse der heute erhaltenen Exemplare des "Feldbuchs" zeigt bis 1650 einen Besitzerkreis auf, der von Wundärzten über die gelehrte städtische Oberschicht bis hin zu Kurfürsten reichte. Auch wenn die Besitzer nicht mit den Rezipienten gleichzusetzen sind, schränkt dieser Befund den Adressatenkreis des Werkes ein. Das "Feldbuch" präsentierte medizinisches Wissen für jedermann, der sich den aufwendig ausgestalteten Folioband der Erstausgabe leisten konnte. Handschriftliche Benutzungsspuren zeigen wiederum Teile des Werkes auf, die bei den Lesern besonderes Interesse erweckten. Im Anatomieteil etwa wurden in mehreren Fällen die lateinischen Äquivalente der volkssprachlichen Fachbegriffe notiert. Das Druckbild erlaubte dabei nur Marginalglossierungen. Des Weiteren finden sich Markierungen und Hinweise, die die wiederholte Benutzung und das Abrufen bestimmter Wissensinhalte erleichterten.
Panses Studie stellt einen wertvollen Beitrag zur Erforschung der volksprachlichen medizinischen Wissenskultur, ihrer Präsentation und Rezeption am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit dar. Der Gefahr, die Besonderheiten des Feldbuchs überzubewerten, begegnet sie mit dem wiederholten Vergleich mit der "Chirurgia" und dem "Rosengarten". Der in volksprachlichen Inkunabeln und Frühdrucken fassbare Horizont medizinischen Wissens um 1500 wird differenziert vorgestellt und seine Präsentation in Text und Bild präzise analysiert. Die umfassenden Rezeptionsspuren deuten darauf hin, dass dieses Werk tatsächlich das Bedürfnis eines aus Fachleuten und Mitgliedern gehobener sozialer Schichten bestehenden Publikums nach solchem Wissen befriedigte. Die angestrebte Einbettung und Historisierung von vormodernem medizinischem Wissen in seinen sozialfunktionalen Kontexten gelingt Panse damit überzeugend.
Maximilian Schuh